Hamburg. Jede vierte Position im Topmanagement börsennotierter Firmen wird nun von einer Frau besetzt. Zum Jahreswechsel kamen drei neu hinzu.
Noch vor wenigen Jahren hatten sie einen Exotinnen-Status. Die Zahl der Frauen in den Vorständen von Deutschlands bedeutendsten Unternehmen ließ sich an den Fingern abzählen. Das ändert sich nun zunehmend.
„Es tut sich etwas in den Vorständen, immer mehr Topmanagerinnen schaffen es in die Spitzengremien der börsennotierten Unternehmen Deutschlands“, sagt Markus Heinen von EY (Ernst & Young) über die Ergebnisse der jüngsten Auswertung des Beratungsunternehmens.
Frauenquote – Hamburger Unternehmen sind weiter als andere
Demnach hatte Anfang 2023 erstmals die Mehrzahl der in den Börsenindizes DAX, MDAX und SDAX gelisteten Konzerne mindestens ein weibliches Vorstandsmitglied, es waren 83 der 160 in der Studie untersuchten Unternehmen. Die bedeutendsten börsennotierten Firmen mit Sitz in Hamburg sind da schon weiter, zeigt eine Auswertung unserer Redaktion.
In der Hansestadt trat zum Jahresbeginn in drei Konzernen jeweils eine neue Vorständin an. Beim Telekommunikationskonzern Freenet und beim Kupfer- und Metallhersteller Aurubis sind die Männer nun nicht mehr unter sich, bei der HHLA hat Vorstandschefin Angela Titzrath eine Kollegin im Topmanagement bekommen. Tanja Dreilich wird künftig die Finanzen des Hafenkonzerns verantworten.
Ein Viertel der Vorstandsmitglieder in Hamburg sind Frauen
Mit zwölf Frauen bei insgesamt 48 Vorstandsmitgliedern liegt der Anteil in Hamburg jetzt bei 25 Prozent, bundesweit sind es nach der EY-Auswertung erst 15,5 Prozent. Drei Viertel der Unternehmen in Hamburg haben mindestens eine Vorstandsfrau (siehe Tabelle), deutschlandweit nur etwas mehr als die Hälfte.
Und auch bei den Vorstandschefinnen ist die Frauenquote an der Elbe überdurchschnittlich. Mit Angela Titzrath und Petra von Strombeck beim Xing-Mutterkonzern New Work sind es zwei in den zwölf untersuchten Firmen, deutschlandweit laut der EY-Studie neun von 160. In unsere Auswertung gingen außer den in DAX, MDAX und SDAX gelisteten Hamburger Firmen auch die HHLA und die Reederei Hapag-Lloyd ein.
Aufstieg von Frauen hängt von Unternehmenskultur ab
Der EY-Experte Heinen lobt zwar die Fortschritte, sagt aber auch: „Es bleibt der Eindruck, dass es schneller gehen könnte und müsste. Es gibt genug Managerinnen, die sich in Führungspositionen behaupten können.“ Nach seiner Einschätzung ist es oft eine Frage der Unternehmenskultur, ob Frauen in die oberste Führungsetage aufrücken dürfen.
Von Firma zu Firma unterscheide sich, wie schwer der Weg nach ganz oben sei. Das klassische Rollenverständnis hätte sich in den vergangenen Jahren zwar stark verändert, aber: „Mitarbeiterinnen sind noch immer stärker etwa auf flexible Arbeitszeitangebote angewiesen als ihre Kollegen“, sagt Heinen.
Bei Beiersdorf sitzen drei Frauen im siebenköpfigen Vorstand
Seine jüngste Auswertung zeigt zudem, dass zwischen den großen und mittleren und kleinen börsennotierten Konzernen deutliche Unterschiede bestehen. In 85 Prozent der 40 DAX-Unternehmen sitzt mindestens eine Frau im Vorstand. Der Anteil beträgt 21,2 Prozent. Bei der Neubesetzung von Vorstandsposten kämen in der obersten Börsenliga immer häufiger Managerinnen zum Zuge. Von den 22 im vergangenen Jahr in DAX-Unternehmen berufenen Vorstandsmitgliedern waren elf Frauen. Im MDAX betrug der Frauenanteil in den Vorständen dagegen nur 12 Prozent, im SDAX 12,4 Prozent.
Bei Beiersdorf, dem einzigen DAX-Konzern mit Sitz in Hamburg, stiegen seit Anfang 2021 mit Astrid Hermann (Finanzen), Nicola Lafrentz (Personal) und Grita Loebsack (Marke Nivea) gleich drei Frauen in die oberste Managementebene auf. Zwei davon seit Beginn der Amtszeit von Vorstandschef Vincent Warnery.
Seit August 2021 gibt es ein Führungspositionen-Gesetz
„Ich bin überzeugt, dass ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis auf allen Ebenen nicht nur unsere Innovationskraft stärkt, sondern uns auch zu einem attraktiveren Arbeitgeber für internationale Talente macht“, sagt er. Die Aufgabe des Unternehmens bestehe auch darin, „Diversität und Inklusion gezielt zu fördern und so auch den positiven Wandel in unserer Gesellschaft mit zu bewirken und zu fördern“.
