Hamburg. Eine 37-Jährige muss sich nach Kollision mit Seniorin wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Wie die Verteidigung argumentiert.

Ständig online. Immer mit der virtuellen Welt in Verbindung sein: Für manche Menschen scheint der Blick aufs Handy wichtiger als das direkte Gespräch mit dem Gegenüber oder das, was in der unmittelbaren Umgebung geschieht. Auch auf der Straße lassen sich manche Verkehrsteilnehmer durch ihre Mobiltelefone ablenken. Das kann schwere Folgen haben, unter Umständen sogar tödliche.

Hat eine Kollision im Straßenverkehr vom August 2021, in deren Folge eine 88-Jährige starb, damit zu tun, dass eine Fahrradfahrerin unterwegs ihr Handy nutzte? Diese Frage stellte sich am Dienstag in einem Strafprozess vor dem Amtsgericht, wo sich eine 37-Jährige verantworten musste. Die Staatsanwaltschaft legt Maja M. (Name geändert) fahrlässige Tötung zur Last.

Prozess Hamburg: Folgenschwerer Fahrradunfall an der Barmbeker Straße

Laut Anklage stieß die Hamburgerin am Morgen des 24. August 2021 auf der Kreuzung Barmbeker Straße/Semperstraße „ungebremst“ mit einer Fußgängerin zusammen. Daraufhin sei die 88-Jährige zu Boden gestürzt und zog sich schwerste Kopfverletzungen zu, unter anderem eine Schädelfraktur. An den Folgen dieser Verletzungen starb die Seniorin Lotte G. (Name geändert) einen Tag später im Krankenhaus.

Konkret wird der 37-Jährigen der Vorwurf gemacht, sie habe mit ihrem Fahrrad die Semperstraße überquert, obwohl die Ampel bereits auf Gelblicht umgeschaltet hatte. Und: Sie soll dabei ihr mit Kopfhörern verbundenes Handy in der Hand gehalten und auf das Display ihres Mobiltelefons geschaut haben. Deshalb habe sie nicht auf querende Verkehrsteilnehmer geachtet.

Die Angeklagte stellt die Kollision indes als tragisches Geschehen dar, das ihr „schrecklich leidtut“, lässt Maja M. über ihren Anwalt erklären. „Plötzlich stand die Frau vor mir. Ich konnte nicht mehr ausweichen!“

Sie sei damals wie an jedem Wochentag auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle gewesen. „Es war meine Hausstrecke. Ich konnte sie sozusagen im Schlaf fahren.“

Angeklagte erklärt, dass die Seniorin plötzlich auf dem Radweg stand

Sie habe Kopfhörer getragen, das damit verbundene Handy an einer Ringhalterung fixiert. Nach einem Telefonat von etwa zwanzig Sekunden, das bereits beendet gewesen sei, habe sie noch einmal kurz auf ihr Mobiltelefon geschaut, um die Beleuchtung des Displays wegzuschalten. Dann habe sie das Handy weggesteckt. Beim Anfahren an besagter Kreuzung sei die Ampel noch grün gewesen, habe dann auf Gelb gewechselt. Dass die Seniorin plötzlich auf dem Radweg stand, sei für sie vollkommen überraschend gewesen.

„Sie stürzte, kam dann in eine Klinik.“ Sie selber habe noch zwei Stunden an der Unfallstelle ausgeharrt. Sie habe „gehofft“, so die Aussage der Angeklagten, dass die Verletzungen der Seniorin „behandelbar sind und glimpflich ausgehen. Ich war entsetzt, als ich erfuhr, dass sie dann verstorben ist“.

Die 37-Jährige betont, dass die „Benutzung des Handys eindeutig ein Fehler war“, schließlich müsse die Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr gerichtet sein. Aber ob dies nun ursächlich für die Kollision gewesen sei, müsse das Gericht entscheiden. Am liebsten, lässt die Angeklagte die Verfahrensbeteiligten wissen, würde sie das Unglück ungeschehen machen.

Prozess Hamburg: Angeklagte zog nach Unfall in ein anderes Bundesland

Vor allem tue es ihr leid für den Ehemann der verstorbenen Seniorin. Aber auch für sie selber sei nach diesem Unfall der „Leidensdruck dramatisch“. Sie habe gemerkt, dass sie aus Hamburg wegmüsse, weil sie die Erinnerungen nicht mehr ertragen könne. Sie sei auf dem Jakobsweg gepilgert, habe eine Therapie durchgemacht und sei schließlich in ein anderes Bundesland gezogen und habe eine neue Arbeitsstelle angetreten. „Durch den Wegzug konnte ich wieder aufatmen.“

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Doch was genau ist nun in den folgenschweren Momenten an der Kreuzung geschehen, dass eine Rentnerin wenig stäter umkam? Eine 43-Jährige, die Zeugin des Unfalls war, berichtet, dass sie vorn an der Ampel eine ältere Frau gesehen habe – und eine Radfahrerin, die auf ihr Handy guckte. Wenig später sei diese dann in die „Fußgängerin reingefahren.“

Verteidiger wirft Frage auf: Ging die 88-Jährige über eine rote Ampel?

Die eigentliche Kollision habe sie aber nicht beobachtet, lediglich einen heftigen Knall gehört und dann mitbekommen, wie die Seniorin gestürzt sei. Ob das Handy der Radfahrerin kurz vor der Kollision bereits wieder verstaut war und wo genau die 88-Jährige stand – beziehungsweise ob sie bereits auf den Fahrradweg war –, kann die Zeugin nicht mit Sicherheit sagen.

Diese Möglichkeit, dass die ältere Dame bereits bei Rot begonnen haben kann, die Straße beziehungsweise den Fahrradweg zu überqueren, bringt der Verteidiger ins Spiel. Durchaus vorstellbar, dass Lotte G. sich verkehrswidrig verhalten habe.

Weil dies auch durch die Beobachtungen von Zeugen nicht aufzuklären ist, wird das Verfahren schließlich mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten eingestellt. Der Vorwurf an Maja M., wegen des Handys nicht aufgepasst zu haben, lasse sich ebenfalls nicht nachweisen, ist der Hintergrund dieser Entscheidung. Die 37-Jährige muss eine Geldbuße von insgesamt 2400 Euro zahlen.