Bürgermeister Ole von Beust und Schulsenatorin Christa Goetsch attackieren im Interview mit dem Abendblatt die Reformgegner scharf.
Hamburg. Hamburger Abendblatt: In den langen Verhandlungen zwischen der Koalition und der Volksinitiative muss eigentlich nur noch eine Frage geklärt werden: Ist es möglich, die Leistungsstände der Primarschüler mit den Schülern des alten Systems bis 2012 seriös wissenschaftlich zu vergleichen?
Christa Goetsch: Soweit wir informiert sind, ist das nicht möglich. Man kann zwar Lernstände der einzelnen Schüler erheben, aber in so kurzer Zeit ist kein seriöser Vergleich der Systeme möglich.
Abendblatt: Das bedeutet: Eine Einigung mit den Reformgegnern ist nicht möglich. Oder?
Ole von Beust: Wir haben riesige Schritte auf die Initiative zu gemacht. Meine Gefühlslage ist eine Mischung aus Enttäuschung und Entschlossenheit. Ich bin enttäuscht darüber, dass als Reaktion auf unser Entgegenkommen - ob bei der zeitlichen Streckung der Reform oder was die Überprüfung durch eine unabhängige Kommission angeht - immer nur neue Hürden aufgebaut werden. Entschlossen bin ich, den Volksentscheid anzugehen, wenn jetzt nicht schnell eine Einigung erzielt wird.
Goetsch: Wir haben uns bis an die Grenze des Zumutbaren bewegt. Wir können nicht zulassen, dass die Schüler zu Versuchskaninchen werden, weil wir zwei Systeme lange Zeit parallel nebeneinander her laufen lassen. Das wäre auch eine große Belastung für die weiterführenden Schulen, die die Kinder dann zu unterschiedlichen Zeiten - nach Klasse 4 und Klasse 6 - aufnehmen müssten.
Abendblatt: Also bleibt Ihnen nichts anderes, als das Scheitern der Gespräche zu verkünden.
Von Beust: Mal schauen, wie die Gespräche laufen, und ob wir mit Michael Otto als Moderator noch eine Brücke finden. Die Initiative muss sich fragen: Wollen sie im Sinne eines Schulfriedens noch eine Lösung, oder überlassen sie denjenigen das Feld, die genau das nicht wollen?
Abendblatt: Zweifeln Sie am Einigungswillen der Initiative?
Von Beust: Bei manchen ja, bei anderen nicht. Einige sind sehr konstruktiv. Andere sind zwar in den Gesprächen freundlich, zerdeppern mit öffentlichen Äußerungen hinterher aber das, was vorher aufgebaut worden war.
Goetsch: Es wurde kein Klima des Vertrauens erreicht. Die permanenten Versuche, Keile zwischen CDU und GAL zu treiben, tragen nicht gerade zur Steigerung des Vertrauens bei.
Abendblatt: Der Zeitpunkt der flächendeckenden Einführung ist der Knackpunkt. Die Koalition besteht auf 2012. Aber wenn die Primarschule das bessere System ist, wie Sie immer wieder betonen, kann der Zeitpunkt doch eigentlich egal sein. Oder zweifeln Sie daran?
Von Beust: Ich zweifle nicht daran. Aber wir hätten dann keinen Schulfrieden, sondern einen Dauerwettbewerb der Systeme. Jeder Fehler würde zu einem Systemfehler aufgebauscht.
Goetsch: Wir fangen doch auch nicht bei null an. Sechs Jahre gemeinsames Lernen sind europäischer Standard. Es gibt belastbare Studien und auch die PISA-Daten, die belegen, dass längeres gemeinsames Lernen zur Abmilderung sozialer Unterschiede führt.
Von Beust: Im Übrigen: Wir haben die wesentlichen Kritikpunkte aufgenommen: Das Elternwahlrecht wird nicht abgeschafft, und wir haben die stufenweise Einführung angeboten, weil viele das Tempo der Reform kritisiert haben. Zusätzlich soll die Umsetzung von einer unabhängigen Kommission kontrolliert werden mit der Möglichkeit, die Rote Karte zu zeigen.
