Hamburg. Die Zinswende erfordert eine neue Strategie bei der Finanzierung von Immobilien. Was Experten bei der Sondertilgung empfehlen.

Viele Jahre predigten Verbraucherschützer: Solange man noch Schulden hat, lohnt sparen nicht. Die Kreditzinsen waren höher als die Sparzinsen, sofern es überhaupt noch welche gab. Doch mit der Zinswende hat sich die Situation grundlegend geändert. Vor allem, wer einen Immobilienkredit abbezahlt, muss neu kalkulieren.

Auch wenn der Immobilienkredit erst vor wenigen Jahren noch im Zinstief abgeschlossen wurde und es bis zur nächsten Verlängerung noch einige Jahre hin ist, lohnt ein Blick auf die Finanzierung.

Immobilienkredit: Bis zu fünf Prozent Sondertilgung im Jahr sind möglich

Zwar kann die laufende Rate kaum verändert werden, aber bei Immobilienkrediten gibt es oft ein Recht zur Sondertilgung. Bei den meisten Kreditverträgen ist das inzwischen Standard. „Üblich sind bis zu fünf Prozent der aufgenommenen Kreditsumme“, sagt Dirk Scobel, Baufinanzierungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.

Diese Summe kann dann zusätzlich zu der vereinbarten Tilgungsrate jährlich zur Abbezahlung des Baukredits genutzt werden. Die Folge: Die Restschuld fällt geringer aus als mit der regulären Tilgung ursprünglich kalkuliert. In einer Phase gestiegener Zinsen ist das besonders wichtig.

Immobilienkredit: Sondertilgungen werden oft nicht ausgeschöpft

Eine Kreditaufnahme über 400.000 Euro für die eigenen vier Wände ist für Hamburger nicht ungewöhnlich (s. Grafik). Bei fünf Prozent Sondertilgung können jährlich 20.000 Euro zur zusätzlichen Tilgung genutzt werden. Lässt man die freiwillige Sondertilgung in einem Jahr ungenutzt verstreichen, kann sie im nächsten Jahr nicht nachgeholt werden.

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„Das Geld muss man natürlich erst einmal übrig haben“, sagt Scobel. „Nach unseren Erfahrungen wird die Sondertilgung bei Weitem nicht ausgeschöpft.“ Zwar verändert sich durch die Sondertilgung nicht die monatliche Kreditrate, aber die Kreditschuld verringert sich. „Folglich kann von der festen Rate mehr Geld für die Tilgung genutzt werden, weil der Zinsanteil geringer ist“, sagt Scobel.

Zinsen bis zu vier Prozent für Angespartes

Doch inzwischen gibt es wieder attraktive Zinsen für Festgelder von bis zu vier Prozent. Selbst auf einem flexiblen Tagesgeldkonto sind Zinsen von bis zu vier Prozent möglich, wenn auch meist nur für sechs Monate. Danach verschlechtern sich die Konditionen.

Die Zinsen für Spareinlagen sind aktuell auf dem höchsten Stand der vergangenen 15 Jahre. Grund dafür sind die geldpolitischen Schritte der Europäischen Zentralbank (EZB) der zurückliegenden Monate wegen der hohen Inflation.

Immobilienkredit: Sparen lohnt sich mehr als Sondertilgung

Doch wer in den vergangenen Jahren einen Immobilienkredit abgeschlossen hat, zahlt meist nur einen Zinssatz von rund einem Prozent. Angelegtes Geld bringt also höhere Zinsen als eine Immobilienfinanzierung aus der Vergangenheit kostet.

„Für Immobilienbesitzer lohnt sich dank der aktuell hohen Zinsen auf Festgeld die Eröffnung eines Sparkontos mehr als eine Sondertilgung“, sagt Moritz Felde, Geschäftsführer Finanzservice bei Check24. „Wer sein Eigenheim in der Niedrigzinsphase zwischen 2018 und Anfang 2022 zu einem günstigen Zinssatz finanziert, der kann mit einem Festgeldkonto mit höheren Zinsen mehr Rendite erzielen, als eine Sondertilgung an Zinskosten sparen würde.“

Immobilienkredit: Ohne Sondertilgung steigt Kreditrate um 60 Prozent

Angenommen, ein Hamburger Ehepaar hat im Mai 2021 einen Immobilienkredit über 400.000 Euro aufgenommen. Dafür zahlt es 1,2 Prozent Zinsen und zwei Prozent anfängliche Tilgung. Die Zinsbindung beträgt zehn Jahre, im Frühjahr 2031 muss also der Kredit verlängert werden.

Ohne Sondertilgung beträgt die Restschuld dann noch 315.600 Euro. Bei dem aktuellen Kreditzins von 4,50 Prozent und weiterhin 2,0 Prozent Tilgung würde die monatliche Rate bei 1710 Euro liegen, das sind 643 Euro oder 60 Prozent mehr als jetzt.

Immobilienkredit: Ohne Sondertilgung droht Notverkauf

„Wenn sich die Einkommenssituation des Paares nicht grundlegend verbessert hat und kein großer finanzieller Spielraum besteht, dürfte es erhebliche Probleme mit der Haushaltsrechnung geben, die Bank kann sogar eine Anschlussfinanzierung versagen“, warnt Scobel. Dann droht der Notverkauf der Immobilie.

