Hamburg. Mehr als 21.000 Fälle liegen im Zivilsegment auf Halde. Der Senat spricht von „großer Herausforderung“ für die Justiz im Personalbereich.

Die acht Amtsgerichte sind seit Jahren eine Problemzone der Hamburger Justiz. Vor allem die aufgrund von Personalmangel zu Engpässen gewordenen Geschäftsstellen haben zu einer dauerhaften Überlastung der Gerichte in Hamburg geführt und die Krankenstände in die Höhe getrieben.

Die Justizbehörde versucht zwar, mit einer Reihe von Maßnahmen zusätzliches Personal zu gewinnen, aber bislang steht der durchschlagende Erfolg aus. Im Gegenteil: Die Zahl der unerledigten Verfahren im größten Bereich der Amtsgerichte, dem Zivilsegment, ist auf ein neues Rekordniveau geklettert.

Hamburger Amtsgerichte: 21.074 zivilrechtliche Verfahren zum Stichtag 31. Oktober 2024 auf Halde.

Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker lagen 21.074 zivilrechtliche Verfahren zum Stichtag 31. Oktober 2024 auf Halde. Das bedeutet eine Steigerung um 1522 Verfahren oder 7,8 Prozent gegenüber dem Stand vom 31. März dieses Jahres. Verglichen mit dem Bestand unerledigter Verfahren am 31. Dezember 2023 beträgt die Steigerung sogar 10,2 Prozent oder 1957 Fälle. Ausweislich früherer Senatsantworten belief sich die Zahl unerledigter Verfahren Ende 2020 noch auf 17.076 Fälle und sank sogar während der Corona-Pandemie vorübergehend auf 13.216 Verfahren Ende 2021.

Amtsgerichte in Hamburg: Eilbedürftige Fälle werden vorgezogen, die anderen müssen warten

Eine Folge der ansteigenden Tendenz ist, dass die neu eingehenden Verfahren im Zivilsegment nach Priorität bearbeitet werden. Fälle, in denen es zum Beispiel um die Einhaltung von Fristen geht, werden bevorzugt. Der Senat bestätigt in seiner Antwort auf die Seelmaecker-Anfrage diese Praxis noch einmal: „Nach der Ersterfassung aller neu eingehenden Sachen in der Reihenfolge ihres Eingangs werden besonders eilbedürftige Anträge in der weiteren Bearbeitung vorgezogen. Dazu gehören vor allem Anträge im einstweiligen Rechtsschutz, auf Einstellung der Zwangsvollstreckung und Räumungsschutzanträge sowie Räumungsklagen.“

Bei den beiden anderen Segmenten der Amtsgerichte steigen die Zahlen der unerledigten Verfahren zwar nicht an, aber der erwünschte umfassende Abbau der Halde erfolgt auch nicht: Ende Oktober 2024 waren 9500 Verfahren im Bereich der Familiensachen unerledigt. Ende März 2024 waren es mit 9447 Fällen und 9552 Verfahren Ende 2023 annähernd gleich viele. Einen Rückgang registriert die Statistik bei den Strafsachen: von 7794 Fällen (Ende 2023) über 7550 Fälle (Ende März 2024) auf 7246 Fälle Ende Oktober dieses Jahres.

Hamburger Amtsgerichte: Nicht nur bei unerledigten Verfahren, auch bei den Neuzugängen gab es einen Anstieg

Einen deutlichen Anstieg verzeichnet die Statistik auch bei den Neuzugängen im Zivilsegment: Im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres wurden 8201 bzw. 8006 neue Fälle registriert. Im ersten Quartal waren es noch 7619 Verfahren und 28.866 Fälle im gesamten Jahr 2023. Bei den Familiensachen ist das Niveau etwa gleichbleibend: Nach 3357 Fällen (1. Quartal 2024) und 3278 Fällen (zweites Quartal) waren es im dritten Quartal dieses Jahres 3347 Fälle. Rückläufig ist die Tendenz der Neuzugänge bei den Strafsachen: von 3407 über 3215 auf 2972 Verfahren in den gleichen Zeiträumen.

Die Zahl der erledigten Verfahren ist im zivilrechtlichen Bereich der Amtsgerichte leicht angestiegen: Wurden 7184 Fälle im ersten Quartal 2024 abgeschlossen, so waren es nach 7164 Fällen im zweiten Quartal 7264 Verfahren im dritten Quartal. Damit hat die Gesamtzahl der abgeschlossenen Verfahren von Januar bis September 2024 fast die Summe des gesamten Jahres 2023 erreicht, als 23.885 Erledigungen registriert wurden. Wie prekär die Personalsituation im Zivilsegment nach wie vor ist, zeigt jedoch der mittelfristige Vergleich: Im Jahr 2020 konnten noch 30.509 Fälle erledigt werden, im Jahr darauf sank der Wert auf 24.735 Verfahren.

