Hamburg. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wird selbst für soziale Vermieter immer schwieriger. Wie es zu der Preisexplosion gekommen ist.
„Die Kaifu – über 100 Jahre bezahlbares Wohnen in Hamburg.“ Der Slogan auf der Homepage der Genossenschaft lässt keinen Zweifel daran, welchen Geschäftszweck man verfolgt. Und wer mehr als 5000 Wohnungen in der Hansestadt zu einer Durchschnittsmiete von knapp unter 7 Euro pro Quadratmeter anbietet, kann von sich wohl behaupten, dass er diesem Anspruch gerecht wird.
Umso zerknirschter ist Vorstand Dennis Voss, wenn er über das jüngste Projekt der Kaifu-Nordland eG redet: „Lokstedt 67“. Das nach dem Bebauungsplan benannte Vorhaben umfasst 106 neue Wohnungen, davon 20 gefördert und 86 frei finanziert, dazu eine Kita mit 80 Plätzen. Im großen Besprechungsraum der Genossenschaft mit Blick auf die Kieler Straße holt Voss weit aus, schlägt einen Bogen von ersten Ideen im Jahr 2014 über die lange Planungs- und Abstimmungsphase mit Behörden, Anwohnern und Mitgliedern bis zum quälend langen Warten auf eine Baugenehmigung. Und dann, ja dann …, dann seien für die 86 frei finanzierten Wohnungen halt „knapp 20 Euro pro Quadratmeter“ Miete herausgekommen.
Wohnen in Hamburg: Genossenschaft vermietet für 20 Euro Miete pro Quadratmeter
Die Zahl kommt Voss nicht so leicht über die Lippen. Kein Wunder. 20 Euro pro Quadratmeter und Genossenschaft – das passt auf den ersten Blick nicht zusammen, das ist selbst im teuren Hamburg sehr gehobenes Niveau. Zum Vergleich: Die reale monatliche Nettokaltmiete beträgt laut einer Studie im Auftrag der Hamburger Wohnungswirtschaft im Durchschnitt 8,71 Euro pro Quadratmeter, der Mietenspiegel, der nur neu vereinbarte Mieten abbildet, liegt bei 9,29 Euro pro Quadratmeter, und durchschnittliche Angebotsmieten variieren je nach Studie zwischen 12 und 15 Euro. Wie kommt eine Genossenschaft dann auf 20 Euro?
Dafür muss man sich die lange Geschichte des Projekts „Lokstedt 67“ genauer anschauen. Weil freie Flächen, auf denen man schnell und günstig bauen kann, in Hamburg rar sind, fiel der Blick der Kaifu vor knapp zehn Jahren auf ein eigenes Grundstück am Lohkoppelweg in Lokstedt, auf dem sie bereits Wohnungen besaß. Kann man da nicht noch mehr bauen, Stichwort Nachverdichtung?
Lokstedt 67: Anwohner waren teilweise gegen das Projekt – Bezirksamt unterstützte es
Als man 2016 mit der Planung begann, waren nicht alle Betroffenen begeistert, wie Voss einräumt. Einige Anwohner wollten nicht schon wieder eine Baustelle vor ihrer Tür haben, Mieter sorgten sich um ihre Pkw-Stellplätze, wieder anderen waren es zu viele Geschosse. In diversen Beteiligungsformaten lotete man Kompromisse aus, nahm etwa die Anregung auf, ein sanierungsbedürftiges Bestandsgebäude mit 32 Wohnungen abzureißen und ebenfalls neu zu bauen. Mühsam sei das gewesen, so Voß. Aber es ging voran.
Auch weil das Bezirksamt die Pläne unterstützte – Wohnungen und Kitas werden schließlich dringend gebraucht. Doch auch mit der Behörde musste man diverse Extrarunden drehen, unter anderem weil sich nach der Wahl 2019 die Machtverhältnisse in der Bezirksversammlung geändert hatten. Auf Rot-Grün folgte Grün-Schwarz, zerplatzte aber auch bald, seitdem regieren wechselnde Mehrheiten in Eimsbüttel. Auch das: mühsam. Aber im August 2021 konnten endlich die Bauanträge gestellt werden. Alles gut? Mitnichten.
18 Monate Warten auf die Baugenehmigung – das hat die Kalkulation zerstört
„Dann hat es noch einmal 18 Monate gedauert, bis wir eine Baugenehmigung erhalten haben“, so Voss. Das ist etwa doppelt so lang wie die Bearbeitung von Bauanträgen nach Senatsangaben sonst selbst bei komplexen Verfahren dauert. „So eine lange Bearbeitungsdauer ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel“, findet Voss. „Immer wieder wurden Unterlagen nachgefordert – und das, nachdem wir uns in diversen Besprechungen mit dem Bezirksamt auf einen städtebaulichen Vertrag verständigt hatten und der ebenso aufwendig abgestimmte Bebauungsplan verabschiedet war.“
Das Bezirksamt schiebt den Schwarzen Peter hingegen der Genossenschaft zu: Die Bearbeitungsdauer ergebe sich „aus den mangelhaften und unvollständigen eingereichten Bauvorlagen“, heißt es auf Abendblatt-Anfrage. Diese seien für den ersten Bauabschnitt erst im August 2022 und für den zweiten im Dezember 2022 vollständig gewesen. Wenige Monate später seien die Genehmigungen erteilt worden. Aus Kaifu-Sicht ist das „nicht nachvollziehbar“: Die Bauanträge hätten „alle zu diesem Zeitpunkt geforderten Unterlagen“ enthalten.
