Hamburg. Der Streit um die Köhlbrandquerung ist mehr als Sommertheater.
Wäre der Hamburger Senat ein „House of Cards“, Umweltsenator Jens Kerstan bekäme eine der Hauptrollen – mit seinem scharfen Verstand und seiner unstillbaren Rauflust bringt er immer wieder Leben ins Rathaus.
Längst gilt er als Antipode zum besonnen-empfindlichen Bürgermeister Peter Tschentscher. Und wenn Jens Kerstan mit seinen pointiert gesetzten Spitzen mal wieder Feuer unter dem gemeinsamen Dach gelegt hat und die Sozialdemokraten schäumen, lehnt sich die Opposition zurück – und lässt schon einmal Popcorn kommen.
Die alte Köhlbrandbrücke ist marode
Dabei scheint der Konflikt um die Köhlbrandbrücke in der Sache entschieden – so wünschenswert der Erhalt des Wahrzeichens aus ökologischen wie ästhetischen Gründen auch ist, so ist klar: Verkehrssicherheit stützt sich nicht auf Wünsch-dir-was oder Denkmalschutz, sondern auf Statik und Mathematik. Und auch wenn nun ein 15 Jahre altes vermeintlich geheimes Gutachten gehypt wird, das den Zustand in helleren Farben malt, macht das die Brücke kaum belastbarer.
Damals war das Bauwerk 34 Jahre alt, bald wird es 50. Heute dürfen Lastkraftwagen dort nur mit Sicherheitsabstand fahren, zudem gilt lange ein Überholverbot. Viele Gutachter halten die Brücke für marode.
Der Streit schwelt schon viel länger
Mit der neuerlichen Debatte wird die unendliche Geschichte um den Ersatzbau um ein weiteres Kapitel verlängert: Seit nunmehr gut sechs Jahren wird in Hamburg an einem Ersatz für die Köhlbrandbrücke gewerkelt und geplant.
Der Neubau schien schon vom Tisch, bis nun auch der Tunnel aufgrund von Bodenproblemen wieder zur Disposition steht. Überraschung! Daraufhin spottete der hafenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norbert Hackbusch, nicht zu Unrecht, die schwierigen Bodenverhältnisse seien nicht neu, sondern existierten bereits seit der Eiszeit.
Die lange für die Planung verantwortliche Hamburg Port Authority und die Politik haben sich in den vergangenen Jahren kaum mit Ruhm bekleckert. Mit der neuesten Volte des Erhalts der Brücke – ganz unschuldig zunächst als Privatmeinung vor seiner Reise in den Süden kundgetan – stiftet Kerstan noch mehr Unsicherheit und Unruhe.
SPD von den Grünen zunehmend genervt
Die scharfe Reaktion der SPD ist auch dadurch zu erklären, dass der Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen erst im Januar das zweite zentrale Verkehrsprojekt für den Hafen, den Bau der A26-Ost, infrage gestellt hatte. Beide Vorhaben sind keine neuen Ideen, sondern lange diskutiert – und Teil der Koalitionsvereinbarungen.
Und doch sind die grünen Vorbehalte mehr als provokatives Sommertheater. Inzwischen stellen sich gesamtgesellschaftlich Fragen, die über die Hamburger Politik hinausgehen: Wann macht Deutschland ernst mit einer klimapolitischen Verkehrswende? Wer bis 2045 klimaneutral sein möchte, darf in den kommenden Jahren nicht weitermachen wie in Wirtschaftswunderzeiten.
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Hinzu kommt, dass auch die Finanzlage im Bund nicht besser wird: Die stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag überraschte kürzlich mit der Aussage, wer glaube, der Bund werde die Hafenautobahn A26-Ost und die neue Köhlbrandquerung finanzieren, habe den Schuss nicht gehört. Das klang nach Jens Kerstan, kam aber von der SPD-Politikerin Bettina Hagedorn. Und die war Staatssekretärin unter Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Es bedarf keiner ausgeprägten Fantasie, um zu ahnen: Im Hafen wird noch manche Fortsetzung der Hamburger Serie „House of Cards“ geschrieben werden.