Hamburg. Sonnabend ist Börsentag. Gespräch mit Marcus Vitt über die Chancen am Aktienmarkt und die Frage, wie man konkret investieren sollte.

An diesem Sonnabend ist es wieder so weit: Alle, die sich für Themen rund um die Geldanlage interessieren, können sich auf dem Börsentag Hamburg in den Räumen der Handelskammer darüber informieren. Auf Deutschlands größter eintägiger Finanz- und Anlegermesse erfahren Besucherinnen und Besucher in der Zeit von 9.30 bis 17 Uhr Wissenswertes an den Messeständen von Ausstellern wie J.P. Morgan, Morgan Stanley, der Hamburger Volksbank oder der HHLA sowie in mehr als 60 Vorträgen, unter anderem vom Haspa-Chefanlagestrategen Bernd Schimmer. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Im vorigen Jahr kamen 4500 Interessierte, für dieses Jahr erwarten die Veranstalter 5000 Besucher.

Seit Jahresbeginn 2023 ist Marcus Vitt, Vorstandssprecher des Bankhauses Donner & Reuschel, der Präsident der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Chancen am Aktienmarkt, das Zinsumfeld und die Bedeutung der künstlichen Intelligenz für die Börse.

Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) ist innerhalb von nur gut einem Jahr von 0,0 auf 4,5 Prozent hochgeschossen, zehnjährige US-Staatsanleihen rentieren derzeit mit 4,6 Prozent – und kurzzeitig lag die Rendite schon bei mehr als 5,0 Prozent. Was bedeutet es für den Aktienmarkt, dass man jetzt mit Zinsanlagen auch nach Abzug der Inflationsrate wieder Geld verdienen kann?

Marcus Vitt: Weil der Zins der Risikomaßstab für fast alle Investitionsentscheidungen ist, habe ich in den vergangenen Jahren auch gegenüber der EZB und Politik immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Null- oder gar Negativzins aus verschiedensten Gründen und Wirkungen gefährlich für die Gesellschaft ist. Wenn man das Geld quasi nachgeworfen bekommt, führt das leicht zu Fehlentwicklungen. Wir müssen bei der Frage der Aktienanlage sehen, dass eine Aktie in sich ein liquider Sachwert ist und damit etwas grundsätzlich anderes als eine Zinsanlage. Und die erzielbare Rendite ist eben auch deutlich höher: Wenn man Dividenden immer wieder reinvestiert, ist auf längere Sicht eine jährliche Wertsteigerung von mehr als zehn Prozent drin.

Sie erkennen also keine grundlegende Neubewertung des Aktienmarktes durch den Zinsanstieg?

Privatanleger, die erwägen, Aktien zu kaufen, tun das vernünftigerweise ja in der Regel mit einer mindestens mittelfristigen Perspektive von mehreren Jahren. Angesichts des aktuellen Umfelds mit vielen Brandherden halte ich es für wahrscheinlich, dass die Langfristzinsen wieder etwas sinken werden. Und es ist durchaus denkbar, dass die Kurzfristzinsen innerhalb der nächsten zwei Jahre sogar wieder um bis zu 2,5 Prozentpunkte nachgeben, sich also fast halbieren. Es kann gut sein, dass der Aktienmarkt zuletzt so relativ stabil geblieben ist, weil auch der Markt das erwartet. Investieren sollte man eher antizyklisch, der Mut wird in der Regel dann schnell belohnt.

Mit den Brandherden meinen Sie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten?

Ja, da gibt es immer die Gefahr einer Eskalation. Aber daneben ist noch unsicher, ob man die Kern-Inflation wirklich nachhaltig unter Kontrolle bekommt. Und in Italien bahnt sich womöglich wegen der hohen Verschuldung eine neue Finanzkrise an.

Gegenüber dem Allzeithoch im Juli hat der Deutsche Aktienindex (DAX) inzwischen wieder um rund acht Prozent nachgegeben. Ist aus Ihrer Sicht jetzt ein günstiger Zeitpunkt für Privatanleger, in Aktien zu investieren – und gibt es bestimmte Branchen, die besonders aussichtsreich sind?

