Hamburg. Tessa Petzoldt erzählt im Abendblatt ihre Geschichte: Über die Corona-Zeit, Kaufzurückhaltung, Inflation – und was sie nun vorhat.
- Tessa Petzoldt muss vier Filialen ihres Hamburger Unternehmens Blumentochter schließen
- Schuld daran seien nicht nur die Nachwehen der Pandemie, sondern auch das Preis-Dumping großer Ketten
- Wie sie jetzt weitermachen will.
Ein Ort kann für die Vergangenheit und die Zukunft zugleich stehen – das trifft für Tessa Petzoldt an der Osterfeldstraße zu. Knapp sechs Jahre lang betrieb die 40-Jährige in dem Edeka-Markt als Shop-in-Shop-Konzept ein Geschäft ihres Unternehmens Blumentochter. Dann kam Corona. Der Supermarkt durfte Blumen verkaufen, sie nicht. Das empfindet sie auch heute noch als ungerecht.
„Corona hat ein Riesenloch gerissen, von dem wir uns nicht richtig erholen konnten“, sagt Petzoldt, als sie unsere Redaktion per Telefon auf dem Parkplatz an der Osterfeldstraße erreicht. Corona-Hilfen habe sie nicht bekommen. Ende 2020 schloss sie das Geschäft. Die Auflösung, warum sie trotzdem immer wieder dorthin zurückkommt, folgt später.
Blumen sind „Luxusgut“ – Floristen spüren Kaufzurückhaltung
Das Aus für die Blumentochter-Filiale an der Osterfeldstraße war nur der Auftakt. Auch die Geschäfte am Eppendorfer Weg und an der Langen Reihe, die sie kurz vor der Pandemie eröffnet hatte, machte sie dicht. Kurz nach Weihnachten war dann für den Laden an der Jarrestraße Schluss. Von einst sechs Geschäften sind nur noch zwei übrig: am Lokstedter Weg und an der Hegestraße.
„Nach Corona kamen der Ukraine-Krieg und die Inflation. Wir verkaufen aber ein Luxusprodukt. Wenn die Menschen sparen müssen, machen sie es bei Blumen“, sagt Petzoldt. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit sei der Umsatz pro Filiale um 30 Prozent niedriger. „Die Stimmung ist durch die Politik sehr, sehr gedrückt. Das geht nicht nur uns so, sondern auch vielen anderen Händlern und Produzenten von Blumen.“
Floristenverband spricht von Belastung durch Weltlage, Klimawandel und Inflation
Eine Einschätzung, die man beim Fachverband Deutscher Floristen (FDF) teilt. Die Mitglieder und die gesamte Branche spürten die Verunsicherung der Verbraucher durch Faktoren wie die internationale Weltlage, den Klimawandel und die Inflation, sagt FDF-Sprecherin Nicola Fink: „Diese Verunsicherung führt vielfach zu Kaufzurückhaltung.“
Auch sie verweist auf die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise, durch die viele Menschen deutlich weniger Geld in ihren Portemonnaies hätten als früher.
Umsatz mit Blumen sinkt in Deutschland seit 2021 deutlich
Der Umsatz mit Blumen und Pflanzen in Deutschland habe 2019 bei neun Milliarden Euro gelegen. Trotz der teilweisen Lockdowns stieg er während Corona an, auf 10,2 Milliarden Euro im Jahr 2021. Der Grund dafür dürfte im Cocooning-Effekt gelegen haben.
Die Leute konnten kaum reisen, arbeiteten viel und teilweise nahezu ausschließlich von zu Hause und wollten es in ihrem Heim schön haben. Seitdem sinken die Erlöse der Branche aber kräftig. Im vergangenen Jahr wurden nur noch 8,6 Milliarden Euro erzielt.
Tessa Petzoldt und ihre Familie sind seit Jahrzehnten in der Branche tätig
Ein Großteil davon dürfte von Discountern und Supermärkten erlöst worden sein. „Unser Konzept war immer, viele Blumen für bezahlbares Budget anzubieten“, sagt Petzoldt, deren Großvater mehrere Blumenläden in Hamburg betrieb. Daher hat auch sie viel Erfahrung in der Branche.
Sie kenne die Einkaufspreise in- und auswendig. Doch gegen die Konkurrenz großer Ketten komme sie nicht an. „Die Supermärkte und Discounter machen Preise, wie sie wollen. Zehn Tulpen für 1,99 Euro. Da greifen die Leute zu. Das ist ein Lockmittel, ein Werbemittel – verdienen tun sie nichts daran“, so Petzoldt.
Eine Tulpe aus den Vierlanden kostet Petzoldt schon mindestens 35 Cent im Einkauf
Die Hamburgerin versucht, auch regionale Ware anzubieten. Das sei angesichts der Kosten aber kaum machbar. Ihre Rechnung: „Für eine Vierländer Tulpe zahle ich als Einkaufspreis mindestens 35 Cent pro Stück. Je nach Qualität sind es bis zu 65 Cent pro Tulpe.“ Denn auch ein Tulpenproduzent zahle für eine gute Zwiebel schon 25 Cent – und dann ist die Zwiebel ja noch nicht gewachsen. Er hat zum Beispiel Kosten für Energie, um das Treibhaus zu heizen, Wasser und Löhne.
„Damit es sich für mich rechnet, muss ich für zehn Tulpen mindestens 8,50 Euro nehmen. Ich weiß aber, dass solche Preise den meisten Kunden wehtun“, sagt Petzoldt. Discounter und Supermärkte lägen mit ihrem Verkaufspreis hingegen unter ihrem Einkaufspreis für die Tulpen aus den Vierlanden.
