Hamburg. Stationäre Läden in Hamburg dürfen nicht öffnen, auf dem Markt und beim Discounter gibt es aber frische Ware. Die Inhaber sind erbost.

Die Blumen sieht man nur durch die Schaufensterscheibe. Gerade mal für zwei Behälter mit Tulpen ist auf der Türschwelle Platz. „Normalerweise haben wir vor dem Geschäft ein Blütenmeer, aber im Corona-Lockdown dürfen wir nichts auf den Gehweg stellen“, sagt Blumenhändlerin Tessa Petzoldt und rückt vorsichtshalber die beiden hellen Plastikeimer noch ein bisschen näher zusammen. Die Ladentür ihres Ladens Tessa Petzoldt Blumentochter in Eppendorf steht auf, drinnen hängt eine große Plexiglasscheibe. „Wir bieten Abholverkauf an. Die Leute wollen ja frische Blumen“, sagt die Inhaberin. Eine Frau bleibt stehen und begutachtet mit einem schnellen Blick das Angebot. 50 Tulpen für zwölf Euro – das klingt verlockend. Kaufen kann sie die Blumen aber erst, wenn sie vorher telefonisch eine Bestellung aufgegeben hat. „Nicht alle verstehen das. Wir verkaufen lange nicht das, was wir verkaufen müssten“, sagt Tessa Petzoldt. Aber ist es gerade ihre einzige Möglichkeit, um im Geschäft zu bleiben. „Schadensbegrenzung“ nennt sie es.

Seit mehr als vier Wochen sind die meisten Einzelhandelsgeschäfte im Corona-Lockdown. Anders als im Frühjahr 2020 mussten dieses Mal auch Floristen und Gärtnereien dauerhaft schließen. Wie ernst die Lage für viele zumeist inhabergeführten 339 Blumenfachgeschäfte in Hamburg inzwischen ist, hat Tessa Petzoldt in einem Video in den sozialen Medien deutlich gemacht. „Ich möchte laut werden für die grüne Branche“, sagt die 37-Jährige in dem sechsminütigen Clip in grünem Parka und mit wehendem Haar. „Blumen blühen jetzt. Für uns gibt es keine nächste Woche. Was wir nicht verkaufen, müssen wir vernichten.“ Fast 9000 Nutzer haben den emotionalen Appell inzwischen gesehen. Darin beklagt sie auch die fehlenden staatlichen Hilfen. „Ich verstehe, dass wir Corona-Maßnahmen brauchen. Aber entweder wir bekommen jetzt Unterstützung oder wir müssen unsere Türen wieder öffnen dürfen“, fordert die Frau, deren Großvater Hans Petzoldt in den 1960-er Jahren das Familienunternehmen gegründet hatte, zu dem lange auch der bekannte Laden mit Art-Deco-Ambiente im Hauptbahnhof gehörte.

Viele Geschäfte stehen unter finanziellem Druck

„Es sieht so aus, als ob nach dem abgebrochenen Weihnachtsgeschäft auch die Frühjahrssaison mit Primeln, Narzissen und Stiefmütterchen an uns vorbeigeht“, sagt Michael Kaiser, Leiter der Hamburger Landesgruppe des Fachverbands Deutscher Floristen Nord und Inhaber von Blumen Kaiser in Hausbruch. Viele Geschäfte stünden unter finanziellem Druck, könnten sich mit Bestellungen und Abholservice, sogenannten Call & Collect-Angeboten, nur mühsam über Wasser halten. Was den 59-Jährigen, der den alteingesessenen Familienbetrieb mit seiner Frau Karin führt, besonders ärgert: Während der Fachhandel geschlossen ist, verkaufen Supermärkte, teilweise auch Drogeriemärkte und vor allem Wochenmärkte deutlich mehr frische (Billig-)Blumen und Pflanzen. „Das Problem ist die Wettbewerbsverzerrung. Dort drängen sich jetzt die Kunden, während sie in den Fachgeschäften Corona-konform einkaufen könnten“, klagt Kaiser.

