Hamburg. Die Jahresendziele der Fachleute – warum sie so optimistisch sind und wie es mit den Zinsen und der Inflation weitergeht.

Jahre wie diese dürften eher die Ausnahme sein: Der Aktienmarkt hat deutlich zugelegt, die Zinsen sind sehr kräftig gestiegen, und auch das Gold hat sich spürbar verteuert. Dabei hätten die wenigsten Kapitalmarktexperten vor zwölf Monaten erwartet, dass der Deutsche Aktienindex (DAX) um rund 20 Prozent klettern würde – Mitte Dezember erreichte er ein neues Allzeithoch und überwand kurzzeitig erstmals die Marke von 17.000 Punkten.

Anders als in etlichen der zurückliegenden Jahre blieben Hamburger Titel diesmal weit hinter den Standardwerten zurück: Der HASPAX, der Index der börsennotierten Unternehmen aus der Metropolregion Hamburg, kam nur um gut ein Prozent voran. Zu viele der 23 enthaltenen Titel mussten drastische Kursverluste hinnehmen, darunter New Work, Basler, About You und Hawesko.

Und dennoch: „Insgesamt war es ein Premium-Jahr für Anleger“, sagt Bernd Schimmer, Chef-Anlagestratege der Haspa. Vor zwölf Monaten hatte er für 2023 gerade einmal einen DAX-Endstand von 15.300 Punkten prognostiziert. Heute hätten die meisten Menschen längst vergessen, wie anders das Umfeld damals aussah, so der Experte: „Im Herbst 2022 fürchtete man noch eine Gasmangel-Lage.“ Außerdem habe kaum jemand erwartet, dass die Inflation so stark zurückgeht.

Haspa-Anlagestratege erwartet für 2024 höhere Dividenden

Und auch den Höhenflug der US-Technologiewerte habe man in diesem Umfang nicht voraussehen können: „Die Zukunftstechnologie der künstlichen Intelligenz ist durch ChatGPT plötzlich gewissermaßen anfassbar geworden – der dadurch ausgelöste Kursschub war eine Ausnahmesituation, wie ich sie noch nie erlebt habe.“

Auch für 2024 bleibt Schimmer bei seiner Prognose verhaltener als seine Kollegen aus der Hansestadt. Er rechnet damit, dass der DAX in einem Jahr im Bereich von 17.200 bis 17.600 Punkten notiert. Früh im Jahr werde der Markt aber voraussichtlich erst einmal „durchatmen“ – das sei dann eine gute Gelegenheit, Bestände aufzubauen. Zu den von Schimmer favorisierten Sektoren gehören die Bereiche Nahrungsmittel/Getränke, Versorger, aber auch Digitalisierung/Automation. „Unternehmen verstehen es mittlerweile sehr gut, ihre Gewinne auch bei stagnierender Konjunktur zu steigern“, sagt Schimmer. Damit seien auch höhere Dividenden zu erwarten – ein Faktor, mit dem gerade europäische Titel punkten könnten.

Ähnlich schätzt Sy Schlüter, Investmentchef des Hamburger Bankhauses Otto M. Schröder, die Börsensituation ein. „Aktienmärkte, die in der Nähe ihres Allzeithochs schließen, laufen selten direkt weiter nach oben“, sagt er. Schlüter rechnet für die nächsten Wochen oder Monate mit einer Korrektur, für den weiteren Jahresverlauf aber mit neuen DAX-Höchstständen. Nach seiner Beobachtung sind US-Aktien derzeit „sehr teuer“. Gerade die amerikanischen Titel sind aber in Welt-Indizes wie dem MSCI World, an dem sich viele börsennotierte Fonds (ETF) orientieren, sehr stark vertreten. Besonders gilt das für die führenden Technologie-Aktien mit enorm hohen Börsenwerten.

