Hamburg. Dringend erwartete Produkte können nicht abtransportiert werden. Kosten für Spediteure steigen. Was Finanzsenator Dressel anbietet.

Seit Wochen wird die Tarifauseinandersetzung für den öffentlichen Dienst der Länder von Streiks begleitet. Während die Arbeitsniederlegungen in vielen Hamburger Branchen ohne direkte Folgen bleiben, schlagen die Spediteure in der Hansestadt jetzt Alarm. Sie beklagen einen anwachsenden Stau bei den Importen im Hamburger Hafen.

Denn bei jedem Streiktag, den die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di für die Beschäftigten ausruft, wird auch beim wichtigen Veterinär- und Einfuhramt (VEA) im Hamburger Hafen die Arbeit eingeschränkt. Dringend erwartete Produkte bleiben liegen. Zudem entstehen immense Kosten, weil die Lkw-Fahrer auf die Freigabe ihrer Ware warten müssen.

Hafen Hamburg: Beschäftigte des Veterinär- und Einfuhramtes streiken

Am Montag arbeitete zwar die Vormittagsschicht am Kontrollpunkt Altenwerder. Doch da der Schneeräumdienst streikbedingt nicht tätig war, kamen die Lkw nicht die Rampe hinauf, was zu Verzögerungen führte. Die Nachmittagsschicht des VEA am Reiherdamm kündigte hingegen an, nicht arbeiten zu wollen.

Zuvor hatten die Beschäftigten des Veterinär- und Einfuhramtes im Hafen bereits fünfmal im laufenden Monat die Arbeit ganztägig niedergelegt. Der Umfang und Dauer dieser Arbeitsniederlegungen übersteige inzwischen völlig den Charakter eines Warnstreiks, kritisiert der Verein Hamburger Spediteure (VHSp).

Im Streik: Verbotene Stoffe in Lebensmitteln können so nicht aufgespürt werden

„Auch bei vollem Zugeständnis der Rechtmäßigkeit von harten Tarifauseinandersetzungen und bei allem Verständnis für Arbeitnehmerinteressen: Diese Form des Arbeitskampfes ist ein massiver Eingriff in die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter und zieht einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden nach sich“, sagt Axel Plaß, Vorsitzender des VHSp.

Denn der reibungslose Betrieb des VEA mit seinen rund 80 Mitarbeitern ist essenziell: Mit den Grenzstellen im Hamburger Hafen und am Flughafen kontrolliert das Amt sowohl die Einfuhr als auch die Durchfuhr (Transit) aller Sendungen mit Erzeugnissen tierischer Herkunft – Lebensmittel und Nichtlebensmittel – sowie einiger pflanzlicher Lebensmittel aus Drittländern. Das ist notwendig, um verbotene Stoffe in der Ladung aufzuspüren, etwa Nitrofuran bei Geflügelfleisch aus Südamerika oder bei Shrimps aus Thailand. Das Tiermedikament Nitrofuran wird dort zur Parasitenbekämpfung verabreicht. In der Europäischen Union ist es verboten, weil es als erbgutschädigend und krebserregend gilt.

Hafen Hamburg vom Streik betroffen, Einfuhren werden umgeleitet

Die eigentliche Freigabe der Waren nehmen Amtstierärzte vor, die nicht streiken. Doch das Ziehen der Proben und das Schreiben der Berichte wird von Tarifangestellten ausgeführt. Arbeiten diese nicht, steht der Betrieb. „Diese Arbeitsniederlegungen einiger weniger schädigen einmal mehr den Wirtschaftsstandort Hamburg“, schimpft Plaß. Erste Mitgliedsunternehmen hätten bereits angekündigt, ihre Einfuhren umzuleiten. In Bremerhaven und Wilhelmshaven streike die Einfuhrkontrolle nicht.

Der Aufwand für die Fuhrunternehmen sei nämlich gewaltig: „Hat ein Spediteur beispielsweise einen Container mit Frischfleisch an einem Umschlagterminal abgeholt und stellt dann fest, dass dessen Kontrolle sich auf den nächsten Tag verschiebt, kann er die Ware ja nicht stehen lassen. Er muss den Container zum Terminal zurücktransportieren, damit der Kühlcontainer dort wieder an die Energieversorgung angeschlossen wird“, erklärt Thomas Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des VHSp. Bis zu 30.000 Euro würden die Spediteure pro Streiktag verlieren.

Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro

Vor der dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst der Länder am 7. Dezember in Potsdam gingen am Montag allein in Hamburg Tausende Beschäftigte auf die Straße. Vom Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof zogen sie durch die Mönckebergstraße zur Finanzbehörde am Gänsemarkt – dort hat der Verhandlungsführer der Bundesländer seinen Sitz: Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).