Blumenhändler können mit Preisen aus Supermärkten nicht konkurrieren
Petzoldt versucht gegenzusteuern, indem sie nicht vom Großmarkt, sondern auch aus den Niederlanden direkt Blumen holt. „Im Vergleich zum kleinen Blumengeschäft, das nur auf dem Großmarkt einkauft, kleine Mengen abnimmt und kaum Preisspielräume hat, können wir schon gut einkaufen“, sagt Petzoldt.
Aber trotz dieser Mischkalkulation könne sie nicht mit den Preisen der Supermärkte mithalten. Die Schwierigkeiten von Blumentochter seien typisch für die Branche. „Gefühlt machen jedes Jahr fünf, sechs Blumenläden zu“, sagt Petzoldt.
Zahl der Blumenhändler sank in Hamburg in drei Jahren um 26 Geschäfte
Zahlen der Handelskammer unterstützen diese Entwicklung. Vor drei Jahren wurden dort noch 339 Blumenfachgeschäfte gezählt. Derzeit sind es nach Kammerangaben noch 313 Mitgliedsunternehmen.
„Wir erleben Geschäftsschließungen“, sagt Floristenverbands-Sprecherin Fink. Diese seien allerdings sehr unterschiedlich motiviert. Vielfach schlössen „Blumengeschäfte, weil die Inhaberinnen und Inhaber in den Ruhestand gehen. Diese Geschäfte finden leider oftmals keine Nachfolger“. Teilweise würden schlichtweg Kunden fehlen. Als weiteren Grund nennt sie den Personalmangel.
Tessa Petzoldt will um ihre Firma kämpfen und zwei Geschäfte weiterbetreiben
Das ist auch für Tessa Petzoldt, die das Unternehmen zusammen mit ihrem Lebensgefährten Guido Graf und ihrem Bruder Robin Petzoldt führt, ein Problem. Das Hauptgeschäft geschehe freitags und sonnabends. Das passe in die Work-Life-Balance vieler Arbeitnehmer nicht hinein. Sie verließen Blumentochter. Neue Kräfte und Nachwuchs zu finden, sei schwierig. Mittlerweile ist die Zahl der Mitarbeiter von 20 auf neun inklusive der Chefs gesunken.
Zur derzeitigen Geschäftslage will sie sich nicht im Detail äußern. Sie sagt nur: „Es läuft nicht so prickelnd.“ Die beiden Geschäfte sollen auf absehbare Zeit aber weiterbetrieben werden. „Wir wollen kämpfen, unsere Familie lebt von den Blumen, und ich liebe das auch. Aber es dürfen nicht noch mehr Krisen kommen“, sagt Petzoldt.
Blumentochter geht vermehrt auf Wochenmärkte
Die Corona-Krise nutzte sie, um neue Geschäftsfelder zu eröffnen. Blumentochter ist nun auch auf Wochenmärkten vertreten; dienstags und freitags auf dem Isemarkt, mittwochs an der Grelckstraße und sonnabends neben der Grundstraße auch auf dem Goldbekplatz.
Ein lohnendes Geschäft, weil man in wenigen Stunden viele Kunden erreiche und geringere Kosten habe. Die Preise für die Blumen seien dort sogar niedriger als im Geschäft, räumt sie mit dem Vorurteil des teuren Marktbesuches auf. Ob sie diesen Geschäftszweig ausbaue, lässt sie offen. Denn Personal zu finden, sei eben schwer. Und es müsse auch noch Zeit für die Familie und die Kinder bleiben.
Petzoldts Hoffnung: Der Onlineshop läuft sehr gut an
Zeit kostet zudem auch ihr neues „Baby“. Seit wenigen Wochen betreibt das Unternehmen einen Onlineshop, der sehr gut angelaufen sei. „Viele unserer Kunden wohnen am Stadtrand. Dort gibt es entweder keinen Blumenladen mehr oder nur einen Supermarkt, in dem sie nicht kaufen wollen“, sagt Petzoldt, die seit Längerem auf Instagram ihre Kundschaft mit Geschichten um sich und das Unternehmen versorgt. Nun nehme sie deutschlandweit Bestellungen entgegen.
Mehr Wirtschaftsthemen
- Galeria-Insolvenz: Alle Kaufhäuser auf dem Prüfstand – Bleibt Karstadt an Hamburgs Mönckebergstraße?
- Shopping Hamburg: Handelsverband wirft Politik „totales Versagen“ vor
- Immobilien Hamburg: Jedes zweite Einfamilienhaus ist ein Sanierungsfall
Dann packt sie die Blumen in Kartons und steuert die Osterfeldstraße an. An ihrem alten Laden-Standort hebt sie die Pakete mit der Ware in einen Einkaufswagen und bringt sie beim DHL-Shop auf die Reise. Daher ist der Standort eine Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Mit den Tulpen startet die Saison der Blumenhändler
„Die Blumen kommen gesund und munter bei den Kunden an. Zum Beispiel speichern Tulpen das Wasser im Stiel, können ein paar Tage ohne Wasser gehalten werden und werden grundsätzlich ohne Wasser gehandelt“, sagt Petzoldt. „Zu Hause muss man sie anschneiden, umhüllt mit Papier für eine Stunde ins Wasser stellen – und dann saugt sich die Blüte wieder schön voll.“
Petzoldt hofft nun auf starke Wochen und Monate. Denn besonders umsatzstark sind neben der Vorweihnachtszeit die Monate Februar bis Juni. Mit den Tulpen geht die neue Saison nun los. Petzoldt: „Im Frühling kriegen die Leute Lust auf Blumen.“