Hamburg. Leiter einer Stadtteilschule beobachtet, wie Kinder mit leerem Magen im Unterricht sitzen. Mit der Arche will er dieses Problem lösen.

Der Morgen macht den Tag“ . So lautet der Werbeslogan eines beliebten Nussnougataufstrichs. Ob gerade diese Nahrung einen fitten Start verspricht, ist zwar anzuzweifeln, doch die Überlegung ist richtig: Ein vollwertiges Frühstück ist essenziell für einen erfolgreichen Tag.

Umso bedenklicher empfindet Schulleiter Philipp Scholz es, dass immer mehr seiner Schüler gänzlich ohne Brotdose im Klassenraum ankommen. Wie sie mit leerem Magen den Vormittag in der Max-Schmeling-Stadtteilschule gut überstehen und dabei etwas lernen, fragt er sich. Und beschließt, etwas gegen den unhaltbaren Zustand zu tun – mithilfe des Kinder- und Jugendwerks Arche.

Arche in Hamburg unterstützt Schule beim Essen

Zwei Standorte hat die Max-Schmeling-Stadtteilschule, insgesamt rund 1150 Kinder und Jugendliche lernen in Jenfeld und Marienthal. Etwa ein Drittel seiner Schüler sei berechtigt, Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes zu beziehen, sagt Scholz. Damit dürfen sie zum Beispiel kostenlos in der Schulkantine essen.

Doch nicht nur das Mittagessen, sondern auch ein nahrhaftes Frühstück ist wichtig für die Heranwachsenden, um sich während des langen Schultags konzentrieren zu können. „Oft holen sich die Schüler vor Schulbeginn Chipstüten und Energydrinks, weil sie ohne Brotdose unterwegs sind“, sagt Scholz, „das ist, was sich Kinder eben kaufen, wenn sie Geld und freie Handhabe haben.“

Es begann mit 50 kostenlosen Brötchen

Ende 2022 hatte er, quasi als Testlauf, morgens 50 Brötchen kostenfrei für seine Schüler bereitgestellt. „Die waren immer sofort weg.“ Der Bedarf ist unmissverständlich groß. Daher will der Schulleiter künftig 80 bis 100 Frühstücksportionen anbieten, damit seine Schützlinge „mit etwas Gesundem im Magen den Schulalltag überstehen können“.

Doch es mangelt dafür an Geld. Deshalb hat er die Arche kontaktiert. Die Stadtteilschule arbeitet bereits seit vielen Jahren eng mit der zum großen Teil über Spenden finanzierten Kinderstiftung zusammen. „Die Arche hat das Geld, den Willen, das Netzwerk und das Know-how. Wir haben Personal und einen Caterer“, umreißt Scholz die Kooperation. Die Kosten für das Frühstücksangebot schätzt er auf rund 40 Euro am Tag je Schulstandort. Bei ungefähr 200 Schultagen summiert sich das auf eine Gesamtsumme von 16.000 Euro im Jahr.

16.000 Euro Im Jahr sind für drei Schulen nötig

Für den Rest des laufenden sowie für das kommende Schuljahr wolle die Arche diese Kosten tragen, sagt der Regionalleiter der Arche Hamburg, Tobias Lucht. Es sei alarmierend, dass so viele Schüler ohne Verpflegung über den Schultag kommen müssten. Lucht weiß, dass der Missstand Teil einer größeren sozialen Schieflage ist.

Denn weil die Arche nach Schulschluss ebenfalls Mahlzeiten für Kinder und Jugendliche anbietet, hat er ein Gefühl dafür, in welch prekäre Verhältnisse viele Familien in der jüngeren Vergangenheit gerutscht sind. „Wir können bestätigen, dass seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine um die 30 Prozent mehr Kinder bei uns zum Mittag- und Abendessen kommen“.

Tafeln Hamburg: Familien können sich Lebensmittel nicht mehr leisten

Ungefähr 140 Familien versorge die Arche zudem monatlich mit Lebensmittelpaketen. Die Familien kämen mit dem aktuellen Bürgergeldregelsatz einfach nicht aus, er decke die Inflation nicht ab. Gerade im unteren Preissegment hätten sich die Lebensmittel stark verteuert, sagt Lucht. Die Tafeln kämpfen derweil mit länger werdenden Wartelisten.

Wenn ihn Anrufe vom Jugendamt erreichen mit der Information, dass sich eine Familie wegen ihres leeren Kühlschranks nicht über das Wochenende ernähren kann, ist Lucht immer wieder fassungslos. „Da fehlen mir im Moment einfach die Antworten“, sagt er. Für ein Kind von sieben bis 14 Jahren seien im Bürgergeld gerade mal 3,94 Euro pro Tag für Lebensmittel und Getränke vorgesehen.

