Hamburg. Autofahrer hatte Joint geraucht und keinen Führerschein. Durch welchen Trick er Zugang zum Carsharingauto bekam und wie das Urteil lautet.

  • Ein Polizist sollte den Verkehr regeln – und geriet in Lebensgefahr, als ein Auto auf ihn zufuhr.
  • Das Opfer sagt im Prozess: „Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen.“
  • Die Staatsanwaltschaft Hamburg forderte für jungen Angeklagten Bewährung, doch das Gericht verhängt mehrjährige Haftstrafe.

Er hatte „schon mit dem Leben abgeschlossen“, weil er glaubte, sterben zu müssen. Das waren die Gedanken eines Hamburger Polizisten, als er sah, dass ein Auto auf ihn zuhielt und drohte, den Beamten frontal zu erfassen. Dass der Polizeibeamte Aryan J. die Kollision mit einem Wagen überlebte, hat der 28-Jährige wahrscheinlich seinen guten Reflexen zu verdanken – und wohl auch einer gehörigen Portion Glück.

Ein 19-Jähriger war in einem Pkw auf ihn zugefahren, als der Polizist im letzten Moment hochspringen konnte, auf der Motorhaube landete und dann auf der Straße aufprallte. „Einfach gesagt: Es war ihm egal, ob ich sterbe oder nicht“, sagte der Polizeibeamte über den jungen Mann am Steuer.

Versuchter Mord an Polizisten
Todesangst: Polizist Aryan J. wurde bei dem Unfall schwer verletzt. © Bettina Mittelacher | Bettina Mittelacher

Jetzt ist im Prozess vor dem Landgericht das Urteil gegen den jungen Mann ergangen, der an jenem 15. September 2023 das Auto gefahren und den Polizisten schwer verletzt hatte. Der Angeklagte Mehmet B. (Name geändert) erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Vor Ablauf einer Frist von vier Jahren dürfe die Verwaltungsbehörde Mehmet B. keine Fahrerlaubnis erteilen, entschied das Gericht zudem.

Polizist mit Carsharingauto in Hamburg schwer verletzt: Angeklagter erhält drei Jahre Jugendstrafe

„Es ist notwendig, dass man lernt, Verantwortung für das eigene Fehlverhalten zu übernehmen“, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Philipp an die Adresse des Angeklagten. „Das Tatbild offenbart ein erhebliches Handlungs- und Erfolgsunrecht, insbesondere angesichts der körperlichen und vor allem auch psychischen Folgen für den geschädigten Polizeibeamten, der auch heute noch dienstunfähig ist.“ Mit dem Urteil ging des Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die ein Jahr und zehn Monate Jugendstrafe mit Bewährung unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert hatte.

Die Beweisaufnahme hatte für den Zeitpunkt der Kollision des Wagens mit dem Polizeibeamten eine Geschwindigkeit von 30 km/h ergeben, während die Anklageschrift noch von einer mehr als doppelt so hohen Geschwindigkeit ausgegangen war. Vor dem Hintergrund der deutlich geringeren Geschwindigkeit und in Kombination mit der schnellen zeitlichen Abfolge der Ereignisse, kam die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit zu der Überzeugung, dass der Angeklagte auch tödliche Verletzungen des Polizeibeamten billigend in Kauf genommen hatte. Dies wäre jedoch eine Voraussetzung gewesen, um zu einer Verurteilung wegen versuchten Mordes zu kommen. Auch ging das Gericht davon aus, dass sich der Angeklagte im Moment des Geschehens in der Überforderungssituation befunden hatte.

Prozess in Hamburg: Richter betont die schweren Folgen für das Opfer

An jenem Spätsommertag hatten sich etliche Fahrzeuge an der Max-Brauer-Allee in Altona wegen einer Baustelle gestaut. Zwei Polizisten wurden eingesetzt, um den Verkehr zu regeln. Obwohl Polizist Aryan J. nach seiner Schilderung eindeutige Signale gegeben hatte, dass der von Mehmet B. gesteuerte Audi anhalten solle, hatte der 19-Jährige weiter auf den Beamten zugehalten.

