Hamburg. Der Technologiekonzern setzt verstärkt auf künstliche Intelligenz. Sogar bei Maschinen zur Impfstoffproduktion ist sie hilfreich.

Bei der Bäckereikette Junge entscheidet eine selbstlernende Software, wie viele Brötchen, Brote, Gebäckstücke und Snacks an welchem Wochentag in eine der knapp 50 Hamburger Filialen geliefert werden. Sie berücksichtigt dabei die Verkaufszahlen aus der Vergangenheit, aber zum Beispiel auch die Wettervorhersage und ob in der Umgebung eine Großveranstaltung stattfindet. Die Idee dahinter: Bei Geschäftsschluss soll möglichst wenig unverkaufte Ware in der Filiale zurückbleiben.

Im Stahlwerk Hamburg hilft künstliche Intelligenz, den Ausschuss bei der Drahtproduktion zu verringern. Und der Onlinehändler Otto startete unlängst Tests mit einem virtuellen Verkaufsassistenten, der die Fragen von Kundinnen und Kunden ähnlich gut wie ein Mensch verstehen und beantworten kann.

KI: Digitalchef von Körber Hamburg – „Brauchen Technologie, um Arbeit zu schaffen“

Aus Sicht von Christian Schlögel ist das erst der Anfang. „Künstliche Intelligenz wird das Arbeitsleben hierzulande in den kommenden Jahren stark verändern, teils revolutionieren“, ist der Topmanager des Hamburger Technologie- und Maschinenbaukonzerns überzeugt.

Seit 2018 sitzt Schlögel im Körber-Vorstand. Er kam vom Industrieroboter-Hersteller Kuka, dessen Verkauf nach China hohe Wellen schlug. Bei Körber trägt er den Titel des CDO, des Chief Digital Officer. Er ist der Mann, der die Digitalisierung des Unternehmens und seiner Produkte vorantreibt. Und dabei ist KI ein zentrales Element.

Auch in von Körber konstruierten und gebauten Maschinen wird künstliche Intelligenz schon seit Jahren eingesetzt. Etwa bei der Qualitätskontrolle von Impfstoff-Ampullen. „So eine Ampulle wird bereits bei der geringsten Abweichung von der Norm aussortiert“, sagt Schlögel. Doch längst nicht alle seien tatsächlich fehlerhaft. Mithilfe von künstlicher Intelligenz sei es gelungen, die sogenannte „false eject rate“, also die Quote fälschlicherweise aussortierter Ampullen, deutlich zu senken. „Um mehr als 90 Prozent“, sagt Schlögel.

Zu Körber gehören mehrere Start-ups für künstliche Intelligenz

Zum weit verzweigten Firmennetz des Hamburger Konzerns gehört inzwischen eine ganze Reihe von Start-ups, die KI-basierte Technologielösungen entwickeln. Die unterstützen zum Beispiel Beschäftigte in der Papierherstellung dabei, eine Maschine je nach Bedarf optimal zu fahren. Etwa besonders schnell, aber nicht so schnell, dass es zu einem zeitraubenden und kostspieligen Abriss der Papierbahn kommt – oder aber in einem besonders energiesparenden Modus.

Christian Schlögel ist CDO (Chief Digital Officer) im Vorstand des Hamburger Technologie- und Maschinenbaukonzerns Körber AG und dessen KI-Vordenker.
Christian Schlögel ist CDO (Chief Digital Officer) im Vorstand des Hamburger Technologie- und Maschinenbaukonzerns Körber AG und dessen KI-Vordenker. © Viktor Strasse/Körber AG | Viktor Strasse/Körber AG

Solcherlei sogenanntes „machine learning“ ist mittlerweile weit verbreitet. Sehr viel größere Auswirkungen auf die Arbeitswelt erwartet Schlögel von Programmen wie ChatGPT, die ganze Arbeitsschritte selbst ausführen und so tatsächlich menschliche Arbeitskraft ersetzen können. „Bilder, Texte, Musik lassen sich ja schon heute von KI-Software in kurzer Zeit und hoher Qualität erstellen. Aus einem Text ein Video zu generieren dauert gerade einmal fünf bis zehn Minuten. Ich denke, das wird bereits binnen zwei bis drei Jahren zu massiven Veränderungen führen“, erwartet er.

