Hamburg. Genehmigungszahlen sinken. Wie der Senat versucht, mehr Wohnraum zu schaffen. Warum das für die SPD wahlentscheidend sein kann.
Mitunter ist es in der Politik wie im Sport – da passieren Fehler und Eigentore, die sich kein Drehbuchautor ausdenken könnte. So eines hat vorige Woche der rot-grüne Senat geschossen, genauer gesagt die Stadtentwicklungsbehörde. Auf die schriftliche Kleine Anfrage (SKA) der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Anke Frieling, wie viele Wohnungen im ersten Quartal 2023 genehmigt wurden, antwortete sie: 392.
Dazu muss man wissen: Diese Frage ist hochbrisant. Seit Olaf Scholz 2011 versprochen hatte, den Wohnungsbau anzukurbeln, hat insbesondere seine SPD kein Thema so vor sich hergetragen wie dieses. Erst wollte man 6000 Wohnungen pro Jahr genehmigen – wurde geschafft. Dann sogar 10.000 – wurde auch erreicht. Voller Stolz feierte man sich, in Teilen durchaus berechtigt, als bundesweites Vorbild.
Wohnen Hamburg: Seit ein bis zwei Jahren stottert der Wohnungsbaumotor
Doch seit ein bis zwei Jahren stottert der Wohnungsbaumotor, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Flächenknappheit, Fachkräftemangel, steigende Zinsen und Rohstoffpreise, gestörte Lieferketten und eine Bundesregierung, die Förderprogramme streicht und mit ihren Heizungsplänen verunsichert. Dazu gibt es hausgemachte Probleme wie die umstrittene Einigung mit zwei Volksinitiativen, in deren Folge die Stadt praktisch keine Grundstücke mehr verkaufen darf.
In so einer Situation ist die Frage nach Wohnungsbaugenehmigungen also hochpolitisch. Da sollte man dreimal draufschauen, und das passiert ja auch. Ganz am Ende muss jede SKA von der Runde der Staatsräte unter Vorsitz des Chefs der Senatskanzlei freigegeben werden. Und dennoch war die genannte Zahl falsch.
Im ersten Quartal wurden 1321 Wohneinheiten genehmigt
Wie sich erst auf Nachfrage des Abendblatt herausstellte, wurden im ersten Quartal in Wahrheit 1321 Wohneinheiten genehmigt – die 392 waren nur eine Teilmenge aus einem Monat. Das änderte aber nichts an der Schockwirkung. „Die Zahlen sorgen für traurige Gewissheit“, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), ganz so als wäre der Wohnungsbau zu Grabe getragen worden.
So weit ist es noch nicht, aber etwas Rechenschieberei verdeutlicht die Dramatik: Vergleicht man für alle Jahre seit 2012 die Genehmigungszahlen aus dem ersten Quartal mit dem Ergebnis für zwölf Monate, kam am Ende immer das Drei- bis Sechsfache heraus. Hochgerechnet dürften in 2023 also 4000 bis 8000 Wohnungen auf den Weg gebracht werden – was nicht nur der niedrigste Wert seit 2012 wäre (8731 Genehmigungen), sondern sehr wahrscheinlich ein Rückfall in die von der SPD bis heute leidenschaftlich kritisierte Vor-Scholz-Ära.
Senat hält an seinem Ziel fest: 10.000 Wohnungsgenehmigungen pro Jahr
Und das ist nicht nur für die Stadt und ihre Bürger ein Problem, sondern auch für die Sozialdemokraten, gerade mit Blick auf die Wahlen 2024 (Bezirksversammlungen) und 2025 (Bürgerschaft). Ihr Gewinner-Thema könnte zum Schwachpunkt werden. Offiziell wird das politische Ziel daher nicht aufgegeben: „Wir halten am Ziel von 10.000 Wohnungsgenehmigungen pro Jahr fest“, hatte die neue Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) schon zum Antritt vor einigen Monaten gesagt. Dabei ist ihr und allen Experten natürlich klar, dass das in diesem und den nächsten Jahren kaum zu erreichen ist.
