Hamburg. Flugzeugbauer will Raumfahrt-Patent auf der Erde anwenden und Kohlendioxid der Luft entziehen. Idee ist für Zukunftspreis nominiert.

Auf der Internationalen Raumstation ISS ist Luft ein rares Gut. Mit jedem Atemzug der Astronauten nimmt der Sauerstoffgehalt an Bord ab. Der Gehalt des ausgeatmeten Kohlendioxids (CO₂) nimmt hingegen zu – würde man in der Praxis nicht gegensteuern.

Bereits seit vielen Jahren werde dabei ein von Airbus entwickeltes Verfahren verwendet, sagt Antje Bulmann. Die 43-Jährige arbeitet für den DAX-Konzern im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) auf Finkenwerder im Bereich disruptive Technologien. Sie soll bereits patentierte Ideen auf andere Bereiche übertragen und kommerzialisieren.

Preisverdächtig: Airbus fängt CO2 ein – Bauern düngen damit ihre Pflanzen

„Wir wissen, dass wir CO₂ aus der Atmosphäre abscheiden können. Und wir glauben, dass wir damit einen echten Beitrag gegen den Klimawandel leisten können“, so die Diplom-Kauffrau. Die Aufgabe lautet, diese Technologie so weiterzuentwickeln, dass sie auf der Erde für atmosphärisches CO₂ im großen Stil anwendbar ist. Seit rund eineinhalb Jahren ist das zurzeit sechsköpfige Team aktiv, von dem mit dem Systemengineering ein Teil am Raumfahrtstandort Friedrichshafen sitzt.

Nun gab es von einer Expertenjury Anerkennung. Das Airbus-Konzept Direct Air Capture wurde als eine von drei Ideen für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. „Wir freuen uns sehr über die Nominierung und sind richtig stolz“, sagt Bulmann. Der Preis wird am 22. November von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin verliehen. Airbus konkurriert mit Siemens Healthineers, die einen neuartigen Magnetresonanztomografen entwickelten, und Kueppers Solutions, die einen effizienteren Gasbrenner erfanden, um die Auszeichnung.

Airbus fängt CO2 ein – so funktioniert die Technik

So funktioniert die Airbus-Technik: In einen Schiffscontainer wird ein großer Ventilator eingebaut, der große Mengen Luft ansaugt. Diese Luft fließt dann durch Filterbetten hindurch, die aus dem festen Adsorbermaterial Amin bestehen, einer stickstoffhaltigen chemischen Verbindung. „In diesen Filterbetten bleiben nur die CO₂-Moleküle hängen“, sagt Bulmann. „Das ist besonders schwierig, weil unsere Luft nur 420 Parts per Million CO₂-Moleküle enthält.“ Sprich: In einer Million Moleküle Luft sind nur 420 Moleküle Kohlendioxid enthalten – oder 0,042 Prozent.

In den Aminen, die für die Umwelt nicht schädlich seien und eine Lebensdauer von mehr als 20 Jahren haben sollen, werde das Kohlendioxid dann gebunden. Sehr CO₂-arme Luft verlässt die Anlage. Wenn die Filterbetten voll sind, werden sie erwärmt. Das gespeicherte CO₂ entweicht, kann in konzentrierter Form aufgefangen und anschließend genutzt werden.

Technik wird in Gewächshäusern auf Bauernhöfen eingesetzt

Airbus schweben dafür mehrere Einsatzmöglichkeiten vor. In der Landwirtschaft sei die Anlage bereits erfolgreich im Betrieb. Auf vielen Bauernhöfen erfolge ein klimakontrollierter Anbau, so Bulmann. Häufig werde dabei CO₂ über Klimaanlagen in die Gewächshäuser gepumpt. So könnten Pflanzen wie Tomaten, Erdbeeren, Gurken und Paprika bis zu 20 Prozent schneller wachsen. Sie entziehen der Luft das Kohlendioxid, wandeln es mithilfe von Licht und Wasser in organische Verbindungen wie Kohlenhydrate um und setzen Sauerstoff frei.

Bisher werde das dort eingesetzte CO₂ per Gasverbrennung erzeugt, in Tanks gespeichert und per Lkw auf die Höfe gefahren, sagt Bulmann. Ein aufwendiges Prozedere. 140 Millionen Tonnen CO₂ würden jedes Jahr dafür erzeugt. Das Airbus-Team schlüpfte daher in Gummistiefel und sah sich bei mehreren Landwirten und Anbietern des Vertical Farmings (Gemüse und Obst wächst auf wenigen Quadratmetern übereinander) um – und ernteten positive Resonanz. Erste Kunden nutzen die Technik bereits.

