Hamburg. Von 100 bis über 1000 Euro für die neue Sehhilfe im Alter. Hamburger Optiker erklären ihr Geschäftsmodell. Was Kunden wissen sollten.
Zu den Profiteuren einer alternden Gesellschaft gehören zweifellos die Optiker: Gut zwei Drittel aller erwachsenen Deutschen tragen eine Brille, bei den Personen über 60 Jahren sind es aber schon mehr als 90 Prozent – und von ihnen entscheidet sich wiederum knapp die Hälfte für die zumeist kostspieligen Gleitsichtbrillen.
„Gleitsichtgläser, die man in der zweiten Lebenshälfte benötigt, haben eine komplizierte Oberflächengeometrie. Ihre aufwendige Anpassung macht sie im Durchschnitt viermal teurer als Einstärkengläser“, heißt es dazu vom Hamburger Fielmann-Konzern, dem klaren Marktführer der Optiker-Branche in Deutschland.
Gleitsichtbrillen – warum die Preisunterschiede so groß sind
Angesichts der hohen Preise geraten besonders die etablierten, stationären Fachgeschäfte immer wieder in den Verdacht der Abzocke, zumal gelegentlich behauptet wird, Einstärkengläser im Einkaufswert von weniger als fünf Euro pro Stück würden schon einmal für 90 Euro an die Kundinnen und Kunden abgegeben.
So fragen sich viele Hamburger, wenn sie bei ihrem Optiker 1000 Euro oder auch wesentlich mehr für eine Gleitsichtbrille zahlen, während doch Onlineanbieter mit Preisen von teils nicht einmal 100 Euro werben: Wie kann das sein? Gibt man für die gleiche Leistung schlicht zu viel aus?
Besonders günstige Gleitsichtbrillen von Onlinehändlern
In Wahrheit aber dürfte die Zahl der tatsächlich zu derart niedrigen Preisen verkauften Mehrstärkenbrillen viel geringer sein, als Berichte darüber vermuten lassen: Der Onlinehandel hat einen Anteil von gerade einmal zwei Prozent am gesamten Brillenoptik-Umsatz in Deutschland.
Zudem handele es sich bei den Günstig-Angeboten und den teureren Gläsern von Marken wie Zeiss, Rodenstock oder Seiko eben nicht wirklich um die gleiche Leistung, sagt Michael Renken, Optiker in der vierten Generation mit zwei Geschäften in Hamburg: „Gleitsichtgläser für rund 100 Euro oder sogar weniger sind standardisierte Produkte aus Asien.“ Die teureren Gläser hingegen werden individuell nach den Messwerten und Gebrauchsgewohnheiten der Kunden angefertigt.
Teurere Geitsichtgläser werden individuell angefertigt
„Bei uns kosten zwei Mehrstärkengläser aus deutscher oder europäischer Produktion zwischen etwa 300 und rund 1200 Euro“, so Renken. „Gleitsichtgläser werden von den Herstellern üblicherweise in mehreren Preisstufen angeboten. Sie unterscheiden sich dadurch, wie groß der Bereich ist, in dem man auf keine Distanz scharf sieht.“
Zwar offeriert das sowohl im Online- wie im stationären Geschäft europaweit tätige Optikerunternehmer Mister Spex aus Berlin „Qualitäts-Gleitsichtgläser“ ab 99,95 Euro. Möchte man aber „angenehmen Sehkomfort durch einen erweiterten Sehbereich für eine kürzere Eingewöhnungszeit“, kostet das schon 249,90 Euro. Für den „maximalen Sehbereich“ muss man hier 299,90 Euro ausgeben.
Auch der Aufwand für Forschung und Entwicklung spielt eine Rolle
Wie Michael Renken sagt, kostet die Herstellung eines „einfachen Gleitsichtglases“ gar nicht so viel weniger als die „Premium“-Gläser. „Es ist vor allem der Aufwand für Forschung und Entwicklung, der den Mehrpreis ausmacht“, sagt er. Den technologisch führenden Herstellern sei es gelungen, den unscharfen Randbereich der Gläser immer weiter zu verringern.
