Hamburg. Immer mehr bezahlen mit per Karte und Smartphone. Hamburger Bundesbanker und Verbraucherschützerin sehen viele Gefahren.

Jeder Hamburger, der vor nicht allzu langer Zeit in Dänemark oder Schweden war, weiß es: In den skandinavischen Ländern wird Bargeld nur noch wenig genutzt, man zahlt üblicherweise auch kleine Beträge mit dem Smartphone oder mit einer Karte. Ganz ähnlich ist es in Großbritannien.

Zwar gilt Deutschland noch als Hochburg der Barzahlung. Aber auch in Hamburger Bäckereien gehen beim Kauf von Brötchen immer häufiger nicht mehr Münzen oder Scheine über den Tresen. Manche Ökonomen fordern gar ihre Abschaffung – und auch Banken wären wohl nicht abgeneigt, das lästige und kostenintensive Bargeld-Geschäft los zu sein, zumal nun auch noch die Geldautomaten-Sprengungen zunehmen.

Doch ausgerechnet in Schweden, einem der Vorreiter-Staaten des digitalen Bezahlens, setzt jetzt offenbar ein Umdenken ein. „Eine Art Renaissance des Bargelds“ nannte es Stefan Hardt, Leiter des Zentralbereichs Bargeld bei der Deutschen Bundesbank, kürzlich in einer Rede. So rege sich in Schweden „zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen das Zurückdrängen des Bargelds“ – auch aufgrund von Krisenereignissen wie im Sommer 2017, als durch einen technischen Fehler landesweit Kartenzahlungen nicht mehr möglich waren.

Verbraucherzentrale: Trend zu Handy-Zahlung ist „Form der Altersdiskriminierung“

Inzwischen habe auch die schwedische Regierung die Bedeutung des Bargeldes für die Krisenfestigkeit der Wirtschaft erkannt und eine Vorgabe erlassen, wonach es in einem festgelegten Radius von 25 Kilometer für 99 Prozent aller Bewohner Bezugspunkte für Bargeld geben muss, erklärt Hardt.

Derartige Regelungen sind ganz im Sinne von Kerstin Föller, Leiterin der Abteilung Insolvenz/Kredit/Konto bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Wenn zunehmend die Bezahlung per Handy erwartet werde, sei das „auch eine Form der Altersdiskriminierung“, denn nicht jeder der betagten Mitbürgerinnen und Mitbürger besitze ein Smartphone oder habe Lust darauf, „jeden Morgen die 1,60 Euro beim Bäcker damit zu bezahlen“.

Kerstin Föller ist Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie weist auf die Vorteile von Bargeld hin.
Kerstin Föller ist Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie weist auf die Vorteile von Bargeld hin. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Hinzu kämen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Anonymität auch bei deutlich jüngeren Personen. Außerdem bestehe die Gefahr, den Überblick über die Ausgaben zu verlieren, wenn man nur noch unbar zahle, sagt Föller, die sich auch in der Schuldnerberatung auskennt. Sie fordert: „Das Bargeld muss bleiben, und es muss weiter gewährleistet sein, dass der größte Teil der Bevölkerung damit problemlos versorgt werden kann.“

Nur noch 37,5 Prozent der Zahlungen im Handel erfolgen mit Bargeld

Gerade daran hapert es aber zunehmend, nicht nur in kleineren Orten. Selbst für die Hamburger wird der Weg zu ihren Banken immer länger. So haben etwa die Haspa, die Commerzbank, die Deutsche Bank und die Hamburger Volksbank die Zahl ihrer Filialen in der Hansestadt seit dem Jahr 2008 zusammengenommen auf deutlich weniger als die Hälfte reduziert. Auch das Geldautomatennetz wird ausgedünnt, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß: Bei der Hamburger Volksbank ist ihre Zahl in den zurückliegenden fünf Jahren von 133 auf 112 gesunken, bei der Haspa von 330 auf 320.

Zwar kann man sich inzwischen auch an den Kassen von manchen Supermärkten und Tankstellen mit Bargeld (bis 200 Euro) vom eigenen Bankkonto versorgen. Nach den Erkenntnissen der Verbraucherzentrale Hamburg sind aber gerade ältere Menschen mit diesem Verfahren nicht unbedingt vertraut.