Das Airbus-Direct-Air-Capture-Team: Tobias Horn (links), Antje Bulmann und Viktor Fetter.
Das Airbus-Direct-Air-Capture-Team: Tobias Horn (links), Antje Bulmann und Viktor Fetter. © Deutscher Zukunftspreis / Ansgar Pudenz | Deutscher Zukunftspreis / Ansgar Pudenz

„Wir integrieren unsere Direct-Air-Capture-Anlagen meistens in die Klimaanlagen der Farmer und geben das CO₂, das wir aus der Atmosphäre holen, in die Klimaanlage. Die verteilt es dann auf der Farm über die Gewächshäuser. Der bisherige, energie- und emissionsaufwendige Prozess wird durch unseren neuen, klimaneutralen und zirkulären ersetzt“, sagt Bulmann. Was die Bauern dafür zahlen, will sie nicht sagen. Nur, dass es ein Preis sei, mit dem man im Wettbewerb bestehen könne.

Gewonnenes CO2 kann in Erde gelagert oder zu synthetischem Gas werden

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist Direct Air Capture and Storage. Dabei wird gewonnenes CO₂ in ausgebeuteten Gas- oder Erdöllagerstätten oder im Meeresuntergrund gelagert. Die Technik ist umstritten. Im Normalbetrieb gibt es laut Umweltbundesamt zwar keine Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit. Risiken bestünden aber als Folge von Unfällen, wenn plötzlich große Mengen CO₂ freigesetzt werden. Zudem können Leckagen dazu führen, dass es zu Versalzungen von Grundwasser, Böden und Oberflächengewässern kommt.

Bulmann schwebt vor, das CO₂-Wasser-Gemisch auf Basaltgestein aufzubringen. Dieses gebe es zum Beispiel in Kenia und auf Island. „Basaltgestein reagiert sehr schnell und sehr stark mit CO₂, sodass es innerhalb weniger Jahre mineralisiert und zu Stein wird“, sagt Bulmann. So könnte es also langfristig im Boden gespeichert werden.

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Zudem könne man Kohlendioxid mit Wasserstoff mischen, um ein Synthesegas zu erhalten. In weiteren chemischen Prozessen können daraus synthetische Kraftstoffe werden – ein insbesondere für die Luftfahrt interessanter Anwendungsbereich. Denn der Bedarf an nachhaltig hergestelltem Kerosin (Sustainable Aviation Fuel, SAF) wird in den nächsten Jahren stark steigen. Das Problem bei der SAF-Herstellung: Es wird viel grüne Energie benötigt. „Daher ist eine SAF-Herstellung besonders dort sinnvoll, wo es grüne Energie in großer und günstiger Menge gibt“, sagt Bulmann. Deutschland ist das nicht.

Die Luftfahrt wird noch jahrzehntelang auf Kerosin angewiesen sein

Im Jahr 2035 will Airbus zwar einen „grünen“ Flieger auf den Markt bringen, der mit Wasserstoff angetrieben wird. Aber er wird nur etwas mehr als die Hälfte der Sitzplätze eines A320-Fliegers und eine geringere Reichweite haben. Auf Mittelstrecken dürften die Kerosinverbrenner daher noch viele Jahre alternativlos sein. Auf Langstrecken sind sie es auf Jahrzehnte hinaus. Selbst wenn durch Flottenmodernisierungen – also dem Austausch alter gegen sparsamere, neue Flugzeuge – der Spritverbrauch sinken sollte, trägt die Luftfahrt noch lange zur Umweltbelastung bei.

Die Branche sieht sich für gut drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. „Um unsere Klimaziele einhalten zu können, müssen wir bis 2050 auf Nettonullemissionen kommen“, sagt Bulmann und weiß, dass weiterhin residuale Emissionen entstehen werden. Diese würden zwar auf natürlichem Weg von Pflanzen über die Fotosynthese abgebaut, aber dies allein reiche nicht. „Wir brauchen alle Lösungen, auch technische wie Direct Air Capture, um CO2 aus der Erdatmosphäre zu holen. Das hat der Weltklimarat bestätigt“, sagt Bulmann und weist Vorwürfe, das Airbus mit dem Projekt nur Greenwashing betreibe, zurück.

Airbus plant Verzehnfachung der Leistung

„Unsere Aufgabe ist es, diese Technologie zu skalieren, sodass sie im großen Maßstab angewendet werden kann, und im Preis zu senken, damit sie kommerziell funktioniert“, sagt Bulmann. Die erste, im vergangenen Jahr gebaute Anlage könne zehn Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre ziehen.

So sieht die erste Airbus Direct-Air-Capture-Anlage aus.
So sieht die erste Airbus Direct-Air-Capture-Anlage aus. © Deutscher Zukunftspreis / Ansgar Pudenz | Deutscher Zukunftspreis / Ansgar Pudenz

Drei davon gibt es bisher. Dieses Jahr soll in Hamburg und Kiel eine 100-Tonnen-Anlage gebaut werden, 2024 soll es eine 1000-Tonnen-Anlage sein. Passt die derzeitige Anlage in einen kleinen Seecontainer, soll die 1000-Tonnen-Anlage mit 26 Quadratmetern in eine große, 40-Fuß-Box passen.

Es gehe jetzt um Lernprozesse. Die momentan größte Air-Capture-Anlage entzieht übrigens 4000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre pro Jahr. Bulmann schreckt der Rückstand aber nicht ab: „Wir haben eine enorme Geschwindigkeit, um aufzuholen.“