Von 0,9 auf 3,7 Prozent Zinsen: Daher muss die Kaifu 20 Euro Miete nehmen
So oder so blieb das nicht ohne Folgen für das Projekt. „Dadurch sind wir in die Phase des russischen Kriegs gegen die Ukraine mit all seinen Folgen wie Zins-und Baupreissteigerungen geraten“, sagt der Kaifu-Vorstand. Zwar setze man bei dem 50-Millionen-Euro-Projekt schon viel Eigenkapital ein.
Aber wenn man für ein 27-Millionen-Euro-Darlehen 3,7 statt der vorher kalkulierten 0,9 Prozent Zinsen zahlen müsse, zerstöre das jede Kalkulation. „Und weil jedes Projekt bei uns in sich wirtschaftlich sein soll, müssen wir nun statt 14 bis 15 knapp 20 Euro pro Quadratmeter Miete nehmen. Das ist überhaupt nicht in unserem Sinn als Genossenschaft.“
Über einen Stopp des Bauvorhabens habe man natürlich nachgedacht, so Voss, aber es sei schon zu weit fortgeschritten gewesen. „Wir hatten bereits das Bestandsgebäude mit 32 Wohnungen abgerissen und viel Geld in die Planung gesteckt.“
Außerdem bleibe das Projekt ja sinnvoll und wichtig. Die 86 frei finanzierten Wohnungen seien alle barrierearm, dazu 20 geförderte Wohnungen, eine Kita und eine Aufwertung des Umfeldes, zählt Voss auf: „Insgesamt wird das Quartier also schöner und attraktiver. Deshalb ziehen wir dieses Bauvorhaben jetzt durch, auch wenn wir eine Miete verlangen müssen, die uns als Genossenschaft schmerzt.“
20 Euro Miete werden sich nur neue Genossenschaftsmitglieder leisten können
Eine Quersubventionierung durch eine minimale Anhebung der anderen 5000 Mieten komme für die Genossenschaft nicht infrage: „Wir können und wollen nicht für wenige Mitglieder die Miete drücken, indem wir alle anderen Mitglieder zur Kasse bitten.“
Dem Vorstand ist aber auch bewusst, dass die knapp 20 Euro die meisten Kaifu-Mitglieder überfordern werden und daher neue, zahlungskräftigere Menschen eine Mitgliedschaft beantragen werden, um so eine Wohnung mieten zu können. Das Interesse sei groß.
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Ob Kaifu-Nordland trotz dieser Erfahrungen noch weitere Wohnungen bauen wird, sei offen, sagt Dennis Voss. Man prüfe derzeit zwar ein Projekt in Schnelsen. „Aber damit werden wir erst anfangen, wenn ,Lokstedt 67‘ abgeschlossen ist.“ 2025 soll der zweite Bauabschnitt fertig sein.
Die Rahmenbedingungen für eine Kalkulation seien derzeit nicht verlässlich genug und die Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse generell zu langwierig. „Manchmal fehlt nur Personal in den zuständigen Behörden“, stellt Voss fest. „Aber wir wünschen uns auch mehr Technologieoffenheit und weniger Vorschriften. Wenn die Stadt will, dass wir den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum schaffen, muss sie uns auch unterstützen und ihre Abläufe beschleunigen.“
Genossenschaft fordert mehr Tempo bei den Baugenehmigungen
Mit einem Auftaktmeeting zu jedem Projekt, bei dem sich alle beteiligten Stellen abstimmen, bis wann welche Unterlage vorliegen soll, wäre viel gewonnen, findet er. „Heute wartet oft eine Stelle auf die andere, und wenn eine nicht liefert, macht die andere nicht weiter – das kostet zu viel Zeit.“
Beim Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der vor allem soziale Vermieter wie die Genossenschaften vertritt, rennt er damit offene Türen ein: „Unsere Mitgliedsunternehmen vermieten rund die Hälfte aller überhaupt auf dem Hamburger Wohnungsmarkt mietbaren Wohnungen für durchschnittlich 7,22 Euro pro Quadratmeter netto-kalt“, rechnet VNW-Direktor Andreas Breitner vor. „Sie behalten und bebauen ihre Grundstücke und verkaufen und spekulieren nicht damit. Sie machen genau das, was der Staat selbst machen würde.“
Mieten Hamburg: Wohnungsverband schimpft über Vorschriften: „Irre“
Doch statt ihnen für ihre Bauprojekte den roten Teppich auszulegen, „will man ihnen städtische Grundstücke nur noch verpachten und setzt sie vor dem hohen Altar des Bauprüfungsbeamten mit den Benkos und Adlers dieser Welt gleich“, schimpft der Verbandschef. „Nichts läuft für sie schneller, einfacher oder flexibler. Ein Labyrinth an Forderungen, Wünschen und angeblich benötigten Gutachten“, so Breitner, der dafür nur ein Wort findet: „Irre.“
Die Bauämter in den Bezirken seien der Flaschenhals bei den Baugenehmigungen und machten ihn dadurch noch teurer, sagt der VNW-Chef: „Teurer Mietwohnungsbau führt zu hohen Mieten.“ Manchmal sogar 20 Euro bei einer Genossenschaft.