Am Sonntag stimmen die Hamburger über die Schulreform ab. Kommt die Primarschule? Die ganze Republik blickt auf das Ergebnis.

Hamburg. Es ist soweit. Am Sonntag stimmen die Hamburger über die Schulreform ab. Seit fast zwei Jahren tobt der Streit um die Zukunft der Hamburger Bildungslandschaft - übermorgen ist der Tag X. Kaum ein Thema hat die Stadt in den letzten Jahren so polarisiert, mit Auswirkungen weit über die Grenzen Hamburgs hinaus. Die ganze Republik blickt auf das Abstimmungsergebnis, das inzwischen zum Signal für die Weichenstellung in der Bildungspolitik avanciert ist.

Im Kern geht es um die Frage, ob die Hamburger Schulkinder künftig länger gemeinsam lernen sollen. Als Schritt in diese Richtung will Hamburg im Rahmen einer Schulgesetznovelle eine sechsjährige Primarschule für alle Schüler einführen. Genau das lehnt die Volksinitiative "Wir wollen lernen" (WWL) vehement ab - und forcierte die Volksabstimmung. Sollten die Reformgegner erfolgreich sein, ist die Primarschule gekippt. Möglicherweise mit weitreichenden Folgen. Die Schulreform ist eines der wichtigsten Projekte der schwarz-grünen Koalition.

Das Ergebnis könnte allerdings sehr knapp ausfallen. Beobachter rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Das zeigen auch die letzten Umfragen. Danach liegen die Gegner leicht vorn. Das Hamburger Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Volksentscheid.

Über was genau wird abgestimmt?

Beim Volksentscheid steht nicht die gesamte Schulreform zur Abstimmung, sondern die Einführung der sechsjährigen Primarschule. Die Volksinitiative "Wir wollen lernen" will erreichen, dass die vierjährige Grundschule wie auch das Elternwahlrecht nach Klasse 4 erhalten bleibt. Die Bürgerschaft, die das neue Schulgesetz einstimmig verabschiedet hat, steht für die Einführung der Primarschule. Weil es sich formal um zwei Abstimmungen handelt, hat jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen.

Wo kann man sich noch informieren?

Die Befürworter der Schulreform sind am Sonnabend mit mehreren Teams in ganz Hamburg unterwegs. Der Sprecher des Pro-Bündnisses "Chancen für alle", Jobst Fiedler, wird um 11 Uhr am Mönckeberg-Brunnen in der Innenstadt Bürger informieren. Auch die Gegner sind noch mal in allen Stadtteilen auf der Straße. Am Freitag hat "Wir wollen lernen" einen Infostand auf dem Isemarkt. Der WWL-Infoladen in der Lilienstraße 15 ist auch am Sonnabend von 11 bis 16 Uhr geöffnet.

Wo kann man jetzt noch wählen?

Eine Briefwahl per Post ist jetzt nicht mehr möglich. Allerdings können die Briefwahlunterlagen noch am Freitag direkt in den Bezirksämtern abgegeben werden, entweder persönlich oder per Bote während der offiziellen Öffnungszeiten. Dabei ist es egal, wo man gemeldet ist - die Unterlagen können in jedem der sieben Bezirksämter abgegeben werden. Außerhalb der Öffnungszeiten besteht noch bis Sonntag, 18 Uhr, die Möglichkeit, die Unterlagen in die Briefkästen der Bezirksämter einzuwerfen. Wer nicht per Briefwahl gewählt hat, kann am Sonntag in einem der 201 Wahllokale abstimmen, die von 8 bis 18 Uhr geöffnet sind. Auch hier kann man in jedem Wahllokal seine Stimme abgeben. Über die Standorte informiert das Landeswahlamt im Internet auf der Seite www.hamburg.de/volksabstimmungen

Wie wählen die Politiker?

Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat schon vor einiger Zeit seine Stimme per Briefwahl abgegeben. Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) will am Sonntag um 14 Uhr im Kundenzentrum Altona zur Wahl gehen. Dort stimmt auch der Sprecher der Volksinitiative, Walter Scheuerl, ab - um 10 Uhr.

Wann gibt es ein Ergebnis?

Nach Schließung der Wahllokale beginnt am Sonntag um 18 Uhr die Auszählung der abgegebenen Stimmen in den Abstimmungslokalen und der Briefwahlstimmen in den sieben Bezirksämtern. Landeswahlleiter Willi Beiß hat 2089 Wahlhelfer rekrutiert. Die Zahl war auf Basis der zunächst kalkulierten 600 000 Briefwahlstimmen ermittelt worden, soll aber trotz der niedrigeren Wahlbeteiligung nicht reduziert werden. Die Auszählung ist öffentlich. "Mit dem vorläufigen amtlichen Endergebnis rechnen wir gegen 23 Uhr", sagt der Sprecher des Landeswahlamts, Asmus Rösler. Im Rathaus ist ein Medienzentrum eingerichtet worden. Von dort informiert der Landeswahlleiter über Zwischenergebnisse aus den bereits ausgezählten Wahllokalen. Die Zahlen werden auch vom Statistikamt veröffentlicht. Es handelt es sich jedoch nicht um Hochrechnungen, wie man sie von Wahlabenden kennt. Das amtliche Endergebnis wird dann am 27. Juli vom Senat verkündet.

Warum ist die Wahlbeteiligung wichtig?