Blumenhändlerin Tessa Petzoldt wird deutlicher: „Unfair und ungerecht“ findet sie die unterschiedliche Behandlung. Dreh- und Angelpunkt ist die Einordnung als „Waren des täglichen Bedarfs“. Während Blumen auf den Wochenmärkten zu der Kategorie gezählt werden und verkauft werden dürfen, gilt das anders als beim Frühjahrs-Lockdown nicht für die Öffnung der Blumengeschäfte. „Das ist nicht zu vermitteln“, sagt der Geschäftsführer des Floristenverbands, Michael Bergmann. Zumal Blumenhändler in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, weiterhin geöffnet sind. Seit Wochen liefen die Gespräche mit der Stadt Hamburg, um eine Wiedereröffnung zu erwirken, so Bergmann. Bislang ohne Erfolg.

Dramatische Situation

Wie dramatisch die Situation ist, lässt sich jede Nacht auf dem Blumengroßmarkt beobachten. Wo normalerweise morgens ab drei Uhr Floristen, Friedhofsgärtner und Einkäufer von Gartencentern um die prächtigsten Blumen und Pflanzen an den Ständen der 120 Erzeuger und Großhändler feilschen, ist „spürbar weniger los“, sagt Klaus Bengtsson vom Blumengroßmarkt. Viele Erzeuger fehlen, aber auch die 1800 registrierten Kunden kommen seit Beginn des Lockdowns deutlich seltener. „Es gibt ja kaum Veranstaltungen. Hochzeiten und große Beerdigungen fallen aus“, sagt Bengtsson. Auch Hotels und Unternehmen orderten weniger Raumschmuck. „Am besten laufen im Moment Tulpen.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Obwohl Tessa Petzoldt inzwischen alle sechs Geschäfte ihres kleinen Blumen-Imperiums, das sie mit ihrem Lebensgefährten Guido Graf und Bruder Robin Petzoldt führt, zu eingeschränkten Zeiten für den Bestellservice geöffnet hat, kauft auch das Trio deutlich weniger auf dem Großmarkt ein. Statt zwei Transportern reicht jetzt einer, um die Läden mit frischer Ware zu beliefern. Auch Tessa Petzoldt hat das Sortiment drastisch reduziert.

Noch immer steckt ihr die Situation Mitte Dezember in den Knochen, als das Unternehmen nach der Lockdown-Ankündigung plötzlich Waren im Wert von 25.000 bis 30.000 Euro nicht mehr verkaufen konnte und zigtausend Blumen vernichten werden musste. „Das war ein Schock“, sagt die Unternehmerin. Lieber hätte sie die Waren verschenkt, aber das ist nicht erlaubt. Jetzt hofft Petzoldt, dass sie den Verlust zumindest steuerlich abschreiben kann. Weil die Mülltonnen gar nicht alles fassen konnten, stehen in ihrem Lager in Winterhunde immer noch verwelkte und verblühte Weihnachtssterne, Christrosen und Amarylis. „Das zu sehen, schnürt mir alles zu.“

Auch Gartenbaubetriebe haben große Probleme

Auch Gartenbaubetriebe haben viele Pflanzen vernichten müssen, um Platz für die nächste Ernte zu schaffen. „Weihnachtssterne und Glücksklee, das sind verderbliche Waren und im Januar will die niemand mehr“, sagt Frank Schoppa vom Wirtschaftsverband Gartenbau, der auch Erzeuger in den Vier- und Marschlanden vertritt. Mit 60 Betrieben ist dort das größte Schnittblumen-Cluster Deutschlands, dazu kommen 200 Unternehmen, bei denen jetzt schon die Frühjahrsblüher wachsen. „Das Wachstum lässt sich nur begrenzt aufhalten“, sagt Schoppa. Schon jetzt sei der Zeitdruck hoch. Deshalb hat der Verband, dessen Mitglieder einen Jahresumsatz von 100 Millionen Euro erwirtschaften, in einem Brandbrief an die Politik gefordert, dass am 1. Februar Schluss sein muss mit der Schließung. Neben dem Existenzkampf der Betriebe, sieht Schoppa noch einen anderen Aspekt. „Blumen und Pflanzen haben ja auch eine positive Wirkung auf Menschen.“