Durchschnittliche Verfahrensdauer mit 6,7 Monaten im Zivilbereich unverändert hoch

Bei den Familiensachen liegt die Zahl der Erledigungen mit 3331 Fällen im dritten Quartal 2024 etwa auf dem Niveau der Vorjahresquartale, deren Zahl zwischen 3546 und 2792 Fällen schwankt. Tendenziell rückläufig ist die Zahl erledigter Fälle bei den Strafsachen: von 3578 Fällen (1. Quartal 2023) über 3004 Fälle (4. Quartal 2023) auf 3183 und 3123 Fälle im zweiten und dritten Quartal 2024.

Eine wichtige Kennziffer für die Zufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Justiz ist die Verfahrensdauer. Hier ist im Bereich der Amtsgerichte keine Entspannung in Sicht. Im Zivilbereich liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer laut Senatsantwort im dritten Quartal bei 6,7 Monaten. Das ist zwar weniger als im ersten Quartal dieses Jahres, als mit 7,2 Monaten ein negativer Spitzenwert erreicht wurde, aber deutlich höher als im gesamten Jahr 2023, als 6,2 Monate registriert wurden. Auch bei den Familiensachen dauern die Verfahren im Durchschnitt länger: Im dritten Quartal 2024 waren 6,6 Monate, im Jahr 2023 insgesamt 6,0 Monate. Keine Veränderungen ergaben sich bei den Strafsachen mit einem Durchschnittswert von 5,9 Monaten.

Amtsgerichte: Mitarbeiter in Hamburg leisten freiwillig Überstunden, um Berg unerledigter Fälle abzubauen

Die durchschnittliche Fehlzeitenquote auf den Geschäftsstellen der Amtsgerichte war in den beiden zurückliegenden Quartalen mit zehn Prozent unverändert. Der Spitzenwert wurde mit 16 Prozent im zweiten Quartal 2024 beim Amtsgericht Altona erreicht. Im vierten Quartal 2023 war der Krankenstand mit 10,8 Prozent und im ersten Quartal mit 10,7 Prozent ein wenig höher.

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Der Senat spricht die Probleme in seiner Antwort auf die Seelmaecker-Anfrage relativ offen an. „Der allgemeine Fachkräftemangel stellt auch in der Justiz eine große Herausforderung dar. Die zuständige Behörde setzt dabei weiterhin unterschiedliche Maßnahmen um, um der aktuellen und zukünftigen Personalknappheit sowohl kurz- als auch langfristig entgegenzuwirken.“ Kurzfristig würden Personalengpässe „durch solidarische Unterstützung der Gerichte untereinander... abgefedert“, heißt es in der Senatsantwort. Und: „Durch freiwillige Mehrarbeit von Mitarbeitenden aller Bereiche des Amtsgerichts und der weiteren Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden flächendeckend Rückstände abgebaut.“

54 fachfremde Quereinsteiger haben die Arbeit in Geschäftsstellen dauerhaft aufgenommen

Innerhalb eines Jahres sei es darüber hinaus gelungen, 54 fachfremde Quereinsteiger und -einsteigerinnen dauerhaft für die Tätigkeit in den Geschäftsstellen zu gewinnen. „Dadurch sind Vakanzen geschlossen und besonders belastete Bereiche verstärkt worden“, schreibt der Senat. Da aber die Pensionierungsquoten nach wie vor ansteigen, ist der absolute Personalzuwachs begrenzt. Die Zahl der Vollzeitstellen hat sich folgendermaßen entwickelt: von 476,1 Stellen (1. Januar 2023) über 471,14 Stellen (1. Juli 2023), 463,96 Stellen (1. Januar 2024) und 493,52 Stellen (1. Mai 2024) auf 489,19 Stellen zum 1. November 2024. Bereits eingerechnet sind studentische Hilfskräfte und die Quereinsteiger, die noch eingearbeitet werden.

Laut Senat hat es personelle Verbesserungen im Zivilsegment des Amtsgerichts Altona sowie des Strafbereichs des Amtsgerichts St. Georg gegeben. Entlastungen seien durch Strukturänderungen und „gerichtsübergreifende Personalunterstützungen“ auch am Standort Harburg erreicht worden. „Rückstände bestehen weiter in den Familien-, Nachlass- und Zwangsvollstreckungsbereichen mehrerer Amtsgerichte“, schreibt der Senat weiter.