Hamburg. Rekordverdächtig: Wie Schüler eines Hamburger Gymnasiums auf die ambitionierte Idee kamen – und welche Tricks beim Durchhalten halfen.

Red Bull im Klassenraum – das ist am Charlotte-Paulsen-Gymnasium in Wandsbek nur in allergrößten Ausnahmesituationen geduldet. Am vergangenen Wochenende war den Schülern der pappsüße Energiekick aus der Dose jedoch erlaubt, für traditionellere Geschmäcker stand zudem eine Kaffeemaschine bereit.

Und das aus gutem Grund, denn für die 17 Schüler des Kultur-Profilkurses hieß es: durchhalten. Sie hatten sich auf einen 60-stündigen Dauerunterricht zur Vorbereitung auf die Abiturprüfungen im Fach Geschichte eingelassen – und das sogar, man mag es kaum glauben, auf eigenen Wunsch.

Schule Hamburg: Wandsbeker Schüler büffeln 60 Stunden am Stück – freiwillig

Von Freitag um 8 Uhr bis Sonntag um 20 Uhr boten insgesamt sieben Lehrer den Schülerinnen und Schülern einen komprimierten Abriss der Inhalte aus dem Geschichtsunterricht der vergangenen zwei Schuljahre.

Ziel dieses sogenannten Kolloquiums war die optimale Vorbereitung auf das Geschichtsabitur am 25. April. „Das ist eigentlich premium“, findet Schülerin Leticia. „Das ist eine richtig gute Abi-Vorbereitung – so was kriegst du so ja sonst nirgendwo.“

Die Idee der Schüler zum Dauerunterricht kam nicht von ungefähr. Eine der Lernenden hat in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia gelesen, dass vor rund 20 Jahren bereits ein Langzeitpauken am Charlotte-Paulsen-Gymnasium stattgefunden hatte.

Eine 9. Klasse lernte damals für 25 Stunden – übrigens ebenfalls im Fach Geschichte. Angefixt von der Anekdote beschloss der Kurs, die Aktion nicht nur zu wiederholen, sondern auch um Längen zu übertreffen.

Besondere Abi-Vorbereitung: Herausforderung für Schüler wie Lehrer

Tutor und Fachbereichsleiter für Geschichte, Björn Kutz, war sofort Feuer und Flamme für den Vorschlag seiner Schülerinnen und Schüler aus dem Kultur-Profilkurs, den das Charlotte-Paulsen-Gymnasium und das Matthias-Claudius-Gymnasium in Kooperation anbieten: „Das ist ja das, was wir Lehrer wollen. Dass die Schüler signalisieren, sie haben Lust auf eine Sache.“

Zudem betont der Pädagoge die Selbstwirksamkeitserfahrung, die so ein Austesten der eigenen Grenzen den jungen Erwachsenen bietet – und klar, „das ist auch für mich eine kleine Herausforderung“, sagt Kutz, der gemeinsam mit Kollege Maximilian Kecht die dauerhafte Betreuung der Schülerinnen und Schüler übernommen hatte.

Geschichtslehrer Maximilian Kecht legt sich für die Abiturienten ins Zeug. Er war gemeinsam mit seinem Kollegen Björn Kutz in den vollen 60 Stunden des Dauerunterrichts am Charlotte-Paulsen-Gymnasium anwesend.
Geschichtslehrer Maximilian Kecht legt sich für die Abiturienten ins Zeug. Er war gemeinsam mit seinem Kollegen Björn Kutz in den vollen 60 Stunden des Dauerunterrichts am Charlotte-Paulsen-Gymnasium anwesend. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

„Außerdem ist das ja de facto die letzte Klassenveranstaltung“, so Kutz. „Für sie ist es die letzte Möglichkeit, etwas als Gruppe zu erleben, bevor sie nach dem Abi auseinandergehen.“ Er hoffe, dass alle Beteiligten die Aktion als unvergesslich in Erinnerung behalten.

Kutz organisierte den Dauerunterricht für seinen Kurs, holte Eltern und Kollegen für die Verpflegung wie auch den Unterricht ins Boot, entwarf einen Ablaufplan und organisierte einen Raum zur Übernachtung auf dem Schulgelände.

Charlotte-Paulsen-Gymnasium: Geschichtsunterricht bis in späte Abendstunden

Vom Absolutismus bis zur Modernisierung arbeiteten sich die 17 Schülerinnen und Schüler am vergangenen Wochenende durch die historischen Schwerpunkte ihrer Oberstufenjahre. Auf zweistündige Unterrichtsblöcke folgten jeweils 45 Minuten lange Pausen, die etwas Regenerationszeit versprachen.

Ein Auftritt der Schülerband, Karaoke-Einlagen, ausreichend Snacks sowie körperlich belebende Völkerballspiele verschafften zusätzliche Motivation. Die war auch gefragt, denn gerade in den späten Abend- und frühen Morgenstunden entwickelte sich das Unterfangen zu einem ganz schönen Kraftakt, der Zähigkeit erforderte.

So blieb den Schülern nicht gerade viel Zeit zwischen Schulschluss und erneutem Unterrichtsbeginn. Lediglich gute drei Stunden in der Nacht zum Sonnabend beziehungsweise knappe vier Stunden in der Nacht zum Sonntag waren ihnen zur geistigen Erholung vergönnt. „Wir müssen also mit Powernapping auskommen“, so Lehrer Kutz.

Hochmotiviert: Zumindest am Freitagnachmittag waren die Wandsbeker Schülerinnen und Schüler noch wissbegierig und energiegeladen.
Hochmotiviert: Zumindest am Freitagnachmittag waren die Wandsbeker Schülerinnen und Schüler noch wissbegierig und energiegeladen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

„Gelungenes Beispiel dafür, was Schule bewirken kann“

Sein glückliches Fazit am Montag danach: „Wir haben durchgehalten! Ich glaube, zwischendurch war es anstrengend und die Schüler auch wirklich müde, aber sie haben echt Durchhaltevermögen gezeigt.“

Natürlich kam der ein oder die andere auch einmal etwas verspätet aus den Federn, erzählt er. Einige wenige Lernmodule seien wohl auch mit mehr schlafenden als aufgeweckten Schülern abgehalten worden. Doch alles in allem habe Kutz den Eindruck, die Schülerinnen und Schüler seien „sehr zufrieden mit dem Wochenende und auch mit sich“.

Aufgrund der komprimierten Art und Weise, in der den Schülern die abiturrelevanten Inhalte noch einmal vermittelt wurden, hätten sie die „großen Linien und Verbindungen zwischen den Themen gut erkennen können“. Er sehe den Dauerunterricht als „schönes und gelungenes Beispiel dafür, was Schule bewirken kann, wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse verfolgen“.

Schule Hamburg: Lehrer offen für nächsten Abi-Dauerunterricht

Ob er sich noch einmal die Nächte um die Ohren schlagen würde? Vielleicht nicht in der nächsten Woche, aber im nächsten Jahr, mit den nächsten Abiturienten? Kurz überlegt Kutz, doch dann meint er: „Ich würde es noch einmal machen, glaube ich. Denn es hat den Schülern nach eigener Auskunft tatsächlich etwas gebracht.“

Nun sollte der Geschichtslehrer hoffen, dass der nächste Jahrgang den neuen Dauerunterricht-Rekord des Charlotte-Paulsen-Gymnasiums nicht wieder um ein Vielfaches überbieten will.