Hamburg. An den Standorten Jenfeld, Billstedt und Harburg wächst der Bedarf an Mahlzeiten stetig – viele Familien sind verzweifelt.

Stark steigende Preise und höhere Energiekosten belasten ganz besonders die Menschen, die mit ihrem Geld bisher nur gerade so eben hinkamen. Gerade Familien geraten so in regelrecht existenzielle Not. Das zeigt sich in den Hamburger Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen der Arche in Jenfeld, Billstedt und Harburg. „Wir spüren das sehr deutlich – seit Februar, seit die Preise auf dem Höhenflug sind: Jeden Tag und jede Woche kommen neue Kinder, Jugendliche und ihre Eltern zu uns und klopfen an unsere Türen“, sagt der Leiter der Arche Hamburg, Tobias Lucht.

Er schätzt, dass etwa 25 bis 30 Prozent mehr Kinder und Jugendliche in die offenen Hilfeeinrichtungen der Arche kommen, je nach Standort und Stadtteil. Saßen im vergangenen Jahr beim Abendessen im Standort Jenfeld noch 60 bis 70 Kinder und Jugendliche, seien es jetzt 100 bis 120.

Arche in Hamburg:„Wir sind ein offenes Haus"

Die Mitarbeiter mussten zusätzliche Bänke und Stühle herausholen. „In unserer Elternarbeit bekommen wir wirklich einen Einblick in die Einkommensverhältnisse der Familien. Die derzeitige Situation bringt viele an den Rand“, so Lucht. Viele Eltern kämen auch mit den Nachzahlungsforderungen von Energieversorgern und fragten die Arche-Mitarbeiter, wie sie das schaffen sollten.

Nach dem Hungertod der siebenjährigen Jessica 2006 gegründet, ist die Arche eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien. An mittlerweile drei Standorten bekommen sie ein warmes Mittagessen, teilweise auch Abendessen; es gibt Hausaufgabenhilfe und Lernförderung, viele verschiedene Sport- und Musikangebote, ein Elterncafé – und neuerdings auch direkte Lebensmittelspenden, die sie nach Hause mitnehmen können. „Wir sind ein offenes Haus, die Schwelle ist niedrig. Wir versuchen, die Kinder über viele Jahre mit festen Bezugspersonen zu begleiten, mit Erwachsenen, auf die sie sich verlassen können.“

Die Arche gibt den Kinder auch Lebensmittel für Zuhause mit

Teilweise ist die Not so groß, dass die Archen den Familien direkt mit Lebensmitteln aushelfen und so für die derzeit vielerorts überlasteten Ausgabestellen der Hamburger Tafel einspringen. Entstanden ist dies während der Corona-Pandemie, als die Einrichtungen im Lockdown nicht öffnen durften, aber Homeschooling-Angebote entwickelten und Lebensmittel ausgaben.

Anna Tränkner von MehrWert Images und Tobias Lucht (Leiter der ARCHE in Hamburg).
Anna Tränkner von MehrWert Images und Tobias Lucht (Leiter der ARCHE in Hamburg). © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Der Bedarf nach Letzterem hat sich in diesem Jahr noch einmal stark erhöht. Lucht hat eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern in der Harburger Arche vor Augen, die kurz vor Ostern nicht wusste, wie sie über die Feiertage kommen sollte und ganz schüchtern – es war ihr unangenehm – fragte, „ob wir ihr aushelfen könnten mit etwas Brot und Butter“. Luchts Kollegin ist dann mit ihr einkaufen gegangen und die Frau habe gerade mal acht Teile in den Einkaufswagen gelegt. „Wir haben sie ermutigt, den Wagen voll zu machen, damit sie mit ihren Kindern über die nächste Zeit kommt.

"Wir versorgen viele Familien mit Lebensmittelpaketen"

Das ist exemplarisch: „Viele, die vorher gar nicht so in Not waren, kommen jetzt in diese Schieflage.“ Die Arche-Mitarbeiter versuchten, mit ihnen gemeinsam Strategien zu entwickeln, damit das nicht nur bei der akuten Nothilfe bleibt, sondern diese Familien es auch durch die folgenden Wochen schaffen. „Derzeit versorgen wir viele Familien mit Lebensmittelpaketen, unter anderem auch fürs Frühstück.“ Man arbeite mit Schulen und anderen Einrichtungen in den Stadtteilen zusammen.

Mit den Mahlzeiten in ihren Häusern erreichten die drei Archen, hinter denen 25 Mitarbeiter und rund 75 Ehrenamtliche stehen, jeden Tag etwa 750 Kinder und Jugendliche. „Viele unserer Kinder kommen aus Elternhäusern, wo das Geld vor allem gegen Ende des Monats immer knapper wird – die es also tatsächlich auch brauchen, grundversorgt zu werden“, sagt Lucht.

Viele kommen von der Tafel zur Arche

Bei den Lebensmittelspenden nehme man „Familien in den Blick, von denen wir wissen, dass es knapp ist und auch in den kommenden Monaten weiterhin knapp sein wird. „Diese versorgen wir auf Zuruf regelmäßig mit Lebensmitteln. Wir haben im Oktober, November und Dezember darüber hinaus auch größere Verteilaktionen gemacht“, berichtet Lucht.

