Hamburg. Reeder auf Zinne, Gewerkschaften empört, Opposition wittert Morgenluft – vielleicht ist der Teilverkauf der HHLA besser als sein Ruf.

Die Fieberkurve war für jeden erkennbar: Der Aktienkurs der HHLA zeigte seit Jahren das Ausmaß der Krise. Die Aktie, die im November 2007 zu einem Preis von 53 Euro an die Börse kam, erlebte eine kurze Blüte, verteuerte sich auf gut 65 Euro und drehte dann südwärts: Eigentlich ging es in den vergangenen knapp 16 Jahren danach nur noch bergab. Wer beim Börsengang 10.000 Euro in die Hamburg-Aktie investiert hatte, hatte vor einer Woche noch Papiere im Gegenwert von 2000 Euro im Depot.

Mitte August hatte die Hamburger Hafen und Logistik AG katastrophale Zahlen gemeldet – ein Umsatzeinbruch von 6,7 Prozent, eine Halbierung des Konzern-Betriebsergebnisses, eine Halbierung der EBIT-Marge. Hoffnung auf rasche Besserung hatte das Unternehmen schon Ende Juli kassiert: Statt eines leichten Anstiegs stellte die HHLA einen deutlichen Rückgang im Containerumschlag in Aussicht. Analysten hatten bereits zuvor den Daumen gesenkt: Das Analysehaus Warburg Research hatte im März das Votum auf Verkaufen gestellt, Ende August drohte der Kurs unter zehn Euro zu fallen.

Hamburger Hafen: Am Mittwoch hat sich die Welt für die HHLA komplett verändert

Und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus – die größte Reederei MSC will die knappe Hälfte der HHLA übernehmen, teilten der MSC-Unternehmenschef, Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard und Finanzsenator Andreas Dressel der verdutzten Öffentlichkeit am vergangenen Mittwoch mit. Das vermeintlich Sorgenkind war plötzlich ein kleiner Star: So schlecht, wie manche den Hamburger Terminalbetreiber gesehen hatten, scheint das Unternehmen nicht zu sein.

Das hässliche Entlein war plötzlich ein schöner Schwan. Stand jetzt rangeln mehrere Konzerne um den seit Jahren unterbewerteten Hafenbetreiber. Es dauerte nur wenige Minuten an diesem denkwürdigen Mittwochmorgen, da meldete sich Klaus-Michael Kühne von Mallorca aus zu Wort: „Diese Lösung ist ein Affront vor allem gegen Hapag-Lloyd als größten Nutzer und damit größten Reederei-Kunden des Hamburger Hafens“, sagte er am Morgen dem Abendblatt. „Ich kann Hapag-Lloyd nur dringend raten, selbst und sofort ein Übernahmeangebot für 49,9 Prozent der HHLA-Aktien abzugeben. Wenn Hapag-Lloyd es nicht tun würde, erwägt meine Kühne Holding AG, es kurzfristig zu tun.“

Gleich zwei Investoren denken laut über den Einstieg bei der HHLA nach

Am Tag darauf positionierte sich auch Thomas Eckelmann, Hauptaktionär des Eurokai-Konzerns, im Abendblatt. „Dieser Deal wäre eine Katastrophe für den Hamburger Hafen“, sagte er. Und fügte hinzu. „Deshalb erwäge ich für die Eurokai-Gruppe, dem Senat ein Gegenangebot zu MSC zu unterbreiten. Zu den gleichen Konditionen.“

Schon am Mittwoch war der Kurs der HHLA durch die Decke gegangen – schnell kletterte er über das MSC-Angebot von 16,75 Euro. Doch Spekulanten dürften enttäuscht werden: So, wie die Besitzverhältnisse sind, lässt sich das Angebot der Großreederei mit Sitz in Genf kaum aushebeln: Rund 69,25 Prozent liegen bei der Stadt, die sich vertraglich an MSC gebunden hat und ihr einen Teil der Aktien andienen will.

Der Rest ist gut verstreut rund um die Welt verteilt: Kein Fonds oder Großaktionär hält derzeit mehr als drei Prozent der Aktien. Am Kapitalmarkt ist nur ein überschaubarer Minderheitsanteil zu haben. Drittbieter könnten den MSC-Deal vielleicht verzögern und den Status quo aufrechterhalten, wenn sie an mindestens zehn Prozent der Aktien gelangen. Aber das wäre ein teurer Spaß, der zudem wenig Vergnügen verspricht.

Kühne warb mehrfach um eine Übernahme der Mehrheit

Denn eine Minderheit an der HHLA war stets das, was potenzielle Investoren nicht ausreichte. Mehrfach gingen Interessenbekundungen an einem Mehrheitsanteil ein. So warb Klaus-Michael Kühne gleich in zwei Schreiben an den Bürgermeister darum, ein solches Angebot zu machen. Auch Rolf Habben Jansen, Vorstandschef von Hapag-Lloyd, hätte sich einen Einstieg vorstellen können – unter der Bedingung, der Herr im Haus zu sein. Die Gespräche aber verliefen im Sande, Stadt und Hapag-Lloyd haben darüber sehr unterschiedliche Sichtweisen. In der Öffentlichkeit hatte der Manager ein Interesse geleugnet. Der WELT sagte er im August 2022, es gebe „nicht unbedingt solche“ Szenarien mit einer Kombination von Hapag-Lloyd und HHLA.