Etwas besser sieht es für die Fertigstellungszahlen aus. Noch gibt es einen Überhang von 26.000 Wohnungen, die zwar genehmigt, aber noch nicht realisiert wurden. Rund 8000 sind derzeit im Bau – da kommt also noch einiges aus den „guten Zeiten“ auf den Markt. Doch auch hier ist der Trend deutlich: 2020 wurden 11.269 Wohneinheiten fertig, 2021 nur noch 7836 – und 2022 dürfte es nicht besser geworden sein. Die Zahlen sollen in einigen Wochen vorliegen.
Als Schuldigen haben die Sozialdemokraten Robert Habeck auserkoren
Und nun? Als Schuldigen haben die Sozialdemokraten vor allem den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auserkoren. Mit seinem Förderstopp für energieeffiziente Gebäude und seinen unausgegorenen Heizungsplänen verhindere er geradezu den Bau bezahlbarer Wohnungen, wettert SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf schon seit Monaten.
Die Grünen sehen das naturgemäß etwas anders, ohne dass es darüber großen Knatsch in der Koalition gibt. Denn einig ist man sich immerhin, dass Hamburg an den Rahmenbedingungen – Stichworte Zinsen, Baupreise, Fachkräftemangel und Heizungs-Streit in der Ampel – ohnehin nichts ändern kann. Daher sollte man sich auf die Stellschrauben konzentrieren, an denen die Stadt selbst drehen kann. Vorteil: Davon gibt es eine ganze Menge. Nachteil: Sie können jeweils nur eine geringe Wirkung entfalten.
Für Förderung von Sozialwohnungen bis zu 750 Millionen Euro pro Jahr
Beispiel Sozialwohnungen: Rot-Grün hat die Förderung Anfang des Jahres erneut erhöht und stellt nun bis zu 750 Millionen Euro im Jahr dafür bereit. Die Hoffnung ist, dass viele Investoren, die sich sonst mit neuen Projekten zurückhalten, nun die staatliche Förderung mitnehmen und Sozialwohnungen bauen. Dieser werde attraktiver, räumt VNW-Chef Breitner ein, dessen Verband die „sozialen“ Vermieter wie Genossenschaften vertritt. „Nur kann und wird dieser nicht den Eigentumswohnungsbau und frei finanzierten Mietwohnungsbau kompensieren.“ Zur Erinnerung: Eigentlich setzt Hamburg erfolgreich auf einen „Drittelmix“ aus frei finanzierten, Eigentums- und Sozialwohnungen. Breitner warnt daher davor, die Fehler der 1960er- und 1970er-Jahre zu wiederholen und „monostrukturelle Problemstadtteile“ zu schaffen.
Im Regierungslager geht man aber nicht davon aus, dass nun tausendfach Sozialwohnungen entstehen werden. 2022 habe man weniger als 2000 genehmigt, daher werde man 2023 kaum die 3000 überschreiten – die eigentlich das Minimalziel des Senats sind. Mit anderen Worten: Diese erhöhte Förderung kann helfen, aber nicht das Grundproblem heilen.
Entgegenkommen bei Erbpachtbedingungen hat nur geringe Auswirkungen
Beispiel Erbpacht: Bekanntlich setzt der Senat schon länger darauf, städtische Flächen nicht mehr zu verkaufen, sondern zu verpachten. Die Einigung mit den Volksinitiativen zwingt ihn nun bis auf wenige Ausnahmen dazu. Die Wohnungswirtschaft lief Sturm dagegen. Doch mittlerweile nähert man sich an. Dass Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) kürzlich in der Handelskammer verkündete, den Erbpachtzins auf den bundesweit niedrigsten Wert von 1,3 Prozent abzusenken, wurde von anwesenden Wirtschaftsvertretern goutiert – schließlich zahlt man bei einer freien Baufinanzierung aktuell rund vier Prozent. Allerdings nicht bis zu 100 Jahre lang wie bei Erbpachtverträgen.