„Dabei packen wir Lebensmittel für die ganze Familie in eine Tüte und geben sie den Kindern mit – inklusive eines Rezepts, so dass alles für ein oder zwei Mahlzeiten dort enthalten ist. Das ist schon eine wichtige Hilfe für viele Familien.“ Damit ersetze man die Arbeit der Tafeln nicht, aber es kämen viele in die Archen, die an den Ausgabestellen der Tafeln derzeit keine Lebensmittel mehr bekämen. „Da sehen wir eine Verantwortung, denen zu helfen, für deren Kinder unsere Häuser eine Anlaufstelle ist.“

Jede Einzelspende hilft

Für die spendenfinanzierte Einrichtung sei das durchaus „eine Herausforderung, das von Monat zu Monat immer wieder zu schaffen“, berichtet Lucht. Bei den Mahlzeiten in der Arche war schon im Juli das Budget ausgeschöpft, das für das ganze Jahr vorgesehen war – „weil mehr Kinder kommen, und weil die Preise für Lebensmittel so gestiegen sind“, so Lucht.

Da helfen große und kleine Einzelspenden. Oder man macht es wie Anna Tränkner, die mit ihrer Werbeagentur MehrWert Images, „Frühstück für Tiffany“ ermöglicht. Schon seit 2014 spendet die Agentur der Arche selbst gemachte Marmelade, die die Agenturmitarbeiter bei einer Art Teamevent aus den Äpfeln einer Apfelbaumpartnerschaft im Alten Land kochen. Allein 2021 sind so 400 Gläser mit leckerer Marmelade entstanden.

Die Kinder wünschen sich keine Spielsachen, sondern Schuhe

Doch Tränkner wollte mehr. So sammelte sie im Handwerkerhof Meistermeile, dem Sitz ihrer Agentur, Spenden – und die Resonanz war gewaltig. Für eine Spende bekamen die Betriebe Brötchen und kleines Glas Marmelade. „Wir haben eine kleine Aktion daraus gemacht. So hat es allen Freude gemacht“, erzählt Tränkner. Unterm Strich ermöglichten sie, ihr Team und die Spender nicht nur wie geplant 60, sondern sogar 80 Kindern der Arche ein ganzes Jahr lang ein Frühstück.

Jetzt vor Weihnachten ist Hilfe besonders wichtig. „Viele Kinder machen sich derzeit Sorgen“, berichtet Tobias Lucht. „Sie sprechen viel über Geld und was wie viel kostet, haben dabei die Einkaufsliste der Mutter im Kopf.“ Auf ihren Weihnachtswunschzetteln fänden sich vielfach anstelle von Spielsachen ein Bett oder ein neues Paar Turnschuhe, damit sie wieder beim Sport mitmachen könnten. Die Arche-Mitarbeiter versuchen, die Kinder ein stückweit vom Thema Geld und den Ängsten ihrer Eltern fernzuhalten – doch das gelingt nicht immer.

„Die Eltern sind sehr dankbar dafür"

Mit aktiver Elternarbeit wollen sie auch in die Familien hineinzuwirken und positive Signale setzen. Jetzt vor Weihnachten sind Feste geplant, mit leckerem Essen, einem Bühnenprogramm und auch Geschenken. „Die Eltern sind sehr dankbar dafür. Viele haben in früheren Jahren immer mal 20 oder 30 Euro für Weihnachtsgeschenke zur Seite legen können, doch das ist ihnen teils wegen der gestiegenen Preise in diesem Jahr nicht möglich“, so Lucht. Sie wüssten nicht, woher sie es nehmen sollen.

„Das erfüllt uns mit Sorge: Viele Mütter und Väter sagen, sie sparen lieber bei sich selbst, auch am Essen, damit die Kinder ausreichend haben. Das bewegt uns in einer Stadt wie Hamburg, wo Arm und Reich sehr eng beieinander leben, schon sehr.“ Mit dem Fest wollen die Arche-Mitarbeiter die Familien in froher Stimmung in die Feiertage schicken und sie versuchen, ganz praktisch zu helfen.

Arche in Hamburg braucht Spenden: So können Sie helfen

Hamburgerinnen und Hamburger können Spendenaktionen initiieren oder selbst spenden, entweder Geld (gern auch zweckbezogen für Lebensmittel) oder Sachspenden, die innerhalb der Öffnungszeiten an den einzelnen Standorten der Arche abgegeben werden können. Wenn möglich, einmal kurz vorher anrufen. „Viele Menschen bringen uns bereits Lebensmittel vorbei., Reis, Nudeln, Öl, Konserven, Ketchup – das ist in dieser Zeit für die Familien eine ganz wichtige Hilfe“, so Lucht. Auch neue Spielsachen sind willkommen, bei gebrauchten empfiehlt es sich, vorher einmal anzurufen.

Für Interessierte: www.freundeskreis-arche-hh.de; Arche Hamburg: IBAN: DE94100205000003030103. BIC: BFSWDE33BER.

Der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ spendet der Arche zu Weihnachten 100 Lebensmittelgutscheine im Wert von 50 Euro für besonders bedürftige Familien. Bereits in der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hatte die Jenfelder Initiative vom Abendblatt-Verein Lebensmittelgutscheine bekommen.