Allerdings könnten solche Vorteile nur voll genutzt werden, wenn die Brille mittels einer Reihe von Messungen vor der Bestellung der Gläser auf den Kunden zugeschnitten werde, erklärt eine Fielmann-Sprecherin: „Damit Sie mit Ihrer Gleitsichtbrille auch garantiert scharf sehen können, müssen Ihre Gläser zentriert werden. Dazu sind eine präzise Bestimmung Ihres Augenabstands, der Durchblickhöhe sowie weitere Messungen (Vorneigung, Hornhautscheitelabstand, Fassungsscheibenwinkel) erforderlich.“
Gute Technik beim Optiker ist teuer
Voraussetzung für diesen Service ist eine teure Technik. Mit den Instrumenten für die Prüfung der Sehschärfe, die rund 80.000 Euro kosten, ist es dann nicht getan. „Wenn man sich ein Gerät anschafft, das die Zentrierung der Gläser aufgrund des Augenabstandes und der Brillen-Geometrie bis auf Zehntelmillimeter genau vermisst, kommen 20.000 bis 25.000 Euro hinzu“, sagt Renken. Eine solche Genauigkeit sei gerade bei Gleitsichtgläsern hilfreich.“
Damit verbunden ist ein erhöhter Zeitaufwand für das Personal bei den Optikern. „Man kann davon ausgehen, dass die Kundenberatung beim Kauf einer Gleitsichtbrille rund eine Stunde in Anspruch nimmt“, sagt Renken. „Für die Bestellung kann man eine halbe Stunde rechnen, für die Einpassung der Gläser in die Fassung noch einmal 15 bis 30 Minuten“ – und im Schnitt insgesamt eine weitere halbe Stunde für spätere Serviceleistungen wie Korrekturen an der Einstellung der Bügel.
So kalkulieren Optiker bei Gleitsichtbrillen
Doch wie kalkulieren Optiker nun tatsächlich, wie viel zahlen sie selbst für Gläser und Fassung? Daten des Branchenverbands ZVA vermitteln einen Eindruck davon: Im Durchschnitt machen die Personalkosten knapp 37 Prozent der Gesamtkosten der Betriebe aus, die Materialkosten – also die Ausgaben für bezogene Waren – folgen mit gut 29 Prozent.
Hierzu heißt es von Branchenkennern, dieser Wert werde durch sehr große Ketten, bei denen es nur etwa 20 Prozent seien, verzerrt. Bei mittelständischen Optikern könne der Materialkostenanteil zwischen 40 und 50 Prozent liegen. Nach Abzug von Sachkosten (24 Prozent, darunter Miete, Energie, Versicherungen) bleibt laut ZVA ein Betriebsergebnis von knapp zehn Prozent übrig. Bei einem durchschnittlichen Umsatz von 430 Euro je Brille würde das einen Gewinn von ungefähr 43 Euro pro Stück bedeuten.
Nicht wenige Kunden geben ihre teure Brille wieder zurück
In der Kalkulation ist noch zu berücksichtigen, dass Branchenschätzungen zufolge 10 bis 15 Prozent der Kundinnen und Kunden auch nach längerer Eingewöhnung nicht mit ihren Gleitsichtbrillen zurechtkommen und diese zurückgeben, um dann doch eine Einstärkenbrille zu nehmen. Außer im Niedrigpreis-Bereich tragen in der Regel die Glashersteller über eine „Verträglichkeitsgarantie“ die Kosten.
Allerdings gibt es Möglichkeiten, das Risiko eines Fehlkaufs zu reduzieren. „Wir raten unseren Kunden dazu, sich frühzeitig für eine Gleitsichtbrille zu entscheiden“, sagt die Fielmann-Sprecherin. „Das macht die Eingewöhnung besonders leicht. Auch häufiges Tragen ist ratsam, um sich schnell mit der neuen Gleitsichtbrille vertraut zu machen.“
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Meist genügten für die Gewöhnung zwei oder drei Tage, sagt Michael Renken, „manche brauchen bis zu 14 Tage dafür.“ Er rät Kunden dazu, darauf zu achten, dass die Zentrierpunkte elektronisch gemessen werden können, „weil es bei Gleitsichtgläsern dabei auf einen halben Millimeter ankommt“.
Und weiter: „Der Optiker sollte auf jeden Fall nach den Arbeits- und Lebensgewohnheiten der Kundin oder des Kunden fragen: Fährt man viel mit dem Auto? Blickt man bei der Arbeit auf einen stationären Bildschirm oder auf einen Laptop?“ Denn all das habe Einfluss darauf, wie das Glas geschliffen werden muss.