Hamburg. Demonstranten fordern vor Treffen der Branche mit dem Kanzler in Hamburg 20 Prozent weniger Flüge bis 2030. Was Scholz selbst sagt.
Um 9.25 Uhr wird es laut bei Lufthansa Technik. Ein Hubschrauber der Bundespolizei rollt nach der Landung mit dröhnendem Motor direkt vor eines der Tore. Der Hauptgast der dritten nationalen Luftfahrtkonferenz lässt jedoch auf sich warten. Erst eine Viertelstunde später ist es so weit. Schwarze Limousinen fahren vor. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt aus und wird von Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Sören Stark, dem Hausherrn und Vorstandsvorsitzenden der Konzerntochter Lufthansa Technik, begrüßt.
„Luftfahrt: innovativ und klimaneutral“ ist das Motto, unter dem sich die Branchenvertreter an diesem Montag in Hamburg getroffen haben. Die Halle ist mit entsprechenden Fluggeräten geschmückt, die sich der Regierungschef bei seinem Rundgang ansieht. Ein ausrangierter, türkisgrüner A320 dient als Reallabor für den Umgang mit Wasserstoff. Ein Exponat zeigt das weltweit erste wasserstoffelektrische Flugzeug mit Zulassung für den Passagierflug – immerhin für vier Personen.
„Greenwashing“: Klimaprotest gegen Scholz‘ Luftfahrtpläne
An einem Regionalflugzeug vom Typ Do328 sollen Firmen und Forscher technologieoffen die Reduktion von Abgasen testen. „Es gibt jetzt schon ordentliche Emissionsreduzierungen, aber da ist eben noch mehr drin“, sagt der Kanzler. Dass man jetzt schon daran forsche, sei von allergrößter Bedeutung und eine „gute Perspektive für die Luftfahrt in den 30er-, 40er-Jahren“.
Der Luftverkehr soll bis 2045 klimaneutral werden. Dazu hat sich die Bundesregierung im Klimaschutzgesetz verpflichtet. Doch der Weg dorthin dürfte steinig werden. Airbus will im Jahr 2035 einen mit Wasserstoff angetriebenen „grünen“ Flieger auf den Markt bringen. Doch dieser dürfte zunächst für rund 100 Passagiere ausgelegt sein und nur 1850 Kilometer weit fliegen können. Bis in der Serienproduktion des „grünen“ Fliegers wesentliche Stückzahlen hergestellt werden, dürfte es noch lange dauern. Und die beförderte Passagiermenge ist deutlich geringer als bei der heutigen A320-Familie. Zum Vergleich: Airbus neuer Hoffnungsträger A321XLR fasst bis zu 220 Passagiere und fliegt sogar 8700 Kilometer nonstop.
Haifischhaut soll Treibstoffverbrauch um bis zu drei Prozent senken
Ziel sei es zunächst, den Treibstoffbedarf so weit wie möglich durch neue Technologien zu reduzieren, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck und hält eine spezielle Folie in der Hand, die von Lufthansa Technik mitentwickelt wurde und auf den Flugzeugrumpf geklebt wird. Diese „Haifischhaut“ könne den Treibstoffverbrauch um ein bis drei Prozent verringern, so der Grünen-Politiker. Man arbeite daran, klimaneutrales Fliegen durch Innovationen und technischen Fortschritt hinzubekommen.
Natürlich solle man im Alltag das unnütze Fliegen insbesondere auf Kurzstrecken sein lassen. Aber: „Die Welt wird fliegen. Eine Reduktion von Binnenflügen in Deutschland oder in Europa wird nicht verhindern, dass wir in den nächsten Jahren einen globalen Zuwachs von Luftverkehren erleben werden“, sagt Habeck.
Auch der grüne Wirtschaftsminister erwartet weiteren Anstieg der Flüge
Für eine Übergangszeit brauche man daher mehr nachhaltig hergestelltes Kerosin, Sustainable Aviation Fuel (SAF). Deren Produktion sei „kein Hexenwerk mehr. Die Technik ist da“, sagt der Wirtschaftsminister. Allerdings sei es in der Menge noch nicht verfügbar. Wie schwierig die Umstellung auf nachhaltigen Kraftstoff ist, beziffert Christoph Bals. Man brauche die dreifache Menge der erneuerbaren Energien, die derzeit weltweit installiert sind, um das benötigte Kerosin für die globale Flotte abzudecken, sagt der politische Geschäftsführer der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch.
Vor den Toren von Lufthansa Technik wird unterdessen von Klimaschützern harsche Kritik an dem Treffen von etwa 400 Teilnehmern laut. Es sei nichts anderes als „Greenwashing“. „Die Flugverkehrsbranche verspricht uns das Blaue vom Himmel herunter“, sagt Ute Bertrand von der Umwelt- und Naturschutzorganisation Robin Wood. Industrie und die Airlines setzten nur auf technische Lösungen wie weniger klimaschädliche Treibstoffe. „Aber der Faktor Zeit ist sehr relevant“, sagt Bertrand: „Wir haben nicht die Zeit, zu warten, bis solche Lösungen auch wirklich praktisch zur Verfügung stehen.“
Klimaschützer fordern 20 Prozent weniger Flüge bis 2030
Darum müsse der Flugverkehr „schnell drastisch reduziert werden“. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert Robin Wood, die Hansestadt müsse sich auf Bundesebene für „eine Reduktion der planbaren Starts und Landungen an den deutschen Flughäfen um insgesamt mindestens 20 Prozent bis zum Jahr 2030“ einsetzen.