Natürlich können die Kreditzinsen bis zum Frühjahr 2031 auch wieder sinken, sie können aber auch noch über das aktuelle Niveau steigen. Über einen so langen Zeitraum ist keine Zinsprognose möglich.

Verbraucherschützer: Gefahren gestiegener Zinsen erkennen

„Für viele Kreditnehmer bei Baufinanzierungen wird die Sondertilgung jetzt zu einer Notwendigkeit“, sagt Scobel. „Betroffen sind vor allem Verbraucher, die sich hoch verschuldet haben, nur eine niedrige Tilgungsrate und eine kurze Laufzeit von zehn Jahren gewählt haben.“ Denn dann ist die Restschuld noch sehr hoch.

Ob jährlich eine Sondertilgung geleistet oder das Geld angespart wird und man dann mit diesem Kapital am Ende der Zinsbindung die Restschuld reduziert, hält der Verbraucherschützer für zweitrangig. „Wichtig ist, dass man die Gefahren gestiegener Zinsen für eine Anschlussfinanzierung überhaupt auf dem Schirm hat“, so Scobel. Viele wissen nicht einmal, wann eine Kreditverlängerung ansteht.

Zusätzliche Einkünfte für Sondertilgung nutzen oder ansparen?

Zurück zum Hamburger Ehepaar. Es will aus Zusatzeinkünften, Geldgeschenken der Eltern und einem eingesparten Urlaub jährlich 10.000 Euro ansparen. Wenn diese Summe jeweils einmal jährlich in die Sondertilgung fließt, sinkt die Restschuld bis zum Frühjahr 2031 auf 231.300 Euro. Das sind 84.300 Euro weniger als ohne jede Sondertilgung.

Die andere Möglichkeit ist, das Geld anzusparen und erst am Ende der Zinsbindungsfrist einzusetzen. Die ersten 10.000 Euro können jetzt für sieben Jahre angelegt werden, die nächsten 10.000 Euro noch für sechs Jahre, und so würde sich mit jeder Sparrate die Anlagedauer verringern.

Ansparen bringt einen Zinsertrag von fast 10.000 Euro

Wenn man von einem Zinssatz von 3,5 Prozent für alle Anlagen ausgeht, so würde die erste Sparrate noch 2450 Euro an Zinsen bringen: Sieben Jahre lang je 350 Euro. Die letzte Sparrate führt nur noch zu 350 Euro an Zinsen. Insgesamt können sieben Sparraten zu 10.000 angelegt werden. Für die achte Sparrate bleibt kein komplettes Jahr mehr als Anlagezeitraum, sie kann aber für sechs oder acht Monate angelegt werden. In der Beispielrechnung bleibt dieser Zinsertrag aber unberücksichtigt.

Dennoch summiert sich der Zinsertrag auf 9800 Euro vor Steuern. Dazu kommt das Kapital in Höhe von 80.000 Euro. Die Kapitalertragsteuer bleibt unberücksichtigt. Wenn das Sparkonto als Gemeinschaftskonto geführt wird, hat jeder einen Freibetrag von 1000 Euro. In den ersten Jahren fallen noch keine Steuern an.

Zinsvorteil durch Ansparen ist höher als bei jährlicher Sondertilgung

Zum Ende der Zinsbindungsfrist kann die Restschuld mit 89.800 Euro verringert werden. Dann müssen nur noch 225.800 Euro neu finanziert werden (315.600 abzüglich 89.800 Euro). Gegenüber der Restschuld mit jährlicher Sondertilgung liegt der Vorteil bei 5500 Euro.

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Betrachtet man nur den Zinsvorteil, so bringt das Ansparen einen mehr als doppelt so hohen Zinsvorteil, als man bei regelmäßiger Sondertilgung durch ersparte Zinsen einsparen würde (4245 Euro).

Ansparen erfordert Disziplin und Aufwand, Sondertilgung ist einfacher

„Das kann man so machen, aber ein solches Vorgehen erfordert sehr viel Disziplin und auch etwas Aufwand bei der Geldanlage“, sagt Scobel. Vor allem jedes Jahr 10.000 Euro zusätzlich anzusparen und sie nicht für andere Dinge auszugeben sieht er als große Herausforderung für viele Haushalte. Außerdem ist nicht sicher, dass man das Geld jedes Jahr zu einem Zinssatz von 3,5 Prozent anlegen kann.

Und was bedeuten beide Varianten für die künftige Kreditrate? Eine Restschuld von 225.800 Euro (als Ergebnis des Ansparens von jährlich 10.000 Euro) führt noch zu einer monatlichen Kreditrate von 1223 Euro.

Gegenüber der Restschuld von 315.600 Euro ohne jede Sondertilgung mit einer Monatsrate von 1710 Euro ist das eine deutliche Ersparnis. Aber der Vorteil gegenüber dem Ansparen im Vergleich zur jährlichen direkten Sondertilgung ist marginal. Die Ansparvariante reduziert die monatliche Rate nach dem Ende der Zinsbindung auf 1223 Euro, also nur 30 Euro weniger als bei direkter jährlicher Tilgung.