Wegen dieser Vorfälle stand der Angeklagte Mehmet B. ursprünglich wegen versuchten Mordes vor Gericht. Laut Anklage hatte der Hamburger mit seinem riskanten Fahrmanöver verhindern wollen, dass auffliegt, dass er keinen Führerschein hatte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, er habe unter dem Einfluss von Marihuana und ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, mit einem Carsharingfahrzeug die Max-Brauer-Allee befahren. Obwohl Polizeibeamte, die wegen eines Unfalls den Verkehr regelten, ihn zum Anhalten aufgefordert hatten, habe Mehmet B. die deutlichen Zeichen eines Polizisten ignoriert und sei auf den Beamten zugefahren. Danach habe der junge Autofahrer eine Unfallflucht begangen.

Angeklagter: „Ich wünschte, das wäre nicht passiert“

Der Verteidiger von Mehmet B. hatte für seinen Mandanten erklärt, er sehe „den versuchten Mord auf keinen Fall“. Der 19-jährige Autofahrer habe den Polizisten nicht beziehungsweise zu spät wahrgenommen und deshalb nicht mehr bremsen können. Die anderen Vorwürfe hatte der Angeklagte eingeräumt. Er habe gefürchtet, dass auffliegen würde, dass er keinen Führerschein hatte. Eine Woche nach dem Vorfall hätte er seine Fahrprüfung haben sollen, und den Termin habe er nicht gefährden wollen. Auch dass er einige Stunden vor der Kollision Cannabis konsumiert hatte, hatte Mehmet B. zugegeben.

Das Carsharingauto hatte er sich durch einen Trick besorgt. In dem Messengerdienst Telegram gibt es nach Auskunft von Mehmet B. Leute, die ihre Accounts bei Mietwagenanbietern zur Verfügung stellen. Bezahlt habe er diese Kontaktperson per PayPal. Alle drei Kumpel, die mit im Auto saßen, hätten gewusst, dass er keinen Führerschein hat, gab der 19-Jährige weiter an. Bei dem Polizisten hatte er sich nach dessen Zeugenaussage im Prozess für seine Tat entschuldigt und beteuert: „Ich wünschte, das wäre nicht passiert.“

Polizist: „Er hatte den gleichgültigen Blick, dass da ein Mensch steht“

Polizist Aryan J. hatte als Zeuge ausgesagt, dass er damals gehört habe, wie der Motor des Audi aufheulte, und dass er dann wahrnahm, dass der Wagen immer weiter auf ihn zufuhr. Der Fahrer und er hätten sich auf den letzten Metern, bevor er von dem Fahrzeug erfasst wurde, gegenseitig in die Augen gesehen, erzählte der 28-Jährige. Als das Auto immer näher kam, er und die Fahrer sich gegenseitig in die Augen geschaut hätten und er den „gleichgültigen Blick“ des Mannes am Steuer wahrgenommen habe, habe er geahnt, dass der Fahrer nicht anhalten werde. „Ich habe mich wie ein Hindernis für ihn gefühlt. Er hatte einen gleichgültigen Blick, dass da ein Mensch steht.“

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So erinnert der Zeuge die Augenblicke, als er vom Wagen erfasst wurde: Er sprang im letzten Moment hoch, schützte mit der Hand seinen Kopf, landete auf der Motorhaube, wurde „wie ein Sack runtergeschleudert“ und fiel dann auf die Straße. „Aufstehen konnte ich nicht.“ Passanten hätten ihm aufgeholfen und ihn von der Fahrbahn weggeschafft. Er sei sich „zu 100 Prozent sicher“, dass der Autofahrer ihn gesehen habe, „weil wir uns in die Augen geguckt haben“, betont der Polizist.

Der junge Beamte zog sich bei der Kollision eine Armfraktur, Prellungen und Hämatome zu. Die körperlichen Verletzungen sind seit Längerem verheilt. Doch die psychischen Folgen belasten den Polizisten bis heute. Er ist weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. „Ich habe mich fast nicht mehr auf die Straße getraut“, hatte er erzählt. Bis heute könne er seinen Beruf noch nicht wieder ausüben, sei auch dem Alltag noch nicht wieder gewachsen. „Ich hatte teilweise meinen Lebensmut verloren.“