Hamburg. Birte Meyerhoff leitet das größte Landgericht Deutschlands. Richter noch immer sehr belastet. Was die Hamburger Top-Juristin plant.

Wenn sie aus dem Fenster ihres Büros schaut, ist ein Spielplatz nicht weit. Auch das Heiligengeistfeld mit dem Hamburger Dom ist im Blickfeld, ebenso die Anlage Planten und Blomen mit ihrer Eisbahn. Vieles also, was Hamburg ausmacht und wo Hamburger ihre Zeit verbringen. Kurz gesagt: Birte Meyerhoff, seit Neuestem Präsidentin des Landgerichts Hamburg, hat „das pralle Leben“ vor der Tür. Das passt zu der Topjuristin, die ohnehin weit davon entfernt ist, in einem Elfenbeinturm zu sitzen. Kommunikativ, unaffektiert, möglichst nah an den Bürgern und den Mitarbeitenden: So erleben sie die Menschen, die ihr begegnen. Und zugleich ist sie eine Juristin mit besonderer fachlicher Kompetenz.

Hat es deshalb keinen Gegenkandidaten gegeben, als die Stelle des Landgerichtspräsidenten ausgeschrieben wurde? Bei anderen Spitzenposten, die die Justiz in Hamburg in den vergangenen Jahren zu vergeben hatte, hatten jeweils mehrere Bewerber ihren Hut in den Ring geworfen. Dieses Mal, als es um die Nachfolge von Präsident Bernd Lübbe ging, war da niemand außer ihr. „Was etwaige andere Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt dazu bewogen hat, sich nicht zu bewerben, kann ich naturgemäß nicht sagen“, sagt Meyerhoff dazu. „Ich bin aber weit davon entfernt, meine eigenen Kompetenzen zu überschätzen. Ich koche auch nur mit Wasser und kenne meine Grenzen.“

Neue Gerichts-Präsidentin Meyerhoff: „Ich fühle mich als Erste unter Gleichen“

Sich nicht überschätzen, bodenständig bleiben, nahbar sein – und zugleich souverän im Umgang mit Menschen und ausgesprochen bewandert als Juristin: So hat es Meyerhoff an die Spitze des größten Landgerichts Deutschlands mit mehr als 600 Mitarbeitenden, davon mehr als 250 Richterinnen und Richter, geschafft. Dabei fühle sie sich als „Prima inter pares“, also als Erste unter Gleichen, betont sie. Und für Meyerhoff heißt das: „Ich möchte Verantwortung übernehmen, ohne zu dominieren.“ Als ihre dringlichsten Aufgaben sieht die Hamburgerin, „nach innen und nach außen mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für die Stärkung der dritten Gewalt zu kämpfen, angemessene Ausstattung und Arbeitsbedingungen der bei uns tätigen Kolleginnen und Kollegen zu fordern und dadurch sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Recht kommen und ihr Vertrauen in den Rechtsstaat erhalten bleibt beziehungsweise gestärkt wird“.

Meyerhoff hat ihre Karriere vor 25 Jahren in der Hamburger Justiz begonnen, seitdem etliche Stationen durchlaufen, darunter in Wettbewerbssenaten am Oberlandesgericht und als Leiterin des Jugendgerichts am Amtsgericht sowie Vorsitzende einer Abteilung für Erwachsenen- und Jugendstrafsachen. Zuletzt war die 53-Jährige drei Jahre lang Vizepräsidentin des Landgerichts – und kennt damit sowohl die Stärken als auch die Probleme dieses Bereichs der Hamburger Justiz besonders gut.

Chef-Richterin kennt die Stärken und die Probleme in der Justiz besonders gut

So seien die Zivilkammern, die insbesondere für Klagen vermögensrechtlicher Art sowie unter anderem für Miet-, Bau-, Urheberrechts-, Erb- und Insolvenzsachen zuständig sind, noch immer auf hohem Niveau belastet, sagt Meyerhoff. „Wir leiden insbesondere hier unter der Komplexität der Verfahren und den Herausforderungen, denen wir durch die Spezialisierung der Kanzleien einerseits und der demgegenüber nicht auskömmlichen Personalausstattung im Zivilverfahren andererseits ausgesetzt sind.“ Hinzu kämen sogenannte Massenverfahren wie die Dieselverfahren, die die Kolleginnen und Kollegen vor große Herausforderungen in der Arbeitsorganisation und der Bewältigung des Arbeitspensums stellen.