„Es muss eine Größenordnung sein, die auch einen Effekt hat“, sagt die Hamburger BUND-Landesvorsitzende Sabine Sommer zur Verteidigung dieses Ziels: „Wir sind nicht gegen das Fliegen an sich, aber ein ‚weiter so‘ kann nicht funktionieren.“ Vor allem im Verkehrssektor würden die Emissionen nicht im vorgeschriebenen Maße reduziert. Das von der Luftverkehrsindustrie angestrebte Wachstum von bis zu vier Prozent pro Jahr „gefährdet Deutschlands Klimaziele massiv“, sagt Sommer und fordert „attraktive Nachtzüge“, um damit auch für Geschäftsreisende eine Alternative zu innereuropäischen Flügen zu schaffen.
Verkehrsminister Wissing mit Spitze gegen die Deutsche Bahn
Tatsächlich lässt das Nachtzugnetz zu Wünschen übrig. Immerhin kooperieren Deutsche Bahn und Lufthansa seit einiger Zeit – intermodaler Verkehr heißt das Stichwort, bei dem Reisende zunächst auf der Schiene zum Beispiel nach Frankfurt gebracht werden, um dann von dem Luftdrehkreuz in die Ferne abzuheben. Doch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) weist auch auf die Schwächen des Systems hin. „Wir müssen natürlich – wenn man zum Flug mit dem Zug fahren will – dafür sorgen, dass der Zug dann da ankommt, und zwar bevor der Flug startet.“ Mit einem maroden Schienennetz könne man keine Inlandsflüge ersetzen, Pünktlichkeit sei dafür eine zentrale Voraussetzung. Daher investiere die Bundesregierung kräftig in die Bahn, knapp 40 Milliarden Euro zusätzlich bis 2027.
Für den FDP-Politiker stehe aber fest, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland einen funktionierenden und nachhaltigen Luftverkehr brauche. Daher unterstütze man die heimischen Luftfahrtunternehmen und Flughäfen, Vorreiter bei der Reduktion von Treibhausgasen zu sein, um klimaneutral zu werden. Wissing betont aber, dass Fliegen für alle bezahlbar bleiben soll.
BUND Hamburg: „Wir sind nicht gegen das Fliegen an sich“
Auch die Flughäfen könnten bei der Emissionsreduzierung aktiver werden, fordert Ver.di-Vertreter Sven Bergelin. Zugleich kritisiert er aber auch den Technologie-getriebenen Ansatz der Konferenz. Der Fokus auf die Arbeitnehmer, die in einigen Bereichen zu schlechten Konditionen arbeiten und hohem Druck ausgesetzt seien, sei zu gering gewesen. „Die Beschäftigten wollen den nachhaltigen Luftverkehr“, so Bergelin.
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Der Bundeskanzler machte in seiner Rede deutlich, dass er die Luftfahrt für den Industriestandort Deutschland für „unentbehrlich“ hält. Bundesweit seien Hunderttausende Menschen in der Branche in gut bezahlten und hoch qualifizierten Jobs beschäftigt. Die Branche gehöre zu Deutschland und die Bundesregierung setze sich dafür ein, dass es so bleibe. Daher sei es auch wichtig, dass in Zeiten des Spezialistenmangels Fachkräfte nun leichter in die Bundesrepublik kommen könnten.
Scholz: Hamburg ein wichtiger Treiber der Entwicklung
Man arbeite an dem Aufbau einer guten Infrastruktur für Wasserstoff, um auch die Rahmenbedingungen für das Gelingen des Umbaus der Luftverkehrswirtschaft zu schaffen. Das sei eine wichtige Voraussetzung, so Scholz: „Ich bin überzeugt, der Luftfahrtstandort Deutschland hat eine gute Zukunft.“
Hamburg sei ein wichtiger Treiber der Entwicklung, sagt Scholz. Die Hansestadt hat sich zum weltweit drittgrößten Standort der Luftfahrtbranche mit rund 40.000 Beschäftigten entwickelt. Jedes sechste Verkehrsflugzeug weltweit werde in Deutschland endmontiert. Gemeint ist damit Airbus. Der Flugzeughersteller baut an der Elbe den Verkaufsschlager A320-Familie zusammen.
Nach gut einer Stunde ist der Kanzler wieder weg – per Hubschrauber
Und mit dem A321XLR wurde hier ein Flieger entwickelt, der dank eines Tanks im Frachtraum auch auf der Langstrecke eingesetzt werden kann. Dass auf solchen Verbindungen noch viele Jahre lang Kerosin (möglichst nachhaltig erzeugtes) eingesetzt wird, darüber herrscht Einigkeit in der Branche. Scholz nennt den XLR das weltweit effizienteste Flugzeug, weil es rund 30 Prozent weniger Sprit pro Sitzplatz verbrauche als die Vorgängergeneration.
Ein paar Minuten vor 11 Uhr wird es dann wieder laut bei Lufthansa Technik, während drinnen noch eifrig und stundenlang weiter diskutiert wird. Der Hubschrauber der Bundespolizei startet – und nimmt den Kanzler dieses Mal mit. Auf nach Berlin zum nächsten Termin.