Offiziell wird die Kritik zwar aufrecht erhalten. Doch bei den Genossenschaften wird auch erfreut registriert, dass Dressel sich stundenlang Zeit nahm, um mit ihnen über die Ausgestaltung der Erbpachtkonditionen zu sprechen. Und hinter vorgehaltener Hand heißt es, in Wahrheit sei dieses Thema nur selten der Grund, dass nicht gebaut werde, sondern sehr viel öfter die bundesweiten Rahmenbedingungen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Auch noch so viel Entgegenkommen bei den Erbpachtbedingungen wird den Wohnungsbau nicht entscheidend ankurbeln.
Beispiel Erleichterungen für Bauherren: Der eine weiß von 1700 DIN-Normen, der andere von 20.000 Vorschriften, die beim Hausbau einzuhalten seien. Fest steht: Es ist ein bürokratischer Wahnsinn, der Investoren abschreckt. Die Stadt ist da auch seit Jahren dran. „Die meisten von uns wussten, wo beim Nachbarn das Klo ist“, hatte schon Olaf Scholz 2016 seinen Genossen auf einem Parteitag in Anspielung auf seine Kindheit in Rahlstedt zugerufen, um ihnen ein Serien-Haus schmackhaft zu machen: Einmal geplant und genehmigt, dann mit wenig Aufwand immer wieder gebaut. Im Schulbau geht die Stadt mit dem „Hamburger Klassenhaus“ einen ähnlichen Weg.
Scholz: „Die meisten von uns wussten, wo beim Nachbarn das Klo ist“
Nun setzen SPD und Grüne ihre Hoffnung auf den „Gebäudetyp E“ – das steht für „einfaches“ oder „experimentelles“ Bauen und soll Abweichungen von DIN-Normen ermöglichen. Allerdings gibt es vorerst nur einen Prüfauftrag an den Senat, der sich auf Bundesebene einsetzen möge … Kurzum: Eine charmante Idee (übrigens der Bayerischen Architektenkammer), die helfen könnte, aber sicher nicht kurzfristig und im großen Stil.
Unklar ist auch noch, was die sinkenden Immobilienpreise bedeuten, über die die Stadt am Donnerstag berichtet hat. 2022 sei ein Rückgang um vier Prozent bei Eigentumswohnungen und elf Prozent bei Einfamilienhäusern zu verzeichnen gewesen. Stadtentwicklungssenatorin Pein sah darin eine „Trendwende“ am Wohnungsmarkt: „Das wirkt sich auch auf die Bodenrichtwerte und damit auf zukünftige Neubauvorhaben aus.“ Andere, wie CDU-Stadtentwicklungsexpertin Anke Frieling, sind da skeptischer. Auch für VNW-Chef Breitner sind die Zahlen „kein Grund zur Entwarnung. Bauen und Grundstücke in Hamburg sind nach wie vor viel zu teuer, als dass ein Bauboom zu erwarten ist.“ Der Preisrückgang sei überwiegend auf die wirtschaftlichen Bedingungen zurückzuführen.
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Wohnen Hamburg: Tschentscher hörte sich Sorgen der Immobilienexperten an
Dennoch ist man in der Bauwirtschaft gut auf die Senatorin zu sprechen, die Ende 2022 ins Amt kam. Extrem sachkundig und engagiert sei die frühere Chefin der Stadtentwicklungsgesellschaft IBA, heißt es. So wird aufmerksam registriert, dass Pein viel mit Investoren und Projektentwicklern spricht und sich erkundigt, wo bei welchem Projekt der Schuh drückt. Dabei denkt sie auch mal laut über eine weitere Förderung für den Wohnungsbau nach – auch wenn diese Überlegungen noch nicht ausgereift seien, wie es aus ihrem Umfeld heißt.
Auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist in dieser Mission unterwegs. Auf einer Veranstaltung der Genossenschaften vor einigen Wochen war er nur für 30 Minuten angekündigt, blieb aber fast zwei Stunden, ging von Tisch zu Tisch und hörte sich die Sorgen der Immobilienexperten an, wie Teilnehmer erstaunt berichten. Einigen bot er sogar an, sich bei Problemen per Mail bei ihm zu melden.
Das zeigt: Nicht nur für die Stadt und Bürger auf Wohnungssuche geht es um viel. Für die SPD auch.