Abendblatt: Wo liegen die Ursachen, wenn die Gespräche scheitern sollten?
Von Beust: Ich kann mir vorstellen, dass einige in der Initiative dazu neigen, ihre eigene Bedeutung vielleicht etwas zu überschätzen. Zugleich bewerten sie das Ziel Schulfrieden nicht so hoch, weil sie den Erfolg beim Volksentscheid für eine sichere Sache halten. Das halte ich für einen Trugschluss.
Abendblatt: Sprechen Sie vor allem über Walter Scheuerl?
Von Beust: Herr Scheuerl ist in den Verhandlungen konziliant, hinterher höre ich dann aber von Statements, die man geradezu als boshaft bezeichnen könnte. Das sind taktische Spielchen, Kinkerlitzchen, die in der Sache nicht weiterführen.
Goetsch: Man zeigt wenig Einigungswillen, wenn man einen Verhandlungspartner öffentlich diffamiert.
Abendblatt: Sie spielen darauf an, dass Herr Scheuerl gesagt hat, die GAL habe 150 bis 200 Aktive, die die Schulpolitik ideologisch dominieren wollten. Wie ist das bei Ihnen angekommen?
Goetsch: Ich warte noch auf eine Entschuldigung von Herrn Scheuerl.
Abendblatt: Gibt es einen Koalitionswahlkampf, wenn es zum Volksentscheid kommt?
Von Beust: Es gibt eine Initiative, die für die Reform ist und einen wesentlichen Teil zur Meinungsbildung beitragen wird. Die Aufgabe von Senat und den Parteien CDU und GAL ist es, diesen Prozess gut zu unterstützen. Aber es ist kein Wahlkampf oder gar eine vorgezogene Bürgerschaftswahl.
Abendblatt: Welche Rolle sehen Sie für sich?
Von Beust: Wenn es zur Abstimmung kommt, möchte ich mich entschlossen und kämpferisch für die Reform einsetzen. Das genaue Vorgehen werden wir mit der Pro-Initiative abstimmen.
Goetsch: Ich werde mich nicht verstecken, wie Sie sich lebhaft vorstellen können. Der Senat wird mit seinen Möglichkeiten aufklären und informieren. Und auch die GAL wird die Hände nicht in den Schoß legen.
Abendblatt: Hat der Ausgang des Volksentscheids Auswirkungen auf den Bestand der Koalition?
Von Beust: Ich hoffe nicht. Falls es nicht zu einem Kompromiss kommt, sehe ich gute Chancen, dass wir uns bei einem Volksentscheid durchsetzen. Wenn die Primarschule scheitern sollte, macht das die Sache für uns natürlich nicht einfach. Aber: Die Situation ist ja nicht durch einen Streit der Koalitionspartner hervorgerufen. Daher stellt sich für mich nicht die Koalitionsfrage.
Goetsch: Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir den Volksentscheid gewinnen werden. Daher hat die Frage nach dem Bestand der Koalition für mich keine Relevanz.
Abendblatt: Die Primarschule findet in der CDU Nachahmer, zum Beispiel im Saarland. Wann ist sie Bestandteil des Programms?
Von Beust: Wir waren mit die Ersten, die in den 90er-Jahren über Fixerstuben nachgedacht und später das Thema Integration auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich erlebe bei der Primarschule in der Bundes-CDU unterschiedliche Reaktionen. Die einen sind skeptisch, die anderen sagen, ihr habt im Grunde recht, aber wir warten erst mal ab, wie es in Hamburg läuft. Es gibt aber niemanden, der den Reformbedarf verkennt. Es freut mich, wenn wir Impulse liefern können.
Goetsch: Die CDU in Hamburg ist mutiger als manche Partei, die längeres gemeinsames Lernen seit Jahrzehnten im Programm haben, ohne es umzusetzen.