Hamburg. OP-Team um Prof. Hermann Reichenspurner rettet Patienten mit neuartigem Hightech-Implantat. Hamburgs Herz-Papst warnt vor dramatischen Trends.
Im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) ist eine Operation geglückt, die man als historisch bezeichnen kann. Zum ersten Mal wurde einem Patienten (73) in Hamburg ein neuartiges Kunstherz mit einer Biomembran und Klappen aus organischem Material eingesetzt. Das Team um Prof. Hermann Reichenspurner vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum wollte nach dem mehr als achtstündigen Eingriff zunächst abwarten, wie sich der Patient erholt, zeigte sich dann im Gespräch mit dem Abendblatt jedoch vorsichtig optimistisch für weitere Einsätze dieses Kunstherzens namens Aeson der französischen Firma Carmat.
„Für den Patienten war es quasi eine Rettungsaktion, das Kunstherz einzusetzen“, so Reichenspurner. „Dieses Kunstherz funktioniert nur bei einer entsprechenden Körpergröße. Ein zierlicher Mensch wäre vermutlich nicht geeignet.“ Das Herz des Patienten war durch einen Infarkt fast vollständig zerstört, es hatte keine ausreichende Pumpleistung mehr. „Zwei Oberärzte meiner Klinik, Dr. Yousuf Al Assar und PD Dr. Alexander Bernhardt, haben beim Hersteller zwei ,Trockentrainings‘ gemacht, um den Einsatz des Kunstherzens zu üben. Auch deshalb zwei, weil das Pilot-/Copilot, das Vier-Augen Prinzip gilt.“
UKE: Erstes biologisches Kunstherz in Hamburg implantiert
Bernhardt sagte dem Abendblatt, der Patient sei schon einen Tag nach der OP seinen Beatmungsschlauch wieder losgeworden. „Das System läuft stabil, es gab bislang keinen Alarm. Wenn der Patient aufstehen und gehen kann, ist schon viel gewonnen.“ Für das OP-Team, das trotz großer Routine und Expertise extra ins Trainingslager ging, war dieser Eingriff ein besonderer. Weltweit gibt es erst 70 bis 80 dieser neuen Geräte im Einsatz. Eine Studie des Herstellers läuft noch. Bei Operationen dieser Art wurden die Ärzte in den USA frenetisch gefeiert, wie in Beiträgen seriöser Sender zu sehen ist. Von einem „Gamechanger“ in der Herzchirurgie ist die Rede.
Bernhardt sagte: „Weil man am Ende ein mechanisches Gerät hat, muss man bei der Operation ganz sicher sein, dass es hundertprozentig sitzt und gut an einem Halteapparat vernäht ist und es keine Blutungen gibt. Wir haben vor der OP alle Alternativen geprüft und den Patienten und seine Familie in unsere Überlegungen einbezogen.“ Auch die Krankenkasse habe wegen der Kosten gefragt werden müssen. „Als das Okay kam, dauerte es drei, vier Tage, bis das Gerät hier war.“
Neuartiger Herz-Roboter erleichtert Patienten den Alltag
Und dieses Kunstherz ist ein spezielles. Es sei „biologisch ausgekleidet“, sagte Reichenspurner. „Das gab es bislang nicht, mit Klappen ebenfalls aus biologischem Material. Vorteil: Man braucht keine komplette Blutverdünnung mehr, das Risiko einer Blutgerinnselbildung ist nicht mehr so groß, die Gefahr von Darmblutungen, Hirnblutungen oder Schlaganfällen wird dadurch deutlich reduziert.“
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Dieses Kunstherz funktioniert wie eine Hydraulikpumpe und sorgt für einen Blutfluss, der ähnlich dem „echten“ Herzen pulsiert. Sensoren im Innern sorgen nach Herstellerangaben für ein Pumpen, das an den Blutdruck angepasst ist. In Fachbeiträgen ist schon die Rede von einem „Herzroboter“ mit Bio-Übergängen zum menschlichen Körper. Das „Zubehör“ außerhalb des Körpers ist deutlich smarter, leichter und leiser als das bisheriger Kunstherzen. Es gibt einen „Controller“ (vier Kilo) und Akkus, was zusammen in eine Tasche oder einen kleinen Rucksack passt. „Bei den alten Systemen dachte man immer, da steht eine Lokomotive im Zimmer“, so Reichenspurner.
Organspende und Herz-Transplantationen: UKE-Experte Reichenspurner beklagt „eklatanten Mangel“
Doch Hamburgs Herz-Papst macht sich keine Illusionen. Diese gelungene Operation und das perfekt vernähte Hightech-Gerät können nicht darüber hinwegtäuschen, wo das eigentliche Problem bei Tausenden, schwer leidenden Herzpatienten in Deutschland liegt: Es gibt zu wenige Spenderherzen. Selbst das Aeson ist nur eine „Brückentechnologie“. Es kann die Zeit überbrücken, bis für einen Patienten ein „echtes“ Herz gefunden ist. Doch die Organspende in Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Jammer und das Schlusslicht im Eurotransplant-Verbund. Rund 350 Herztransplantationen im Jahr gibt es in Deutschland, 5000 in den USA – ein „dramatisches Missverhältnis“, wie Reichenspurner findet.
„Der Organmangel in Deutschland ist eklatant. Dass die Transplantation der Goldstandard ist, steht außer Frage, aber es gibt nach wie vor zu wenige Spenderorgane. Keine Maschine ist so gut wie ein humanes Transplantat. Ich würde mir wie in Österreich eine Lösung wünschen, nach der man automatisch Organspender ist und aktiv widersprechen muss, falls man nicht möchte.“
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Kunstherz: Hamburger Patient zu alt für Organtransplantation
Doch diese Opt-out-Lösung war politisch nicht durchsetzbar. Seltsam, dass das jetzt bei der elektronischen Patientenakte geht. Hier muss man aktiv widersprechen, falls man keine möchte. Auch hier geht es um intime Daten, Behandlungen, Therapien und darum, wer Einblick hat und was damit passiert.
Der Hamburger Kunstherz-Patient wäre für eine Transplantation nicht infrage gekommen, weil er mit 73 zu alt ist. Die Regeln der Bundesärztekammer ziehen eine Linie bei 65. Reichenspurner fragt sich, was passiert, wenn man es nicht schafft, die Zahl der Organspender zu erhöhen. „Dann werden wir mehr mechanische Kreislaufunterstützungssysteme einsetzen müssen! Alternativ müssen wir den Einsatz von artfremden Organspenden voranbringen, die sogenannte Xenotransplantation, unter Verwendung von genetisch veränderten Schweineherzen, wie dies in den USA bereits gemacht wurde. Hierzu gibt es an der Universität München seit Jahren ein großes Forschungsprojekt, mit dem wir in Verbindung stehen.“