Hamburg. Fluggesellschaften suchen händeringend Personal. Die Gründe sind vielfältig. Bei einer Airline fallen bereits Flüge aus.

Wolfgang Horch

In den USA klingen die Verdienstmöglichkeiten für Piloten paradiesisch. Zwei Jahre können den Flugzeuglenkern reichen, um Einkommensmillionäre zu werden. Im März wurde bekannt, dass American-Airlines-Chef Robert Isom seinen Kapitänen auf der Langstrecke als Spitzenverdiener bis zu 590.000 US-Dollar (rund 552.000 Euro) pro Jahr bietet – 170.000 Dollar mehr als zuvor.

Im August schlossen die Piloten mit der US-Fluglinie den Deal ab. Der neue Vierjahresvertrag hat ein Volumen von 9,6 Milliarden US-Dollar und sieht Verdienststeigerungen von bis zu 46 Prozent vor. Angesichts der finanziellen Belastung sagte Isom einen eher ungewöhnlichen Satz: „Heute ist ein wirklich großartiger Tag für unsere Piloten und unsere Fluggesellschaft.“

Luftfahrt: Warum in Deutschland Hunderte Piloten fehlen

Der Grund: In den USA gibt es einen massiven Pilotenmangel. Auch die anderen heimischen Branchengiganten Delta Air Lines und United Airlines bezahlen die Cockpit-Crews daher mittlerweile in ähnlicher Höhe.

„Der Pilotenmangel ist in den USA sehr groß. Dort müssen Flugzeuge sogar geparkt werden, weil es nicht ausreichend Crewmitglieder gibt“, sagt Floris Helmers. Er gründete vor 22 Jahren die Flugschule Hamburg und ist ein Kenner des Pilotenmarkts. Zumal er seit 2006 auch Air Hamburg aufbaute, das Bahrenfelder Unternehmen zum größten Anbieter von Privatflügen in Europa machte und zig Flugzeugführer einstellte.

Anfang 2022 wurde Air Hamburg vom Dubaier Konzern Vista Global Holding übernommen. Ende Mai gab Helmers die Geschäftsführung im „beiderseitigen Einvernehmen“ auf. Nun konzentriert er sich wieder auf die Flugschule Hamburg.

In Europa werden Prämien gezahlt, wenn Leute zum Einstellungstest kommen

Engpässe im Cockpit gebe es aber nicht nur in Nordamerika, sondern auch auf dem alten Kontinent. „Es werden auch in Europa schon Prämien gezahlt, wenn Leute wechseln. Teilweise wurde sogar schon Geld gezahlt, wenn Leute zum Einstellungstest gekommen sind“, sagt Helmers: „Eigentlich sucht jede Firma – ob klein oder groß.“

Eine große deutsche Fluggesellschaft bestätigt das. „In der gesamten Luftverkehrsbranche laufen aktuell Recruitingmaßnahmen, so auch bei Condor“, sagt eine Sprecherin des Ferienfliegers. Im vergangenen Jahr seien mehr als 250 Cockpitbesatzungsmitglieder eingestellt worden. Hinzu kamen noch gut 1000 neue Mitarbeiter für die Kabine.

Condor sucht Piloten für Flottenerneuerung

Bei Condor gibt es noch einen Sondereffekt. Die Airline steckt mitten in der Flottenerneuerung. Im Herbst 2022 erhielt man den ersten von 18 bestellten Airbus A330neo. Anfang 2024 soll die Modernisierung auf der Langstrecke abgeschlossen sein. Anschließend erfolgt die Umstellung der Kurz- und Mittelstreckenflotte auf werksneue Flieger der A320neo-Familie.

Dies mache umfangreiche Umschulungsmaßnahmen des Personals notwendig, so die Sprecherin: „Auch in den kommenden Monaten plant Condor mit weiteren Neueinstellungen im Cockpit.“ Derzeit sind 850 Piloten beschäftigt, darunter auch knapp 60 in Hamburg.

Junge Airline Marabu spürt Engpässe bei Fachkräften

Aber auch neue Fluglinien suchen. Seit diesem Frühjahr fliegt Marabu. Die Flughäfen in Hamburg und München sind die Schwerpunkte der Condor-Schwester, die vor allem Sonnenziele ansteuert. In erster Linie kooperiert das estnische Unternehmen mit Partner-Airlines, die den operativen Betrieb übernehmen.

Das Gewinnen der Crew und die Suche nach Personal liege in deren Händen, sagt ein Unternehmenssprecher. Aber: „Wir stellen fest, dass der Fachkräftemarkt durchaus eng ist.“ Bisher seien die Flüge konstant mit Personal bereedert worden, hieß es. Allerdings gab es zum Anfang massive Startprobleme. Mitunter fielen Flüge aus – nach Informationen unserer Redaktion auch, weil teilweise keine Crew verfügbar war.