Das Scheitern dieser Anbahnung muss nicht zwangsläufig Schuld des Senats sein; vielleicht kann man auch sagen, Hapag-Lloyd hat sich verzockt. Klaus-Michael Kühne erhielt ein höfliches Absageschreiben, mehr bekam der Mäzen und Hamburg-Fan nicht zu hören. Diese in der Form eher schroffe Absage erklärt sich aus den Verhandlungen, die die Stadt da schon mit MSC führte – und wohl auch aus der Angst, sich zu abhängig von einem einzelnen Investor zu machen.

Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard steckt hinter dem Deal

Möglicherweise haben die Wirtschaftsbosse am Ende nicht nur den Wert der HHLA, sondern auch den Gestaltungswillen der neuen Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard unterschätzt. Seit Dezember 2022 im Amt, wollte sie die taumelnde städtische Tochter neu strukturieren: Als die SPD 2011 den Senat übernahm, notierte die HHLA-Aktie noch bei 35 Euro, als Leonhard übernahm bei weniger als zwölf Euro. Sie machte eine neue Struktur zur Chefsache, der Deal ist ihr Werk. Immerhin ist sie die erste Senatorin, die es geschafft hat, den Kurs der HHLA zu steigern.

Beifall aber gibt es dafür weniger als erhofft und erwartet. Denn der Senat geht massiv ins Risiko. Wobei Senat vielleicht der falsche Begriff ist, hier hat allein die SPD gehandelt. Der grüne Koalitionspartner wurde erst in der Nacht vor vollendete Tatsachen gestellt.

Vorstandschef und Aufsichtsrat von Hapag-Lloyd erfuhren erst durch einen Anruf des Finanzsenators gegen 7.30 Uhr vom Paukenschlag im Hafen – zeitgleich vermeldeten da schon die Ticker ad-hoc: „Hamburger Hafen und Logistik AG informiert über die Ankündigung zur Abgabe eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots durch MSC-Gruppe“. Man mag sich über die Kommunikationspolitik der Senatorin ärgern, sie ist zugleich ein Zeichen von Professionalität: Hier ging es um börsenrelevante Insiderinformationen. Derlei Gespräche führt man nicht in einer offenen Gruppendiskussion, sondern hinter verschlossenen Türen.

Der Abstieg des Hafens hat viele Ursachen

Der Deal erinnert an den Satz des Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“ Das gilt nach dem Niedergang der vergangenen Jahre zweifellos für die HHLA wie für den Hafen insgesamt: Hamburg, bis 2014 Europas Nummer 2 hinter Rotterdam, ist weit zurückgefallen, die Frachtmenge rückläufig. Viel davon ist einfach Pech: Veränderungen der Handelsrouten, größere Schiffe, die Schlickproblematik.

Aber manche Ursache wie die hohen Kosten war auch hausgemacht. Nun kommt der Streit um den MSC-Einstieg hinzu. Hapag-Lloyd jedenfalls hat den Deal scharf kritisiert: Die Reederei, die gerade der Hansestadt eine Dividende von 1,5 Milliarden Euro überwiesen hat, droht mit Konsequenzen: „Alle HHLA-Kunden werden jetzt überlegen, wie sie mit der Situation umgehen. Ich glaube nicht, dass viele von ihnen bereit sein werden, jetzt mehr Ladung nach Hamburg zu bringen“, warnte Habben Jansen am Sonnabend unmissverständlich im Abendblatt. „Auch aus Sicht von Hapag-Lloyd gibt es gewisse Volumina, die man genauso gut oder besser über Wilhelmshaven oder Bremerhaven abwickeln könnte.“

Manager und Politiker – nun sind alle beleidigt

Besondere Rücksicht auf die Stadt und ihre Interessen darf der Senat nun nicht mehr erwarten. Wie dünnhäutig die Politik auf die überraschend scharfe Kritik reagiert, zeigte der lose Finger des Finanzsenators Andreas Dressel auf X, vormals Twitter: „Ehe jetzt Legendenbildung zu den vorherigen Gesprächen einsetzt: Hapag Lloyd hat leider die städtische Mehrheit bei der HHLA-Group nicht akzeptiert & Eurogate nicht die volle Mitbestimmung der HHLA-Beschäftigten in der Hafenkooperation“, postete Dressel am Sonntag. Beleidigte Politiker treffen auf beleidigte Unternehmenslenker – auch ein persönliches Treffen konnte die Stimmung am Wochenende nicht aufhellen.

Dabei hätte das Grundproblem eigentlich allen bekannt sein müssen, warum die SPD vor einer noch größeren Veränderung im Hafen zurückscheute. Ihr ging es um die Interessen der Gewerkschaft und der Arbeitnehmer. Darf man das einem sozialdemokratischen geführten Senat vorwerfen? Jeder Mehrheitsverkauf hätte massiven Krach ausgelöst.

