Hamburg. Bei Hunderten A320neo-Jets müssen Triebwerke gewartet werden. Das verschafft dem Hamburger Unternehmen zusätzliche Arbeit.
Es ist ein gewaltiger Rückruf für Airbus-Maschinen: Hunderte Jets der A320neo-Reihe müssen bis Mitte 2024 überprüft werden. Der Triebwerkshersteller Pratt & Whitney hatte Unregelmäßigkeiten in einem verwendeten Pulvermetall festgestellt. Rund 1200 Motoren müssen nun unter die Lupe genommen werden – und das werden auch Mitarbeiter eines Hamburger Unternehmens machen.
Man werde „einen Teil der betroffenen Triebwerke in unseren Werkstätten warten – und das bedeutet natürlich zusätzliches Geschäft für uns“, sagte Lufthansa-Technik-Sprecher Dirk Steinbach auf Anfrage. Denn selbstverständlich stehe man seinen Kunden bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich dabei ergeben, zur Seite.
Lufthansa Technik profitiert von Airbus’ Motoren-Problemen
Lufthansa Technik ist der Weltmarktführer für die Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen. Das Unternehmen mit Sitz am Hamburger Flughafen betreut mit seinen weltweit gut 21.500 Beschäftigten mehr als 4200 Flugzeuge von gut 800 Kunden.
Wie viele Triebwerke man genau untersuchen werde, stehe noch nicht fest, so Steinbach. Die Flotten der Airlines des Lufthansa-Konzerns – also Lufthansa, Eurowings, Discover Airlines (früher Eurowings Discover), Austrian, Brussels und Swiss – betreue man direkt. Die anderen über EME Aero, einem Gemeinschaftsunternehmen von Lufthansa Technik mit MTU – der Münchner Motorenhersteller fertigt zusammen mit Pratt & Whitney die Triebwerke vom Typ PW1100G-JM.
Airbus lieferte bisher rund 2900 Jets der A320neo-Familie aus
MTU-Chef Lars Wagner hatte Ende Juli die Ausmaße des Rückrufs präzisiert. Während der Pratt-&-Whitney-Mutterkonzern Raytheon Technologies nur von einem erheblichen Teil der bereits ausgelieferten Flotte sprach, nannte der deutsche Kooperationspartner die Zahl von 1200 Triebwerken. 200 davon müssen bis Mitte September überprüft werden, der Rest innerhalb von neun bis zwölf Monaten, hieß es damals.
Airbus lieferte bisher rund 2900 Jets der A320neo-Familie aus. Bei den Motoren wird stets mit Fremdfirmen zusammengearbeitet. Selbst werden die Motoren also nicht hergestellt – gleichwohl sind ihre Fähigkeiten ein wichtiger Verkaufsfaktor. Denn die Triebwerke der neo-Generation (next engine option) verbrauchen etwa 15 Prozent weniger Kerosin als die Vorgängermodelle.
Bei jedem zweiten A320neo-Jet kommt das Pratt-Triebwerk zum Einsatz
Das PW1100G-JM kommt etwa bei jeder zweiten Maschine zum Einsatz. Die andere Hälfte ist mit Leap-Triebwerken von CFM ausgestattet, einer Gemeinschaftsfirma der Konzerne Safran (Frankreich) und General Electric (USA). MTU liefert Teile für das Pratt-Triebwerk und baut in München etwa jedes dritte Exemplar davon zusammen.
Letztlich werden von dem Rückruf mindestens 600 Flugzeuge betroffen sein – es können aber auch deutlich mehr sein. Denn jeder A320neo, von denen etwa die Hälfte in Hamburg endmontiert worden sein dürfte, wird von zwei Triebwerken gleichen Typs angetrieben. Diese müssen aber nicht unbedingt aus demselben Produktionszyklus stammen. Heißt: An den Jets kann auch nur ein Triebwerk betroffen sein. Entsprechend steigt dann die Zahl der Flieger, die in die Werkstätten müssen.
Lufthansa Technik wird Motoren auch in Hamburg bearbeiten
Einige der betroffenen Triebwerke sollen Mitarbeiter von Lufthansa Technik auch in Hamburg bearbeiten, andere in Frankfurt und einen großen Teil des Volumens bei EME Aero im polnischen Jasionka. Dort könnten „selbst komplexeste Eingriffe an den betroffenen Triebwerken“ realisiert werden, so Steinbach. Kern der Arbeiten sei der Ausbau und die Prüfung von Hochdruckturbinen-Scheiben über Ultraschallverfahren. Hört sich unspektakulär an, dauert aber durchaus lange.
„Aktuell gehen wir davon aus, dass die Arbeiten in 30 Tagen Durchlaufzeit dargestellt werden können und haben dies bereits in ersten erfolgreichen Versuchen bestätigen können“, sagte Steinbach. Dabei arbeite man eng mit Pratt & Whitney und anderen Netzwerkpartnern zusammen, um eine möglichst kurze Durchlaufzeit für unsere Kunden zu ermöglichen.
Airbus’ Motoren-Probleme: Wizz Air ändert Flugplan
Für einige Fluggesellschaften ergeben sich daraus durchaus Probleme im operativen Flugbetrieb. So nehme Wizz Air Änderungen am Flugnetz vor und werde einige Flüge an ausgewählten Tagen zu bestimmten Zielen streichen, sagte ein Sprecher der ungarischen Billigfluglinie laut mehreren Branchenportalen. Wizz Air hat mehr als 100 A320neo-Flieger in der Flotte.
Ob es auch Auswirkungen auf das Streckennetz in Hamburg gebe, ließ die Airline offen. Eine entsprechende Anfrage wurde nicht beantwortet. Spekuliert wird allerdings, dass vor allem die Londoner Flughäfen Luton und Gatwick betroffen sein dürften.
Bei der Lufthansa sind 62 Motoren betroffen
Bei der Lufthansa sind zwölf Motoren betroffen, die nun in die Werkstätten müssen. 50 weitere müssen bis zum nächsten Sommer untersucht werden. Flüge seien deshalb bisher nicht gestrichen worden, sagte Sprecher Thomas Jachnow: „Wir gehen davon aus, dass wir die nötige Wartungszeit durch unsere Reserveflugzeuge abdecken können.“
Die größte Airline am Hamburger Flughafen ist von den Aktionen nicht betroffen. Die Lufthansa-Tochter Eurowings setze bei der A320neo-Flotte auf Leap-Triebwerke, sagte Sprecher Florian Gränzdörffer.
Lufthansa Technik liegt auf Rekordkurs beim Gewinn
Unbedingt nötig hätte Lufthansa Technik die Zusatzarbeit wegen des Pratt-&-Whitney-Rückrufs übrigens nicht. Das Geschäft zog nach der Corona-Krise mit dem massiven Stellenabbau zuletzt wieder stark an. „Die Auftragslage ist sehr gut“, sagte Steinbach. Der Flugzeugdienstleister blickt nach eigenen Angaben auf das „beste erste Halbjahr der Unternehmensgeschichte“ zurück. Der Gewinn (Adjusted Ebit) kletterte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 20,7 Prozent auf 291 Millionen Euro.
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Die Nachfrage sei nicht nur in speziellen Bereichen angezogen, sondern bei fast allen Produkten von Lufthansa Technik, hieß es. Dies gelte zum Beispiel sowohl für den Triebwerksbereich als auch für die Versorgung mit Flugzeugkomponenten, dem zweiten großen klassischen Geschäftssegment, so Steinbach: „Hier erleben die Mitarbeitenden bereits seit vergangenem Sommer eine kontinuierliche Zunahme des Reparaturgeschäfts.“