Branchenkenner Floris Helmers sieht Engpass von 500 Pilotenstellen in Deutschland

Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Das Luftfahrtberatungsunternehmen Europairs hatte mitten in der Corona-Pandemie zum Jahreswechsel 2020/2021 unter Berufung auf Zahlen der Arbeitsagentur mehr als 1100 arbeitssuchende und rund 800 arbeitslose Berufspiloten ermittelt. Als Grund darf angenommen werden: Mit dem Einbrechen der Passagierzahlen wurden auch weniger Flugzeuglenker gebraucht. Nun ziehen die Buchungszahlen wieder an. Entsprechend wird auch das Cockpitpersonal wieder gebraucht. Im Mai 2023 waren noch jeweils gut 300 Berufspiloten als arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldet.

Eigentlich sucht jede Fluglinie – ob klein oder groß.
Floris Helmers, Geschäftsführer der Flugschule Hamburg

„Ich habe gehört, dass in Deutschland derzeit 500 Stellen zu besetzen sind – vom Rundflug- bis zum Linienpiloten“, sagt Helmers. Gründe dafür gebe es viele. So versuchten Airlines ihre Personalkosten zu senken, indem sie Piloten Abfindungen anboten oder sie sogar entließen. Ältere Piloten gingen in den Ruhestand. Jüngere wählten im Life-Balance-Modus auch mal das Teilzeitmodell.

Während Corona wurden viele Pilotenausbildungen abgebrochen

Früher seien zudem viele Militärpiloten nach dem Erreichen der Altersgrenze von 41 Jahren – solange darf man die schnellen Militärjets fliegen – zu kommerziellen Fluggesellschaften gewechselt. Durch den Ukraine-Krieg sei das Militär nun wieder ein attraktiverer Arbeitgeber, weil dem Vernehmen nach dort mehr bezahlt werde und auch wieder mehr Trainingsflüge unternommen würden – das, was den Piloten ja Spaß mache, und der Grund, warum sie den Job einst wählten.

Zudem werden die Nachwehen der Pandemie jetzt sichtbar. „Während Corona wurde die Ausbildung abrupt gestoppt, weil mehrere Flugschulen aufgaben oder die Eltern ihre Kinder angesichts der unsicheren Jobaussichten nicht mehr zur Flugschule schickten, sondern zu einer Ausbildung oder einem Studium. Jetzt kommt das bei den Airlines an“, sagt Helmers: „Das Hoch des Pilotenmangels ist noch nicht erreicht.“

Wer beruflich fliegen will, muss mindestens 150 Flugstunden vorweisen

Denn die Ausbildung zum Piloten dauert lange. Wer fliegen will, muss zunächst einmal die Privatpilotenlizenz (PPL) erwerben. Praxiserfahrung muss in 45 Flugstunden gesammelt werden, davon können fünf am Simulator erfolgen. Der Theorieunterricht umfasst um die 150 Stunden, zum Teil ist er auch online möglich. Im Normalfall dauere die Ausbildung mindestens sechs Monate, im Durchschnitt eher ein Jahr, sagt Helmers. Maximal zwei Jahre hat man dafür Zeit. Inklusive Mehrwertsteuern und Gebühren müsse man mit mindestens 15.000 Euro rechnen.

Wer beruflich fliegen will, braucht die Airline Transport Pilot Licence (ATPL). Nach der PPL setzt man das Modul Instrumentenflug obendrauf, in dem man lernt, in den Wolken zu fliegen. Im Anschluss wird mit einem mehrmotorigen Flugzeug (in der Regel zweimotorig) geübt, anschließend mit einem Flieger mit Einziehfahrwerk. Mindestens 150 Flugstunden seien nötig.

Ausbildungskosten für Berufspiloten liegen bei rund 100.000 Euro

Der Schulungsinhalt sei viel umfangreicher als beim PPL. Es müssten Klausuren in 13 Fächern geschrieben werden wie Navigation, Luftrecht, Avionik, Wetter und Technik. Wer schnell unterwegs ist, muss für die Ausbildung mindestens 70.000 Euro zahlen. Der Normalfall sind eher Kosten von rund 100.000 Euro. Aber: „Die erfolgreiche Ausbildung legitimiert zum Fliegen eines Airbus. Viele gehen nach der Schule direkt zu einer Airline“, sagt Helmers.

An der Flugschule Hamburg gebe es stets um die 100 Flugschüler. Der Anteil der PPL-Schüler sei höher als derjenige der ATPL-Schüler. Zehn fest angestellte Lehrer haben 18 Maschinen zur Verfügung. Darunter auch zwei Cessna DA40, die jüngst von der Lufthansa-Schule aus Rostock übernommen wurden.