Cornflakes essen ist Luxus geworden, weil auch die Milch so teuer ist

Vierfach-Mutter Nicole G. empfängt Bürgergeld und kennt finanzielle Ängste nur zu gut. Ihren beiden schulpflichtigen Kindern gibt sie zwar stets gut gefüllte Brotbüchsen mit, doch am Nachmittag greifen die zehn Jahre alte Romy und der sechs Jahre alte Miguel häufig auf das Essens­angebot der Arche zurück. Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine vor gut einem Jahr reicht Nicoles Bürgergeld hinten und vorne nicht, zumal sie zu Hause drei hungrige Heranwachsende zu verköstigen hat. Dass der Eisbergsalat, den sie so gern in die Wraps für ihre Kinder rollt, statt vormals 0,99 Euro jetzt 1,99 Euro kostet, ist für sie ein „Preisschock“, sagt sie, und „Cornflakes essen ist zum Luxus geworden“, weil die Milch so teuer sei.

In Nicoles digitalem Haushaltsbuch, in dem ihre Kassenbons der letzten Jahre sortiert sind, lässt sich nachvollziehen, wie dramatisch die finanzielle Last für die Familie ist. Während Nicole für einen Wocheneinkauf für sich und ihre drei zu Hause wohnenden Kinder 2021 noch rund 52 Euro zahlte, kostete sie ein vergleichbarer Einkauf im Oktober 2022 bereits 121 Euro. Freizeitaktivitäten muss die Mutter auf der Prioritätenliste herunterstufen, solange die Lebensmittel so teuer sind: „Miguel war als Einziger noch nicht bei Hagenbeck. Früher bin ich einmal im Jahr mit den Kindern in den Tierpark gegangen“, erzählt die Mutter traurig. „Bevor alles so teuer wurde, waren wir regelmäßig schwimmen und haben Ausflüge gemacht. Dass so etwas jetzt nicht mehr geht, ist schon echt hart.“ Dafür, dass Romy und Miguel dank der Arche zum Beispiel auf Reitkurse und die Boxakademie zurückgreifen können, ist die Mutter sehr dankbar.

Bürgergeld reicht hinten und vorne nicht aus

Vom Bürgergeld hatte Nicole sich mehr versprochen: „Es ist ja nur eine Umbenennung“, sagt sie, „eigentlich merkt man davon gar nichts.“ Denn auch die Stromkosten sind stark gestiegen und müssen von Bürgergeldempfängern selbst gezahlt werden. Die Inflation fange der im Vergleich zu Hartz IV um 53 Euro angehobene Satz für Alleinerziehende nicht auf. „Man sollte nicht an Kindern sparen, das ist doch unsere Zukunft“, sagt Nicole G.

„Der Druck auf die Familien ist unglaublich gestiegen“, stellt Schulleiter Scholz fest, „auch weil die Eltern ihren Kindern jetzt vieles nicht mehr bieten können.“ Mit seinem Frühstücksangebot, bei dem auf einem Büfett Schnittbrot, Aufschnitte, Marmeladen und Müsli bereitstehen sollen, will er ihnen das Leben etwas erleichtern. Vor Schulbeginn können die Kinder und Jugendlichen sich einfinden und anschließend entschleunigt und gestärkt in den Unterricht gehen. Davon erhofft sich Scholz nicht nur mehr Konzentration im Klassenraum, sondern auch ein verbessertes Schulklima.

Natürlich gebe es den Einwand, dass die Arche und die Stadtteilschule mit ihrem Frühstücksangebot die Eltern aus der Verantwortung nähmen, sagt Lucht. Jedoch könnten sich viele Eltern schlichtweg nicht genügend Lebensmittel leisten. Andere wiederum seien für die Arche oder die Schule nicht erreichbar, und selbst hinsichtlich des geringen Prozentsatzes von Eltern, die ihr Geld wenig sinnvoll in Hinsicht auf die Grundversorgung ausgeben, sagt Lucht salopp: „Wie lange soll man an denen herumdoktern?“ Den Kindern könne schließlich jetzt geholfen werden.

Verein „Abendblatt hilft“ unterstützt und ruft zu Spenden auf

Der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ übernimmt zunächst für ein halbes Jahr die Kosten für das Frühstück in der Max-Schmeling-Stadtteilschule. Doch auch in den Monaten danach soll das Projekt fortgeführt werden. Deshalb bitten die Arche und die Schule um weitere Spenden.

Konto: Die Arche Kinderstiftung, IBAN: 94 1002 0500 0003 0301 03, Stichwort: Gesundes Frühstück