Hamburg. Die zunehmenden Vorgaben können immer weniger Betriebe leisten. Wie kann ein Sterben der Wochenmärkte verhindert werden?
Freitagmorgen, Sonnenschein und frühlingshafte Temperaturen – beste Bedingungen für den Isemarkt. Tatsächlich ist der Markt schon am frühen Morgen gut besucht. Auch in den Händlerreihen klaffen heute keine größeren Lücken. „Das ist der erste gute Tag seit Langem“, freut sich Kräuter- und Grünzeughändler Malte Jahn, einer der drei Obmänner auf dem Isemarkt.
Denn in letzter Zeit haben viele Händler aufgegeben – allein drei Gemüseproduzenten im kurzen Abschnitt zwischen Innocentiastraße und Jungfrauenthal. „Sie ertragen die zunehmende Drangsalierung durch die behördlichen Anordnungen nicht mehr oder können die Anforderungen nicht mehr erfüllen“, sagt Jahn.
Es sei Zeit, Alarm zu schlagen. Denn der „Bürokratie-Wahnsinn“ verschlimmere die Nachwuchsprobleme und lasse mittlerweile viele potenzielle Betriebsnachfolger dankend abwinken.
Hamburg: Die Bürokratie bildet immer größere Hürden für Betriebe
„Wenn die Wochenmärkte nicht aus dem Stadtbild verschwinden sollen, muss sich etwas ändern“, fordert Wilfried Thal, Landespräsident des Ambulanten Gewerbes und damit auch zuständig für Wochenmarkthändler. Jedes Jahr würden diese im Schnitt mit zwei neuen Verordnungen konfrontiert, die von Bund, EU, Stadt oder Institutionenerlassen würden, und deren Umsetzung mit teils hohen Kosten und zeitlichem Aufwand verbunden sei.
Ganz neu etwa sei, dass sich jeder Betrieb in einem Register namens Lucid anmelden muss. Dort muss er angeben, woher die Verpackungen stammen, die er an Verbraucher weitergibt – aus welchem Material diese sind, wie viele davon verkauft wurden und einiges mehr.
Der Gedanke dahinter sei, zu erfassen, woher der Müll komme und wo er hingelange. „Im Grunde geht es aber darum, dass wir Händler für die Entsorgung zahlen müssen – dabei sind Altpapier und Plastiktüten Rohstoffe, mit denen die Entsorger Geld verdienen“, sagt Tahl verärgert.
Arbeit, Mautgebühr, Verpackungsregister: „Wie sollen wir das bewerkstelligen?“
Eine weitere Ungerechtigkeit drohe durch die von der EU-Ratspräsidentschaft angestrebte digitale Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln. „Wir sollen angeben, woher unsere Produkte stammen, und zwar jeden Tag.“ Dabei biete ein Wochenmarkt ohnehin maximale Transparenz: „Jeder von uns Händlern kann doch sagen, woher sein Gemüse oder sein Fleisch kommt.“
Auch soll 2024 Kleinunternehmern eine Maut für Transporter ab 3,5 Tonnen eingeführt werden. „Dann muss jeder von uns in seinen Transporter oder Lieferwagen mit Anhänger ein Mautgerät einbauen – und zahlen, sobald er auf gebührenpflichtigen Straßen oder der Autobahn fährt“, so Thal. „Und wenn es nur von Allermöhe zum Markt nach Bergedorf ist.“
Der Landespräsident fordert Ausnahmen für die Markthändler, die ihre Betriebe oft nur mit wenigen Mitarbeitern führen, meistens mitten in der Nacht aufstehen und dann den ganzen Tag auf den Beinen sind. „Die großen Lebensmittelhändler haben Rechtsabteilungen, die sich damit beschäftigten. Doch wie sollen wir kleinen Betriebe aus dem Alten Land und den Vier- und Marschlanden das bewerkstelligen?“, fragt sich auch Malte Jahn.
Jede neue Verordnung zieht „einen Rattenschwanz an Arbeit“ nach sich
Jede neue Verordnung ziehe neben der Kosten („Mal kurz 20.000 Euro für ein neues Kassensystem“) einen Rattenschwanz an Arbeit nach sich. Man müsse sich nicht nur mit der neuen Verordnung inhaltlich auseinandersetzen, sondern auch lernen, die dafür benötigten Geräte oder die Software zu bedienen.
Das falle insbesondere den vielen älteren Markthändlern schwer. Die Folge: Sie müssten es – wieder für viel Geld – an ein Serviceunternehmen abgeben. Er selbst könne das zwar selber machen, habe dafür seinen freien Tag opfern müssen.
Etliche Betriebe aus dem Alten Land und den Vier- und Marschlanden haben bereits aufgegeben. Joachim Bader etwa, der jetzt für Malte Jahn arbeitet, hat seinen Betrieb – 8000 Quadratmeter unter Glas und zwei Hektar Land – im letzten Jahr stillgelegt. 50 verschiedene Sorten Tomaten hatte er bis dahin in dritter Generation auf dem Hof im Spadenland angebaut, außerdem Artischocken, Auberginen – und früher auch Topfpflanzen.
Insolvenz: Gebühren für Kassensystem und hohe Steuernachzahlungen
„Unser Familienbetrieb besteht seit 1949. Meine Großmutter hat auf dem Wochenmarkt in Volksdorf angefangen, ihre Produkte zu verkaufen“, erzählt der 45-Jährige. Er selbst habe die Kosten, die der Betrieb zum Schluss verursacht habe, nicht mehr einfahren können.