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, bis zu ein Drittel des liquiden Vermögens in Aktien zu investieren, sofern man das mit einem längerfristigen Anlagehorizont tut. Für Privatpersonen ist es ratsam, sehr breit zu streuen, zum Beispiel über einen börsennnotierten Indexfonds, also einen ETF. Man sollte auch nicht nur auf den deutschen Markt schauen, sondern eher auch Titel aus Europa und den USA mit einbeziehen. Das geht am einfachsten über einen ETF, der etwa den EUROSTOXX oder den Index MSCI World nachbildet.

In der jüngsten Zeit waren Themen wie Künstliche Intelligenz oder auch die sogenannte Blockchain-Technologie bei Investoren viel im Gespräch. Sind Privatanleger nicht überfordert, wenn es darum geht, die Relevanz und die Perspektiven solcher Technologien richtig einzuschätzen?

Damit sind nicht nur Privatanleger überfordert, sondern auch viele Profis. Es wird aber kein Weg an diesen Technologien vorbeiführen. Wir werden künftig auch digitale Währungen oder Assets bekommen. Ich hoffe nur, dass das auch verbraucherfreundlich umgesetzt wird. Und was die künstliche Intelligenz angeht, so haben wir anhand der sogenannten Anlageroboter gesehen, dass sie menschliche Einschätzung noch nicht ersetzen können: Mit dem drastischen Aktienkurseinbruch zu Beginn der Corona-Pandemie konnten die Computermodelle nicht umgehen. Sie haben gewissermaßen blindlings verkauft, weil sie nicht wie ein vernünftig denkender Mensch darauf setzten, dass die Politik sehr schnell mit einer sehr massiven Stützung der Wirtschaft reagieren wird.

Wie schon einmal vorübergehend im vergangenen Jahr sind die Aktienkurse von Unternehmen aus dem Umfeld der künstlichen Intelligenz auch zuletzt sehr deutlich gestiegen. Erinnert Sie das ein bisschen an die Zeiten des „Neuen Marktes“ zur Jahrtausendwende?

Ja, um manche Titel gibt es einen Hype wie zu den damaligen Zeiten. Da wird früher oder später auch wieder harter Realismus einsetzen. Aber davon abgesehen bin ich überzeugt: Neben der Gesundheit wird die Tech-Branche eines der wichtigsten Zukunftsfelder der nächsten Jahre sein.

Auf dem Börsentag des vorigen Jahres ging es viel um „nachhaltige“ Geldanlagen. Hat das Interesse daran nachgelassen, nachdem die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS wegen Falschangaben zu „grünen“ Kapitalanlagen zu einer Millionenstrafe verurteilt wurde?

Nein, ein Nachlassen des Interesses sehe ich nicht. Es gib Dinge, die gehen nicht wieder weg. Schließlich haben wir eine Verpflichtung der nächsten Generation gegenüber, mit der Erde nicht noch verantwortungsloser umzugehen, als man es bisher getan hat. Außerdem gibt es belastbare Statistiken, die zeigen, dass Aktien von Unternehmen mit besonderem Fokus auf nachhaltiges Wirtschaften eine Überrendite erzielen. Aber die bisherigen „Siegel“ für nachhaltige Anlagen sind zweifellos noch nicht der Weisheit letzter Schluss – das ist ähnlich wie bei den Lebensmittelampeln. Da muss sich noch ein wirklich verlässlicher Standard entwickeln.

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Was sind die vorherrschenden Themen des kommenden Hamburger Börsentages? Und wie groß wird nach Ihrer Einschätzung das Interesse in diesem Jahr sein?

Diesmal ist das Angebot an Vorträgen und Präsentationen so breit angelegt, dass man kaum einen Schwerpunkt herausgreifen kann. In dem reichhaltigen Programm dürfte für jeden etwas dabei sein – meine Frau beispielsweise hat da wieder einen anderen Fokus als ich. Nachdem die Menschen aufgrund der Inflation zurückhaltender in ihrem Konsumverhalten geworden sind, dürfte das Interesse an Geldanlagethemen nicht gerade gering sein.

Wie läuft es für die Hamburger Börse in diesem Jahr?

Der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahr eher geringer, da der Markt überwiegend wenig volatil war und die Angst der Anleger eher zur Zurückhaltung geführt hat. Daneben haben wir aber attraktive Angebote um die klassische Börse herum, beispielsweise die Fondsbörse Deutschland für geschlossene Beteiligungen.