Genaue Zahlen, wie viele Blumenläden in Hamburg aktuell Abholmöglichkeiten anbieten, gibt es nicht. Während etwa beim Marktführer Blume 2000 alle Filialen geschlossen sind, hat Florali-Chef Jürgen E. Meyer inzwischen drei seiner vier Geschäfte in Othmarschen, Schenefeld und Rahlstedt für telefonische Bestellungen geöffnet. „Der Verkauf läuft auf kleinem Niveau. Aber so können wir einen Teil unserer 30 Mitarbeiter beschäftigen und etwas für die Kundenbindung tun“, sagt der Unternehmer. Seit Beginn der Krise hat Meyer drei Standorte seiner Kette geschlossen. „Jetzt kämpfen wir um die anderen vier Geschäfte“, sagt er. Direkt nach dem Beginn des zweiten Lockdowns Mitte Dezember hat er zudem den regionalen Online-Shop florali24.de gestartet.

Tessa Petzoldt setzt jetzt auf eine Wiedereröffnung der Blumenläden Anfang Februar. „Wir haben ja auch die Verantwortung für 20 Mitarbeiter, die fast alle in Kurzarbeit sind“, sagt sie. Eigentlich ist die Hamburgerin keine Frau, die schnell aufgibt. So hat sie während der Corona-Krise im Mai sogar einen neuen Laden eröffnet. „Aber mit dem, was wir im Moment an der Tür verkaufen, können wir nicht überleben“, sagt die zweifache Mutter. Wenn sich nichts ändere, werde es vielleicht eines Tages nach Corona auch nur noch abgepackte Blumen aus dem Supermarkt geben. „Ich verstehe nicht, dass wir im Frühjahr systemrelevant waren und jetzt im Winter nicht mehr.“

Hamburgs Corona-Regeln:

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg im Überblick

  • Alle Regeln, die im Rahmen der Eindämmungsverordnung bis zum 10. Januar gelten sollten, werden grundsätzlich bis zum 14. Februar verlängert – ein Großteil des Einzelhandels bleibt geschlossen, bestellte Waren dürfen aber abgeholt werden. "Körpernahe Dienstleistungen" wie Friseure, Nagel-, Massage- und Tattoo-Studios dürfen nicht angeboten werden. Auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit bleibt verboten.
  • Kontaktregeln Angehörige eines Haushalts dürfen sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Ausnahmen für Kinder gibt es nicht.
  • Die Maskenpflicht wird angepasst: Stoffmasken reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Stattdessen müssen medizinische Masken (mindestens OP-Masken, auch FFP2- oder KN95-Masken sind möglich) getragen werden. Bis zum 1. Februar gilt eine Übergangsphase, danach werden Verstöße mit Bußgeldern geahndet.
  • Kitas und Schulen: Die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt aufgehoben, stattdessen soll so weit wie möglich Distanzunterricht gegeben werden. Kinder sollen – wann immer möglich – zu Hause betreut werden. Die Kitas wechseln in die "erweiterte Notbetreuung". Die privat organisierte Kinderbetreuung in Kleingruppen bleibt gestattet.
  • Arbeitgeber sind angehalten, so weit wie möglich ein Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Zusätzlich soll eine neue Bundesverordnung Arbeitgeber dazu verpflichten, Homeoffice anzubieten, so weit das möglich ist. Betriebskantinen dürfen nur öffnen, wenn sie für den Arbeitsablauf zwingend erforderlich sind.
  • Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert über 200 steigen, müsste eine Ausgangsbeschränkung erlassen werden, die den Bewegungsradius auf 15 Kilometer rund um den Wohnort einschränkt. Wie genau diese Regel in Hamburg angewandt würde, ist noch nicht bekannt – der Senat will darüber entscheiden, sollte sich die Inzidenz dem Grenzwert annähern.
  • Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen mehrmals pro Woche Personal und Besucher testen. Das war in Hamburg schon verpflichtend und gilt nun bundesweit.
  • Zwei-Test-Strategie bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten: Ein Corona-Test direkt nach der Einreise ist verpflichtend, die zehntägige Quarantäne kann frühestens fünf Tage nach der Einreise durch einen weiteren Test verkürzt werden. Die Kosten für die Tests werden nicht übernommen.