„Ich sehe eine Rückkehr der kleineren und mittelgroßen Börsenwerte“

Doch „je größer die Marktkapitalisierung, umso teurer ist meist die Aktie“, sagt Schlüter. Auch deshalb meint er: „Die Zeit der breit streuenden ETFs ist vorbei. Ich sehe eine Rückkehr der kleineren und mittelgroßen Börsenwerte.“ Angesichts der inzwischen deutlich zurückgegangenen Inflation sei nun auch mit Anleihen wieder Geld zu verdienen, wobei Unternehmensanleihen mit nicht zu hohem Risiko immerhin Renditen von vier bis fünf Prozent einbringen sollten. Schlüter würde sie gegenüber Staatsanleihen bevorzugen: „Staaten wirtschaften meist deutlich schlechter als gut geführte Unternehmen.“

Auch für 2024 „stehen die Ampeln an den Finanzmärkten insgesamt zumeist auf Grün“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg: „Anleger versuchen, auf die Trends der Zukunft zu setzen. Kurse streben bereits dann nach oben, wenn die Konjunktur noch schwächelt.“ Doch es gebe Grund zu der Annahme, dass die Konjunktur in Europa im Frühjahr wieder Tritt fassen kann und auch die US-Wirtschaft nach einer „sanften Landung“ dann in der zweiten Jahreshälfte wieder zu einem Wachstum von rund zwei Prozent zurückkehre.

Vor diesem Hintergrund rechnet man bei Berenberg mit einem DAX-Jahresendstand 2024 von 18.000 Punkten. Gute Perspektiven sieht Schmieding daneben für europäische „Titel kleiner und mittlerer Unternehmen, um die Anleger derzeit oftmals einen großen Bogen machen.“

Die Inflationsrate könnte schon im Sommer wieder bei zwei Prozent liegen

Carsten Klude, Chefvolkswirt bei der Hamburger Privatbank M.M. Warburg & CO, gibt ebenfalls ein DAX-Ziel von 18.000 Punkten an, wobei zunächst aber wahrscheinlich ein „kleiner Rücksetzer zu Jahresbeginn“ überwunden werden müsse. Basis für die 18.000-Punkte-Prognose ist das von Klude erwartete leichte Wachstum der Unternehmensgewinne bei gleichbleibender – inzwischen sehr moderater – Bewertung. „Sollten sich die Bewertungen aber auf das von früher gewohnte Niveau normalisieren, könnte es auch in Richtung 19.000 Punkte gehen“, fügt Klude an.

Im Hinblick auf die Verbraucherpreise ist Klude optimistischer als manche seiner Kollegen: „Die Inflationsrate könnte schon im Sommer nur noch bei etwa zwei Prozent liegen.“ In dieser Hinsicht ist Schimmer vorsichtiger. Nach seiner Auffassung wird sich die Teuerungsrate „in Richtung 2,5 Prozent am Jahresende 2024 bewegen“, der von der Europäischen Zentralbank angestrebte Wert von rund zwei Prozent werde wohl erst 2025 wieder erreicht.

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Die Aussicht auf „im Jahresverlauf sinkende Leitzinsen dürfte die globalen Aktienmärkte auch im kommenden Jahr beflügeln“, sagt Carsten Mumm, Chefvolkswirt des Bankhauses Donner & Reuschel mit Sitz in Hamburg und München. In der Eurozone könne sich eine erste Leitzinssenkung „schon im Laufe des zweiten, spätestens aber im dritten Quartal konkretisieren“, erwartet er.

Zudem seien die Bewertungen vieler Aktien durch die Kursschwäche besonders in denjenigen Branchen, die unter der schwachen Konjunktur und dem rasanten Zinsanstieg des zurückliegenden Jahres litten, „mittlerweile nicht mehr überzogen“, so Mumm. Damit hätten die Standardwerteindizes der Industrienationen ein Kurssteigerungspotenzial von bis zu 10 Prozent – was für den DAX auf Jahressicht ein Ziel von etwas über 18.000 Punkten bedeuten würde.