„Zu dem, was ich ohnehin für Lkw und Anhänger, Angestellte, Dünger, Wasser und Heizung zahlen musste, kamen die Gebühren für das neue Kassensystem und eine hohe Steuernachzahlung. Nachdem in der Coronazeit die Standflächen der Abstandsregeln wegen verkleinert wurden und ich weniger eingenommen hatte, konnte ich nicht mehr und habe die Reißleine gezogen.“ Man sieht ihm an, wie schwer es ihm gefallen ist, als er davon berichtet.
Gemüsebauer schließt Betrieb und Hofladen wegen hoher Kosten
Auch Wilfried Thal kennt viele Markthändler, die ihren Betrieb im vergangenen Jahr geschlossen haben. Sogar sein direkter Nachbar, der Blumen- und Gemüsebauer Torsten Stender, hat seinen Betrieb mitsamt dem beliebten Hofladen wegen Bürokratie und hoher Kosten geschlossen – und arbeitet nun als Gärtnermeister in einer Reinbeker Gemüsebaufirma. „Und wir Markthändler sind ja nicht die einzigen, die unter den strengen Auflagen leiden“, sagt Thal. „Das gilt auch für die kleinen Bäckereien, Schuhmacher oder Schlachtereien um die Ecke.“
48 bezirkliche Wochenmärkte gibt es in Hamburg, dazu etwa 20 Ökomärkte. „Wir sind ein Stück Stadtkultur“, sagt Malte Jahn und fordert: „Um unser Überleben zu sichern, müssen wir als Kulturgut besonders geschützt werden.“ Tatsächlich gab es schon 1483 fünf große Marktplätze innerhalb der Stadtmauern der Hansestadt: den Markt am Hamburger Berg, den alten Fischmarkt, den Hopfenmarkt, den Marktplatz am Meßberg und den Pferdemarkt (heute Gerhart-Hauptmann-Platz).
Damals wie heute stellt die Stadt den Händlern Flächen gegen eine Gebühr zur Verfügung, damit diese ihre in der Region produzierten Waren verkaufen können. Doch neben der zunehmenden Bürokratie haben sie seit Jahren auch mit rückläufige Besucherzahlen zu kämpfen – bedingt zunächst durch den Preisdruck der Supermärkte, mittlerweile aber auch wegen der Lebensmittellieferdienste, mit deren Service sie nicht mithalten können. Um dem entgegenzuwirken, hat der Bezirk Hamburg-Mitte in Kooperation mit der Hamburger Kreativgesellschaft, Händlern und Politikern das Maßnahmenpaket „Wochenmärkte der Zukunft“ entwickelt.
Neues Konzept für „Wochenmärkte der Zukunft“ entwickelt
„Wochenmärkte sind aus der Idee entstanden, eine direkte, regionale und kostengünstige Nahversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu sichern“, heißt es in dem 40-seitigen Schreiben. Dieser Gedanke sei auch heute noch hoch aktuell.
Da sich die Rahmenbedingungen für Märkte aber geändert hätten, brauche es eine Strategie, durch die sie wieder konkurrenzfähig würden. Wichtig dafür wäre eine konsequente Fokussierung auf die Bedürfnisse der Zielgruppen (zu denen auch diejenigen gehören, die momentan keine Wochenmärkte besuchten) sowie der Ausbau der Einzigartigkeit der Wochenmärkte (etwa die lokalen und sozialen Bedingungen vor Ort und der direkte Kontakt zu den Erzeugern).
Neben dem Kernangebot sollten sich die Wochenmärkte auch mit Zusatzservices für die Marktbesucher beschäftigen, etwa dem Verleih von Lastenfahrrädern, oder musikalisch-gastronomischen Angeboten mit entsprechenden Kooperationspartnern.
Energiepreise explodieren: Hamburgs größter Tomaten-Bauer findet Lösung
Blankeneser Markthaus: Umkämpftes Hamburger Bauprojekt endlich eröffnet
Wochenmarkt Altona: Diese drei Stände sind besonders nachhaltig
Hamburg: Schon in Kita und Schule könnten Kinder die Märkte kennen lernen
Erste Testphasen hätten sich bewährt, so das Bezirksamt. Der Hammer Wochenmarkt wurde auf den späteren Nachmittag verlegt, es gab ein Kinderfest und Live-Musik. Und für den Billstedter Markt gibt es einen runder Tisch. „Politik und Verwaltung müssen als Wochenmarktmanager dafür sorgen, dass alle Märkte funktionieren“, fordert Thal.
Dazu gehöre die Einrichtung von Markttoiletten, aber auch, die Markthändler vor zu viel Bürokratie zu schützen. „Städte- und Gemeindebund und Bundesrat sollten sich dafür einsetzen, dass es für uns regional produzierende Kleinunternehmer Ausnahmeregelungen gibt, etwa bei der Mautgebühr oder dem Verpackungsregister.“
Malte Jahn setzt auch auf die Gesellschaft. „Ich würde mir wünschen, dass regelmäßig Kitagruppen und Schulklassen die Wochenmärkte besuchen. So kann man den Kleinen von Anfang an beibringen, wie nachhaltiges und gesundes Einkaufen geht.“