Zahl der Flüge im deutschen Luftraum noch geringer als 2019

„Die Nachfrage nach der Ausbildung ist eigentlich gleichbleibend hoch“, sagt Helmers. „Während Corona hatten wir bei den Privatpilotlizenzen sogar einen Anstieg. Wahrscheinlich, weil die Leute mehr Zeit hatten. Für den ATPL gab es aber einen eindeutigen Knick bei den Anmeldungen.“

Zu vage schienen vielen Interessenten offenbar die Jobaussichten. Keiner wusste, wie schnell sich die Luftfahrt wieder erholt. Im ersten Halbjahr nutzten 87,7 Millionen Passagiere die deutschen Flughäfen. Das waren rund 74 Prozent des Vor-Corona-Jahr-Zeitraumes 2019. Die Deutsche Flugsicherung zählte rund 1,33 Millionen Flüge im deutschen Luftraum – das waren 17 Prozent weniger als 2019. Im Sommer dürfte sich die Zahl erhöht haben. Strecken werden wieder aufgenommen und neue erschlossen. Das Auftragsbuch bei Airbus und anderen Herstellern ist gut gefüllt, sodass die Airlines auch in den nächsten Jahren viele Flugzeuglenker brauchen.

Frisch ausgebildete Piloten können aus den Angeboten auswählen

Mit dem Ende der Pandemie sei die Nachfrage im ATPL-Bereich deutlich angestiegen, sogar über Vor-Corona-Niveau, sagt Helmers: „Viele unserer Schüler haben nach erfolgreicher Prüfung mehrere Angebote, gehen zu verschiedenen Tests hin, manchmal auch zu sehr aufwendigen mehrtägigen. Am Ende haben sie drei, vier, fünf Jobangebote, aus denen sie aussuchen können.“ Ein Co-Pilot fange mit einem Minimum von 3500 bis 4000 Euro brutto an. Das Gehaltsniveau variiere aber sehr stark zwischen den Airlines.

So bietet Eurowings jungen Flugzeuglenkern bereits deutlich mehr Geld. Ein First Officer erhalte zwischen 58.050 bis 112.910 Euro, sagt Airline-Sprecherin Anke Carola Walter. Der Betrag setze sich aus dem Grundgehalt plus Flugzulage sowie Gratifikation zusammen. Mehrflugstunden kommen noch on top, die sich „gerade in den Sommermonaten deutlich beim Monatsgehalt auswirken“. Kapitäne lägen zwischen 99.070 bis 167.275 EUR ohne Mehrflugstunden. Außerdem könnten sie ihre Vergütung aufstocken durch Nebenfunktionen wie als Ausbilder oder Trainer.

Eurowings sucht mittlere zweistellige Zahl an Piloten in Deutschland

Insgesamt beschäftigt Eurowings aktuell knapp 1300 Piloten europaweit, davon sind in Hamburg knapp 160 stationiert. Seit der Corona-Krise habe man mehr als 1500 Mitarbeiter eingestellt. Und das Wachstum soll weitergehen. In den nächsten Monaten wolle man weitere Fachkräfte einstellen, insbesondere IT-Experten, Techniker, Flugbegleiter und Piloten.

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Im Cockpit sind deutschlandweit für das nächste Jahr noch eine mittlere zweistellige Zahl an Posionen zu besetzen, darunter auch in Hamburg. „Wir sind sicher, diese letzten verbliebenen Positionen zeitnah besetzen zu können, da Eurowings langfristige Karriereperspektiven und einen sicheren Arbeitsplatz in einem Cockpit der Lufthansa Group anbietet“, so Walter.

Lufthansa weitet Kapazität ihrer Flugschule deutlich aus

Der Mutter-Airline beschäftigt sogar 4700 Piloten, sagt Lufthansa-Sprecher Martin Leutke: „Die Faszination für die Beschäftigung über den Wolken ist ungebrochen groß.“ Die European Flight Academy ist die Flugschule der Lufthansa Group. In den nächsten Jahren solle die Schulungskapaztiät von 300 Schülern auf 500 pro Jahr ausgeweitet werden, um den wachsenden Piltenbedarf in der Gruppe abzudecken. Die Ausbildung findet in Bremen (Theorie) und in der US-Stadt Phoenix sowie Rostock (Praxis) statt.

Derzeit laufe der Bewerbungsprozess für die Cockpitarbeitsplätze für 2024. Offenbar gibt es genügend Kandidaten. Denn Leutke und Walter sind sich einig: Einen Pilotenmangel spüren die beiden nicht. Das könnte aber vor allem an dem Namen Lufthansa liegen. Der Kranich-Konzern habe noch immer ein gutes Image in der Branche, viele junge Menschen wollten dort hin, sagt Helmers: „Dort können sie große Flugzeuge wie einen Airbus fliegen – da haben die Leute Lust drauf.“