Weil die Frauenförderung in Unternehmen viele Jahre zwar versprochen wurde, aber in den Vorständen dann doch nur schleppend umgesetzt wurde, ist zumindest ein Teil der Konzerne dazu inzwischen verpflichtet. Seit August 2021 gilt in Deutschland ein neues sogenanntes Führungspositionen-Gesetz.
Keine Frau im Vorstand – dann kann inzwischen Bußgeld drohen
Dessen zentrale Bestimmung lautet: Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen müssen künftig mindestens eine Frau in den Vorstand berufen, wenn ihr Vorstand aus mehr als drei Personen besteht. Als das Gesetz in Kraft trat, galt diese Regelung laut Bundesfamilienministerium für 66 Firmen, von denen damals 21 noch keine Vorstandsfrau hatten.
Kurz vor Ende der einjährigen Übergangsfrist im August 2022 hatten die Aufsichtsräte von sieben Konzernen immer noch nicht gehandelt. Zu den Firmen, denen deshalb empfindliche Geldbußen drohten, gehörte laut Presseberichten auch der Hamburger Telekommunikationskonzern Freenet. Seit Anfang Januar ist die frühere Personalchefin Nicole Engenhardt-Gillé nun Personalvorständin und zugleich für Umwelt, Gesundheit und gute Unternehmensführung (Governance) zuständig.
Metallkonzern Aurubis legt wichtigste Zukunftssparte in die Hände einer Frau
Bei Aurubis, dem zweiten Hamburger Unternehmen, das seit dem Jahreswechsel erstmals eine Vorstandsfrau hat, hätten sie es bei einem dreiköpfigen reinen Männervorstand belassen können. Stattdessen wurde für Inge Hofkens ein vierter Vorstandsposten geschaffen.
Die Belgierin führt von ihrem neuen Schreibtisch in Hamburg aus im Metallkonzern nun die wachsende Recyclingsparte mit vier Werken in Europa und dem gerade entstehende Werk in den USA. Ins Metallrecycling, etwa von Elektroauto-Batterien, setzen Vorstandschef Roland Harings und der Aufsichtsratsvorsitzende Professor Fritz Vahrenholt große Zukunftshoffnungen.
Erstmals nach 157 Jahren ist eine Frau im Aurubis-Vorstand
Als die beiden die Personalie im Herbst verkündeten, war ausführlich von der Expertise die Rede, die sich Hofkens beim von Aurubis übernommen Recyclingspezialisten Metallo und zuletzt als Geschäftsführerin des Konzernstandorts im belgischen Olen erworben habe.
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Dass 157 Jahre nach der Gründung des Unternehmens erstmals eine Frau ins Topmanagement berufen wird, erwähnten sie mit keinem Wort. Die unausgesprochene Botschaft: Hofkens wird nicht Vorständin, weil sie eine Frau ist, sondern weil es im Unternehmen keinen anderen Menschen gibt, bei dem die Zukunftssparte in so guten Händen ist.
Jungheinrich wartete auf Technikvorständin fast 1,5 Jahre lang
Die Mehrzahl der Hamburger Vorständinnen ist für Personal oder für Finanzen zuständig, bundesweit ist das nicht anders. Sabine Neuß verantwortet beim Gabelstaplerbauer Jungheinrich hingegen seit Anfang 2020 das zentrale Technikressort und ist in dieser Funktion tatsächlich eine Exotin. In Industrie und Maschinenbau geht es traditionell etwas konservativer zu.
Jungheinrich aber tat viel, um Neuß als Nachfolgerin eines männlichen Technikvorstandes zu verpflichten, dessen Vertrag nicht verlängert worden war. Jungheinrich warb sie bei einem Konkurrenten ab, musste aber fast eineinhalb Jahre warten, bis sie in Hamburg antreten konnte. In der Zwischenzeit übernahm Vorstandschef Lars Brzoska zusätzlich die Verantwortung für das Technikressort.
Im Topmanagement dreier Firmen bleiben die Männer unter sich
Der Wind- und Solarparkbetreiber Encavis, der Pharmaforschungskonzern Evotec und der Windkraftanlagenbauer Nordex sind die drei Hamburger Unternehmen, in denen weiter ausschließlich Männer die ganz wichtigen Entscheidungen treffen. Gesetzlich verpflichtet sind sie nicht, eine Vorständin zu ernennen. Doch sie müssen sich beim Thema Frauen in Führungspositionen laut Gesetz zumindest feste Ziele setzen. Und wenn das Ziel lautet, keine Frau im Vorstand zu haben, dann müssen sie das ausführlich begründen. Tun sie das nicht, droht ebenfalls ein Bußgeld.
„Nordex will bis 2025 eine Frauenquote von mindestens 25 Prozent in Führungspositionen erreichen“, sagt ein Unternehmenssprecher. Schon 2020 habe der Aufsichtsrat dieses Ziel auch für den Vorstand beschlossen. „Vielfalt und Inklusion sind mir wichtig, weil sie Innovation und Entwicklung vorantreiben“, erklärt Vorstandschef José Luis Blanco. Absehbar wird vor Mitte des Jahrzehnts bei Nordex allerdings kein Vorstandsposten frei. Die Verträge der drei Männer laufen bis Mitte und Ende 2025.
Es dürfte noch dauern, bis alle großen Hamburger Unternehmen wenigstens eine Vorstandsfrau haben.