1,2 Millionen Wahlberechtigte in Hamburg sind aufgerufen, ihre Stimme beim Volksentscheid abzugeben. Mit Stand gestern haben 414 624 Bürger per Briefwahl abgestimmt. Dabei ist die Zahl der ungültigen Abstimmungsbriefe mit knapp zwei Prozent gering. Schon jetzt lässt sich sagen, dass wahrscheinlich deutlich weniger als die ursprünglich kalkulierten 600 000 Briefwähler abstimmen. Wie viele Bürger am Sonntag ein Wahllokal aufsuchen, ist völlig offen. 2007, beim bislang einzigen Volksentscheid, der nicht mit einer anderen Wahl zusammenfiel, waren es gut 90 000 Hamburger. Damals lag der Termin allerdings nicht in den Ferien. Für die Reformgegner ist eine hohe Wahlbeteiligung besonders wichtig. Um das Quorum zu erreichen, brauchen sie mindestens 247 335 Ja-Stimmen (ein Fünftel der Wahlberechtigten bei der Bürgerschaftswahl 2008).

Gibt es Wahlbeobachter?

Die Volksinitiative "Wir wollen lernen" schickt während der Auszählung Beobachter in die Abstimmungslokale und die Bezirksämter. Da 180 der 201 Wahllokale Grundschulen sind, befürchtet der Sprecher der Volksinitiative, Walter Scheuerl, dass für die Primarschule voreingenommene Lehrer, Schulleiter oder Hausmeister an der Stimmenauszählung beteiligt seien und Einfluss nehmen könnten. Der Kampagnenleiter der Initiative, Jürgen Jeske, schätzt die Zahl der Wahlbeobachter auf etwa 100. Die Beobachter stammen zum Teil aus den Reihen der Initiative. Die Auszählung wird aber auch von unabhängigen Bürgern überprüft, die sich freiwillig gemeldet haben. Initiativensprecher Scheuerl hat zudem angekündigt, dass er im Fall eines knappen Ergebnises eine Nachzählung beantragen will. Auch will er dann eine genaue Überprüfung ungültiger Wahlzettel verlangen.

Ist das Ergebnis verbindlich?

Ja. Nach Artikel 50 der Hamburger Verfassung kann das Volk direkt an der Gesetzgebung mitwirken. Wenn es wie jetzt in dem dreistufigen Verfahren zu einem Volksentscheid kommt, ist dieser bindend. Theoretisch gibt es zwar die Möglichkeit, dass die Bürgerschaft die Bindung unter bestimmten Bedingungen aufhebt. Im konkreten Fall haben aber alle Beteiligten erklärt, das Ergebnis zu akzeptieren. Außerdem gilt: Die durch den Volksentscheid zustande gekommene Entscheidung für oder gegen die Primarschule kann innerhalb von zwei Jahren nicht durch eine neue Volksabstimmung geändert werden.

Wie viele Stimmen brauchen die Reformgegner, um erfolgreich zu sein?

Damit die Vorlage der Reformgegner von "Wir wollen lernen" überhaupt ins Rennen geht, braucht sie mindestens 247 335 Ja-Stimmen. Zusätzlich muss die Zahl der Ja-Stimmen über der der Nein-Stimmen liegen. Noch komplizierter wird es dadurch, dass die Bürgerschaft mit einer eigenen Vorlage für die Einführung der Primarschule in die Volksabstimmung geht. Deshalb müssen die Gegner noch eine weitere Hürde nehmen: Sie müssen mehr Ja-Stimmen zusammenbekommen als die Bürgerschaft. Verpasst "Wir wollen lernen" eine der Bedingungen, hat das Schulgesetz Bestand, nach dem die Primarschule zum kommenden Schuljahr schrittweise eingeführt wird. Setzen sich die Befürworter durch, gilt das Gleiche.

Wie berichtet das Fernsehen?

Der NDR sendet am Sonntag von 19.30 Uhr an im "Hamburg Journal" mit vielen Liveschaltungen aus dem Rathaus. Am Montag berichtet der NDR ab 11 Uhr live aus dem Rathaus, wenn Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) zum Ergebnis des Volksentscheids Stellung nehmen. Auf Hamburg 1 gehen Politikchef Herbert Schalthoff und Programmgeschäftsführer Michael Schmidt von 19 Uhr an im Rathaus auf Sendung. RTL ("RTL Aktuell", Sonntag, 18.45 Uhr; "RTL Nord", Montag, 18.30 Uhr), SAT.1 ("Regional", Montag, 17.30 bis 18.00 Uhr), ZDF (Sonntag, "heute", 17 und 19 Uhr; "heute-journal", 21.45 Uhr) berichten in ihren Nachrichtensendungen.

Gibt es Wahlpartys?

Sowohl Unterstützer als auch Gegner der Primarschule wollen am Sonntagabend feiern - allerdings streng getrennt. Das Bündnis "Chancen für alle - Die Schulverbesserer" lädt ab 18 Uhr ins Kulturhaus 73 am Schulterblatt. Dort hat sich für den späteren Abend auch Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) angesagt. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) will eventuell auch erscheinen. Die Wahlparty der Reformgegner von "Wir wollen lernen" startet um 19 Uhr im WWL-Infoladen in der Lilienstraße 15. Dort kann man live mitverfolgen, wie die Auszählungen laufen.