Auf der anderen Seite ist das unbare Bezahlen klar auf dem Vormarsch, wie die regelmäßigen Studien der Handelsforscher des EHI Retail Institute zeigen. Zwischen 2017 und 2022 hat sich demnach der Anteil der Transaktionen mit Scheinen und Münzen im deutschen Einzelhandel von 77,2 Prozent auf 37,5 Prozent ungefähr halbiert, während die Kartenzahlungen von 21,7 Prozent auf 59,7 Prozent um mehr als das Zweieinhalbfache zulegten, wobei hiervon wiederum 5,4 Prozent über ein Smartphone mittels Apps wie Apple Pay oder Google Pay abgewickelt wurden.

2022 war wegen Softwarefehlers tagelang bei Edeka und Budni keine Kartenzahlung möglich

Allerdings ist das unbare Bezahlen nicht vor schweren Störungen sicher, wie nicht nur das schwedische Beispiel belegt. Viele Hamburgerinnen und Hamburger werden sich noch gut erinnern, dass im Mai und Juni vorigen Jahres tagelang in Filialen von Edeka, Aldi, Budnikowsky, Rossmann und anderen Einzelhandelsketten bundesweit wegen eines Softwarefehlers in den Bezahlterminals keine Kartenzahlungen möglich waren.

Bargeld sei „das einzig kurzfristig verfügbare und einsatzfähige Zahlungsmittel, wenn es zu technischen Störungen, Cyberattacken oder Stromausfällen kommt, da es auch ohne technische Infrastruktur eingesetzt werden kann“, sagt Arno Bäcker, Präsident der Bundesbank-Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, dazu dem Abendblatt.

Nur Bargeld ermöglicht den Schutz der Privatsphäre im Zahlungsverkehr

In der jüngsten Zahlungsverhaltensstudie der Bundesbank aus dem Jahr 2021 gaben fast 70 Prozent der Befragten an, sie hielten es für wichtig oder sehr wichtig, grundsätzlich die Möglichkeit zur Bargeldnutzung zu haben – „ein deutliches Bekenntnis der Bürgerinnen und Bürger zur Zukunft des Bargelds“, so Bäcker. „Auch deshalb setzen wir uns im Eurosystem für einen Fortbestand des Bargelds ein.“

Schließlich besitze es zahlreiche Alleinstellungsmerkmale, die es auch im digitalen Zeitalter zu einem beliebten Zahlungsmittel machten: „Es ermöglicht den Schutz der Privatsphäre im Zahlungsverkehr und stellt aufgrund seiner einfachen Handhabung für viele Menschen ein wichtiges Instrument zur finanziellen Inklusion dar.“

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Wie aus den Bundesbank-Studien hervorgeht, hat sich der durchschnittliche Bargeldbestand in den Portemonnaies der Befragten von rund 100 Euro in den zurückliegenden zehn Jahren praktisch nicht verändert. Auch Personen, die bevorzugt unbar zahlen, führen im Schnitt 77 Euro mit sich. 36 Prozent der Befragten geben an, Bargeld ebenfalls als Notreserve oder zum Sparen zu Hause aufzubewahren. Das sind im Mittel zusätzliche 463 Euro. Auffällig sei, so Bäcker: „Gerade in Krisenzeiten wie zuletzt während der Corona-Pandemie ist eine erhöhte Nachfrage nach Bargeld feststellbar, die zeigt, wie wichtig Bargeld als Sicherheitsanker in wirtschaftlich turbulenten Zeiten ist.“

Bundesbank will Einsatz von mobilen Geldautomaten bei Krisenlagen prüfen

Bereits im Jahr 2018 hatte das schwedische Amt für Zivilschutz und Krisenbereitschaft alle Haushalte dazu aufgerufen, eine Bargeldreserve „in kleiner Stückelung“ bereitzuhalten. Denn Bargeld sei das einzige Zahlungsmittel, das jedem zugänglich und ohne eine spezielle Technologie wie Apps, Zahlungskarten oder elektronische Ausweise nutzbar sei.

So weit wie in Schweden geht es in Deutschland bisher nicht. Aber immerhin wünscht sich die Bundesbank eine Machbarkeitsstudie, in der unter anderem untersucht werden soll, ob bei „regionalen Krisenlagen“ der Einsatz von mobilen Geldautomaten möglich wäre.