KI wird zum virtuellen Roboter für Ingenieure

In vielen anderen Branchen werde KI dagegen vorerst vornehmlich wichtige Hilfestellung geben und es den Beschäftigten ermöglichen, sehr viel effizienter zu arbeiten. Ihre Arbeitswelt wird eine andere sein als bisher. Schlögel erläutert das am Beispiel eines Maschinenbauingenieurs. „Wenn der die Aufgabe hat, ein neues Maschinenteil zu konstruieren, sitzt er zunächst mal vor einem leeren Blatt Papier oder Bildschirm. Er bringt seine Erfahrungen mit, wird sich mit Kollegen beraten, intensiv recherchieren.“ All das aber koste sehr viel Zeit.

Solche zeitraubende Basis- und Recherchearbeit werde künftig von KI-Software übernommen. Voraussetzung: Die Software hat Zugriff auf eine umfangreiche Datenbasis und Dokumentationen, aus denen sie binnen kurzer Zeit die Antworten auf die ihr gestellten Fragen herausfiltern kann. „Aufgaben, deren Erfüllung heute noch mehrere Wochen dauert, wird ein Ingenieur mithilfe von KI künftig binnen weniger Tage erledigen können“, sagt Schlögel voraus. Zugleich betont er: „KI kann keine Menschen ersetzen, sie kann ihnen nur Hilfestellung geben. Die Ergebnisse, die sie liefert, müssen vorerst zwingend von einem menschlichen Experten auf Verlässlichkeit überprüft werden.“

KI soll Menschen nicht ersetzen, sondern ihnen die Arbeit erleichtern

Künstliche Intelligenz sei ein virtueller Roboter, sagt Schlögel. „Bei Kuka haben wir für die Auto- und Luftfahrtindustrie Roboter gebaut, die den Blue-collar-Beschäftigten in der Produktion die schweren, ständig wiederkehrenden und körperlich belastenden Tätigkeiten erleichtert und abgenommen haben. KI ist der Roboter für White-collar-Beschäftigte.“ Als Blue-collar-Beschäftigte versteht man eher körperlich arbeitende Menschen, White-collar-Beschäftigte üben eher Bürotätigkeiten aus.

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Auch wenn künstliche Intelligenz die Arbeitsweise und die Arbeitswelt vieler Beschäftigter massiv verändern wird – Arbeitsplätze würden deshalb wohl nicht verloren gehen, ist der Körber-CDO überzeugt. „Wir brauchen KI, um die viele Arbeit überhaupt noch schaffen zu können mit den zunehmend weniger Leuten, die wir in Zukunft haben werden. Wenn künftig 15 Beschäftigte mithilfe von KI die Arbeitslast bewältigen, für die heute noch 50 Leute benötigt werden, ist das eher ein Vorteil als ein Nachteil.“

ChatGPT und Co. – KI braucht unbedingt menschliche Aufpasser

Körbers KI-Vordenker räumt ein, dass es Aspekte gibt, die auch er noch nicht zu Ende gedacht hat. Zum Beispiel die Frage: Wenn denn künftig künstliche Intelligenz einen Teil der Arbeit macht – wie bildet man dann die menschlichen Expertinnen und Experten so aus, dass sie erkennen und korrigieren können, was der virtuelle Roboter womöglich falsch gemacht hat? „Ich denke seit einiger Zeit darüber nach“, sagt Christian Schlögel. „Ich habe noch keine Antwort gefunden. Aber ich bin mir sicher, dass KI auch eine zentrale Rolle in der Ausbildung spielen wird.“