Der kennt die Forderungen der Gewerkschaften zwar in- und auswendig, dennoch wurden sie am Montag erneut lautstark vorgetragen: 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat, sollen es sein. Nachwuchskräfte sollen 200 Euro mehr erhalten und Auszubildende unbefristet übernommen werden.

Forderung: „Wer für Hamburg arbeitet, muss in Hamburg leben können“

Eine besondere Bedeutung hat die Forderung, dass Mitarbeiter in Stadtstaaten wie Hamburg eine neue Zulage von 300 Euro im Monat bekommen (150 Euro für Nachwuchskräfte) sollen. Das hat zwei Hintergründe: Zum einen weisen die Gewerkschaften darauf hin, dass das Leben in Großstädten wie Hamburg oder Berlin deutlich teurer ist als im Umland, vor allem wegen der höheren Mieten. Daher müssten die Beschäftigten hier mehr verdienen: „Wer für Hamburg arbeitet, muss in Hamburg leben können“, lautet ihr Slogan.

Zweitens werde die Situation noch dadurch verschärft, dass in den Stadtstaaten viele kommunale Aufgaben von Landesbeschäftigten übernommen werden, die nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) entlohnt werden, während die gleichen Tätigkeiten in den Flächenländern nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) besser bezahlt werden. Wie das Abendblatt berichtete, kann das Unterschiede von 300 bis 600 Euro ausmachen. „Wir brauchen die Stadtstaatenzulage, die Angleichung im Sozial- und Erziehungsdienst und ein ordentliches Gehaltsplus, sonst blutet der öffentliche Dienst in Hamburg aus“, sagte Nicole Drücker, Mitglied der Ver.di-Bundestarifkommission.

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Der TVöD für rund 2,5 Millionen Beschäftigte bei Bund und Kommunen war bereits im Frühjahr neu abgeschlossen worden. Der jetzt verhandelte TV-L betrifft bundesweit 1,2 Millionen Beschäftigte der Länder sowie knapp 1,3 Millionen Beamte, auf die das Ergebnis in der Regel übertragen wird. In Hamburg sind etwa 46.000 Tarifbeschäftigte (inklusive Auszubildenden) sowie indirekt 42.000 Beamte betroffen. Außer im Hafen könnten die Bürger den Arbeitskampf auch zu spüren bekommen, weil etwa der „Hamburg Service vor Ort“ (früher Kundenzentren) personell unterbesetzt ist oder die Nachmittagsbetreuung an Grundschulen ausfällt.

Finanzsenator Dressel schlägt einheitliche Einmalzahlung für alle Beschäftigten vor

Während die Demonstranten vor seiner Behörde lautstark auf sich aufmerksam machten, wies Finanzsenator Dressel in seiner Rolle als Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) den Vorwurf zurück, die Arbeitgeber hätten bislang kein Angebot vorgelegt. Man könne sich vorstellen, den TVöD-Abschluss „in seiner Struktur“ zu übernehmen, sagte er in einer Telefonkonferenz mit Jounalisten. Das würde vor allem eine kräftige Einmalzahlung und ein spätere lineare Anpassung der Löhne bedeuten – in welcher Höhe, müsse man verhandeln. Dass es mehr als die 2,8 Prozent beim letzten Abschluss sein müssen, sei den Ländern bewusst.

Die Einmalzahlung eröffne aus seiner Sicht die Möglichkeit, den Beschäftigten sehr schnell mehr Geld ins Portemonnaie zu überweisen. Sie sei zudem sehr sozial, weil alle Beschäftigten, unabhängig von ihrer Lohngruppe, die gleiche Summer bekämen, so Dressel. Er halte eine Verständigung schon bei der nächsten Verhandlunsgrunde, die am Donnerstag und Freitag in Potsdam stattfindet, für möglich.

Streik im öffentlichen Dienst gehen weiter – Finanzsenator Dressel warnt

Kritisch sehe die TdL dagegen die Stadtstaatenzulage, sagte Dressel. Als Beispiele nannte er die Landeshauptstädte Stuttgart, Düsseldorf und Bremen: In den ersten beiden seien die Lebenshaltungskosten deutlich höher, es seien aber im Gegensatz zu Bremen keine Stadtstaaten. Die Zulage würden also nur Beschäftigte in der günstigsten Stadt bekommen. „Damit eröffnen wir neue Ungerechtigkeitsthemen“, so der TdL-Chef. Um Beschäftigte in teuren Großstädten wie Hamburg zu entlasten, könnten sich die Länder eine Beteiligung an den Kosten für das Deutschlandticket vorstellen – das würden vor allem Beschäftigten in großen Ballungsräumen nutzen.

Vorerst wird jedeoch weiter gestreikt: Für Dienstag ruft Ver.di zu Warnstreiks mit dem Schwerpunkt „Umwelt“ auf.