Auch bei den Strafkammern sei die Situation „weiter angespannt“, erklärt Meyerhoff. „Aber wir sind dank einer mittlerweile auskömmlicheren personellen Ausstattung in den Großen Strafkammern durch die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz in der Lage, die Belastung durch sogenannte Haftsachen, also Verfahren, bei denen jemand in Untersuchungshaft sitzt, weswegen diese besonders beschleunigt durchzuführen sind, besser zu verteilen.“ Den Kammern sei es darüber hinaus inzwischen vermehrt möglich, auch ihre sonstigen Verfahren – also Nichthaftsachen – zu erledigen. Die Verfahrensdauer habe in den vergangenen Jahren von durchschnittlich zwölf Monaten ab Eingang bei den Großen Strafkammern am Landgericht bis zu einer Entscheidung auf im Schnitt neun Monate verkürzt werden können.

Landgerichts-Präsidentin: Arbeitsbelastung der Richter immer noch auf hohem Niveau

„Hier können wir zufrieden sein mit der Entwicklung der Zahlen und hoffen, dass die Situation so stabil bleibt“, sagt Meyerhoff. Die Großen Strafkammern seien insgesamt gut ausgelastet, aber nicht durchgängig überlastet. „Im Strafverfahren haben wir eine Entwicklung in die richtige Richtung: Die Leute können inzwischen wieder arbeiten, ohne unter dem Druck der nicht erledigten Verfahren zu verzagen.“ Allerdings könne schon „ein Komplexverfahren alles in Schieflage bringen“, warnt die Landgerichtspräsidentin.

Herausforderungen entstehen auch durch umfangreiche Verfahren im Zusammenhang mit Cybercrime, Kinderpornografie sowie Sky ECC, einer neueren Generation von Krypto-Handys, über die kriminelle Geschäfte abgewickelt werden. Die hohe Arbeitsbelastung der Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeitenden im nicht-richterlichen Dienst werde auch dadurch verstärkt, dass es organisatorisch hohe Anforderungen wie begrenzte Saalkapazitäten und komplexe Terminabsprachen gebe. „Aber grundsätzlich haben wir im Strafverfahren gegenüber 2020 eine deutlich verbesserte Lage.“

Sie sei „sehr dankbar für den unablässig hohen Einsatz und die große Motivation der Kolleginnen und Kollegen, die ihr Möglichstes dafür tun, dass Hamburg ein zukunftsfester, repräsentabler und von den Bürgerinnen und Bürgern angenommener Gerichtsstandort bleibt“, so Meyerhoff. Zugleich warnt sie, dass die Justiz „besser ausgestattet werden“ müsse, „damit den Bürgerinnen und Bürgern schneller zu ihrem Recht verholfen wird. Insofern besteht weiter akuter Handlungsbedarf.“ Dies sei „gerade in Zeiten, in denen demokratiefeindliche Stimmen lauter werden, von zentraler Bedeutung für die Akzeptanz und Durchsetzungsstärke des Rechtsstaats“.

Justiz müsse besser ausgestattet werden, sonst leidet der Rechtsstaat

Trotz der wenig zufriedenstellenden Ausstattung der Justiz habe Hamburg aufgrund der Attraktivität des Standortes in einer Großstadt keinen Mangel an hochqualifiziertem Nachwuchs, betont Meyerhoff. Viele Juristen entschieden sich für das Richteramt, weil sie eine „sinnstiftende Tätigkeit mit viel gesamtgesellschaftlicher Verantwortung übernehmen“ wollten. „Wir bekommen also weiterhin die besten Juristinnen und Juristen, können ihnen aber nicht durchgängig die besten Bedingungen bieten. Das führt intern auch zu durchaus berechtigter Kritik“, erklärt die Landgerichtspräsidentin. „Wir kämpfen indes weiter um bessere Arbeitsbedingungen.“

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Im Bereich Urheberrechtsfragen, Pressesachen und Handelssachen sei Hamburg ein traditionell starker Standort, betont Meyerhoff. „Und wir werden dies auch bleiben, da wir – qua unseres Selbstverständnisses – immer darauf bedacht sind, durch hervorragend besetzte Spezialkammern in diesem Bereich attraktiv zu bleiben. Die Eingangszahlen der Pressestreitigkeiten sind auf gleichbleibend hohem Niveau.“

Trotz der vielfältigen Aufgaben bei der Leitung des Landgerichts wird Meyerhoff weiterhin auch selber eine Große Strafkammer leiten, als Vorsitzende einer Jugendschutzkammer. „Jugendschutz ist nicht immer einfach“, weiß die Juristin. „Ich bin aber resilient genug – da kann ich mich sinnvoll einbringen.“