Hamburg. Das Abendblatt hat eine Einheit der Hamburger Polizei gut ein Jahr bei der Arbeit begleitet. Heute: Jessi, die Kommissarin vom PK38.

Die Mutter Polizistin, der Vater Polizist, die Schwester Polizistin und einer der Großväter Wasserschutzpolizist. Wenn auf jemanden das Wort von der Polizistenfamilie zutrifft, ist es Jessi. „Es war schon eine stark polizeigeprägte Kindheit“, sagt die Polizeikommissarin. Schon als Kind fährt sie mit den Eltern in deren Dienststelle, ist bei Tagen der offenen Tür dabei. „Ich stand mit meinen Eltern in deren Kollegenkreis, habe nur zugehört und fand das unfassbar interessant.“ Und so ist für sie schon als Kind klar: Du wirst auch Polizeibeamtin.

Einen Plan B gibt es nicht. Sollte es im ersten Anlauf nicht klappen, würde sie nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr den nächsten Versuch starten. Auch als ihre Freundinnen sich für ein Studium entschieden, kommt Jessi nicht ins Zweifeln. Und es klappt im ersten Versuch. Und an „keinem einzigen Tag“ habe sie die Entscheidung bereut. Der Werdegang bei der Polizei ist klassisch. Nach zweieinhalb Jahren Ausbildung geht es für ein Jahr zur Bereitschaftspolizei. Von dort wechselt sie für dreieinhalb Jahre an die Wache an der Mundsburg (PK 31).

Polizei Hamburg: Der klassische Werdegang einer Polizistin

Nächste Station ist das PK 38 in Rahlstedt, unterbrochen nur noch für ein zweijähriges Studium bei der Polizei. Ausbildung, Einsätze bei Demonstrationen oder Fußballspielen, Streifenwagen – sie habe in zehn Jahren noch keine große „Verwendungsbreite“ erlebt, sagt die 29-Jährige rückblickend. Die braucht sie aber, um bei der Polizei weiterzukommen.

Auch deshalb macht Jessi inzwischen etwas für sie völlig Neues: Sie arbeitet in einem von Innensenator Andy Grote neu eingesetzten Team, das sich einzig mit der Frage beschäftigt: Wie bringt man junge Leute dazu, sich bei der Polizei zu bewerben? Wie bindet man sie an den Laden? Daten, die den unterschiedlichsten Abteilungen der Polizei zum Thema vorliegen, werden zusammengetragen und analysiert, die Gruppe tauscht sich mit den Polizeien anderer Bundesländer aus und befragt Hamburger Auszubildende und Studierende.

Der Streifenwagen ist das, wofür ich beruflich lebe

Vom Streifenwagen ins Büro – nie hätte sie gedacht, dass die Umstellung so hart wird, sagt Jessi, deren Mann wie sie bei der Hamburger Polizei arbeitet. „Ich muss ehrlich sagen: Der Streifenwagen ist das, wofür ich beruflich lebe, aber Polizei ist halt mehr. Natürlich möchte ich auch vorankommen, und dafür ist es unerlässlich, dass man viele Dienststellen durchläuft.“

Jessi war ein Jahr lang in psychologischer Behandlung. Als Auszubildende ist sie zu einem Verkehrsunfall gerufen worden, lag auf der Straße neben einem sterbenden 26-Jährigen, der nur mal eben Zigaretten holen wollte und dabei überfahren wurde. Was sich die Polizeischülerin vorwarf, war, nicht helfen zu können. „Das war das erste Mal, dass ich gemerkt habe, dass Polizistin zu sein, nicht nur heißt zu helfen, sondern, dass der Job auch ganz viel mit Leid zu tun hat.“

Wie Therapeuten und Kollegen geholfen haben

Lange merkte sie gar nicht, wie sehr dieses erfahrene Leid sie belastete. Erst zweieinhalb Jahre später wurde es der jungen Polizistin klar – als sie zum nächsten schweren Unfall gerufen wurde. Eine Frau war von einem Lkw überfahren worden. „Da bin ich zusammengebrochen.“ Geholfen, damit klarzukommen, hat ihr der sozialtherapeutische Dienst der Polizei und eine externe Psychologin. Allein an der Mundsburg-Wache musste Jessi zu zwei weiteren tödlichen Verkehrsunfällen ausrücken. Dank der psychologischen und therapeutischen Hilfe kann sie damit umgehen. „Und dank der Kollegen. Die Schicht ist ein essenzieller Teil davon, wie man belastende Einsätze verarbeiten kann.“

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Im Kreis der Kollegen gebe es keine Berührungsängste, über extrem belastende Einsätze zu sprechen. Die Kollegen kämen direkt auf einen zu: Wie geht es dir? Willst über den Einsatz sprechen? Sollen wir noch mal am Einsatzort vorbeifahren? Solche Gespräche und Angebote helfen. „Jeder bei uns in der Rahlstedter Schicht hat dieses Feingefühl, zu wissen, wann es guttut zu reden und wann es hilft, den anderen einfach nur in den Arm zu nehmen“, sagt Jessi, die in diesen Tagen zur Oberkommissarin befördert wird.