Die SPD dachte an die Gewerkschaften – und kassiert Prügel von Verdi

Dieses Mal reicht offenbar schon ein Minderheitsdeal: „Unser Hafen. Nicht Euer Casino“, heißt es in bester Klassenkampfmanier bei Verdi. Mit der geballten Faust wird am Dienstag zur Demo aufgerufen. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass „unser Hafen“ dort ernst gemeint ist und er weniger der Stadt und ihren Bürgern als vielmehr den Beschäftigten gehört – ein Grund der Malaise, so sagt es jeder Beobachter, sind die exorbitanten Gehälter bei der HHLA für jedermann bei schwächelndem Service.

Hier liegt der wahre Grund, warum alle Interessenten bei den Hamburgern durchregieren und -reformieren wollten.

Inzwischen äußert sich Kühne etwas zurückhaltender

Dabei bleibt auch Klaus-Michael Kühne. „Mir geht es darum, dass die HHLA unter privatwirtschaftliche, professionelle Verantwortung kommt“, sagte der Investor am Wochenende dem Abendblatt. „Das heißt Mehrheit bei Hapag-Lloyd, Kühne Holding oder“ – und da klingt er etwas anders als am Mittwoch – „meinetwegen auch MSC.“

Zugleich betont der 86-Jährige, es wäre besser, „wenn MSC, CMA CGM ebenso wie Hapag-Lloyd an einzelnen Containerterminals im Hafen beteiligt würden, um sie zu binden, aber auch gleich zu behandeln!“ Er vermisst im Hamburger Beschluss jegliche strategische deutsche Seehafenpolitik: „Die aktuelle Senatslösung bringt keine Effizienzsteigerung außer einer Verlagerung von Containermengen von Eurokai zur HHLA und sukzessive von Bremerhaven nach Hamburg.“

Hierin liegt eine Gefahr. Denn statt gemeinsam an einem deutschen Seehafenkonzept zu arbeiten, setzen die Hamburger nun auf einen Alleingang und wachsende Konkurrenz: Die kann das Geschäft beleben – oder alle schwächen. Bremens Bürgermeister reagiert pikiert. „Ich habe das wie fast alle anderen aus der Presse erfahren. Da war ich durchaus überrascht. Die Hamburger glauben, dass das die richtige Entscheidung ist“, sagte Andreas Bovenschulte (SPD) NDR 90,3. „In Bremen setzen wir darauf, dass wir eine enge Kooperation mit verschiedenen unterschiedlichen Reedereien haben.“

Opposition entdeckt das Thema für sich

Wohin die Reeder ihre Schiffe steuern, hängt am Ende vor allem von der reibungslosen und fairen Abwicklung in den Häfen ab: Wird der Hamburger Hafen effizienter und günstiger, werden die Reeder auf ihre Zahlen gucken – und nicht ihre Befindlichkeiten. Die großen Reedereien wie CMA CGM zurück ins Boot zu holen, liegt allemal im Interesse der neuen HHLA.

Dass die Opposition das Thema für sich entdeckt, ist angesichts der Gemengelage mehr als nachvollziehbar. Die CDU wird eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses der Bürgerschaft beantragen: „Der Paukenschlag von SPD und Grünen, dass die Reederei MSC die HHLA übernimmt, sorgt für immer mehr Kritik von führenden Akteuren aus dem Hamburger Hafen“, sagt CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Vor allem stehe die Frage im Raum, welchen Nutzen der Einstieg von MSC bei der HHLA tatsächlich habe. Die Union wird mit dem Finger in der Wunde rühren: Wäre das Angebot von Hapag-Lloyd, die Mehrheit zu übernehmen und den Zusammenschluss „Hamburg Ports“ in die Welt zu tragen, am Ende besser gewesen?

Hamburger Hafen: Es wird wieder engagiert um die Zukunft des Hafens gestritten

Zudem wird brisant, wie sich die massive Kritik an dem Deal auf die Stimmung im Senat auswirkt: Die Grünen waren spät eingebunden und lobten das Zusammengehen am Mittwoch pflichtschuldig. Diese strategische Partnerschaft passe sehr gut und mache Mut für die Zukunft, lobte Fraktionschef Dominik Lorenzen persönlich. „Es ist ein Schulterschluss, mit dem wir als rot-grüne Koalition die richtige Antwort auf drängende Wettbewerbsfragen geben.“ Ob das alle Fraktionsmitglieder nach dem veritablen Shitstorm heute immer noch so sehen, darf bezweifelt werden. Sie aber werden gebraucht: Die Zustimmung der Bürgerschaft ist die letzte und wohl einzige Hürde, an der diese Hafenhochzeit noch scheitern kann.

Immerhin ein Gutes hat der MSC/HHLA-Deal zweifelsfrei: Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahrzehnten wird in der Stadt wieder engagiert für die Zukunft im Hafen gestritten. Bis letzte Woche ging es eigentlich vor allem um die Vergangenheit: Manche hielten den Denkmalschutz für die Köhlbrandbrücke für das drängendste Hafenthema. Diese Verschiebung zurück dürften - abgesehen von ein paar Denkmalschützern – alle im Hafen als Gewinn verbuchen.