Hamburg. SPD-Versammlung wählt Kanzleramtsminister auf Listenplatz eins. Wie die Abstimmung für Bundestags-Vizepräsidentin Aydan Özoguz ausgeht.

Das politische Geschäft kann bisweilen hart und unerbittlich sein. Die langjährige Hamburger Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz durchlebt schwere Wochen, weil sie wegen eines israelfeindlichen Posts Mitte Oktober stark in die Kritik geraten war – auch in ihrer eigenen Partei. Am Montagabend hat sich der SPD-Landesvorstand einstimmig bei wenigen Enthaltungen dafür ausgesprochen, dass Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz, auf Listenplatz eins der Landesliste für die Bundestagswahl 2025 kandidiert.

Noch 2021 war die 57 Jahre alte Bundestags-Vizepräsidentin Özoguz, die nun auf Platz zwei antritt, Hamburger Spitzenkandidatin. Am Dienstagabend wählte die Landesvertretendenversammlung Schmidt mit 83,5 Prozent der Stimmen auf den ersten Listenplatz. Er führt die Hamburger Sozialdemokraten somit in die Bundestagswahl voraussichtlich im Februar 2025.

Heftige Auseinandersetzung bei der SPD über Namenreihenfolge

Hinter den Kulissen tobte in den vergangenen Tagen und Wochen eine heftige Auseinandersetzung über die Reihenfolge der Namen auf der Liste, der unter bestimmten Bedingungen wegen des neuen Wahlrechts und der schwachen Umfragewerte der SPD eine größere Bedeutung zukommt als in früheren Jahren. Der Umgang mit Aydan Özoguz war dabei nicht das einzige Problem.

89. Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin
Die Bundestags-Vizepräsidentin und Wandsbeker Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz ist auch innerparteilich in die Kritik geraten. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Jean MW/Geisler-Fotopress

Die überraschende Ankündigung von Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD), sich um ein Hamburger Bundestagsmandat bewerben zu wollen, hat das Machtgefüge in der Partei durcheinandergewirbelt. Scholz-Intimus Schmidt tritt als Direktkandidat für den Wahlkreis Eimsbüttel die Nachfolge von Niels Annen an, parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der auf eine erneute Bewerbung verzichtet hatte.

Kanzleramtsminister Schmidt hat Arbeits- und Lebensmittelpunkt seit Jahren in Berlin

„Wir werden Wolfgang Schmidt auf der Liste absichern. Wir brauchen ihn in Berlin“, hatte der SPD-Landesvorsitzende Nils Weiland dem Abendblatt vor einer Woche gesagt, ohne eine genaue Platzierung zu nennen. Längst nicht allen SPD-Kreisverbänden und -Mitgliedern gefällt, dass Schmidt, dessen Arbeits- und Lebensmittelpunkt seit Jahren in Berlin ist, gewissermaßen per Express weit vorn auf die SPD-Landesliste gesetzt werden soll. Unbestritten ist, dass der 54 Jahre alte Jurist, der in Hamburg geboren wurde, aufwuchs und studierte, ein exzellenter Netzwerker und Kenner des politischen Betriebs in Berlin ist.

107. Sitzung des Bundeskabinetts in Berlin
Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) kandidiert als Direktkandidat im Wahlkreis Eimsbüttel erstmals für den Bundestag. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Auf seiner mit Spannung erwarteten Sitzung hatte sich der SPD-Landesvorstand am Montagabend, wie vom Abendblatt vorab berichtet, auf Schmidt als Spitzenkandidaten verständigt. Es soll der ausdrückliche Wunsch des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher (SPD) sowie der beiden Co-Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland gewesen sein, dass Schmidt und nicht Özoguz die Liste anführt.

Keine Kampfkandidatur zwischen zwei Frauen um den zweiten Listenplatz

Die SPD-Satzung sieht für die Kandidaten-Reihenfolge bei Bundestagswahlen eine strenge Quotierung von Männern und Frauen vor, sodass nach Schmidt auf Platz zwei eine Frau folgen muss. Nach dem Willen der SPD-Parteispitze soll das Aydan Özoguz sein. So kommt es denn auch: Auf der Landesvertretendenversammlung am Dienstagabend wurde sie mit einem Ergebnis von 79,8 Prozent auf den zweiten Listenplatz gewählt.

Zuvor war eine Kampfkandidatur um Platz zwei durch die SPD-Abgeordnete und erneute Direktkandidatin des Wahlkreises Nord/Alstertal, Dorothee Martin, für möglich gehalten worden. Das hätte eine gewisse Pikanterie gehabt, weil Martins Wahlkreis mit den Alstertaler Stadtteilen zum Bezirk Wandsbek gehört, der in seiner Ausdehnung identisch mit dem SPD-Kreisverband Wandsbek ist. Dorothee Martin hatte gegenüber dem Abendblatt bereits angekündigt, sie wolle „mindestens auf Platz drei“ der Liste kandidieren – jene Position, die sie bereits 2021 eingenommen hatte.

Doch nun begnügt sich Dorothee Martin mit dem undankbaren Listenplatz 4; sie wird mit 83,7 Prozent der Stimmen gewählt. Eine Kampfkandidatur an derart prominenter Stelle wäre für die jüngere Geschichte der Hamburger SPD auch eher ungewöhnlich gewesen. Allerdings waren die Versuche, Özoguz davon zu überzeugen, von sich aus auf eine Platzierung auf der Landesliste zu verzichten, erfolglos.

Ein Verzicht auf einen vorderen Listenplatz hätte Özoguz‘ persönliches Risiko allerdings auch erhöht. Laut aktuellen Erhebungen etwa des Analyseportals „wahlkreisprognose.de“ könnte die Sozialdemokratin den Wahlkreis Wandsbek wie bereits 2021 zwar knapp gewinnen, sicher ist das allerdings nicht. Vor Kurzem lag noch die CDU-Konkurrentin und Bundestagsabgeordnete Franziska Hoppermann leicht vorn.

Bundestagswahl 2025: Neues Bundestagswahlrecht erhöht Druck auf Hamburger SPD

Ohne Vorbild wäre ein Verzicht Özoguz‘ auf einen Listenplatz nicht gewesen. Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs trat stets nur in seinem Wahlkreis Hamburg-Mitte an, den er auch immer direkt gewann. Auch Kahrs‘ Nachfolger Falko Droßmann hatte 2021 auf einen Listenplatz verzichtet und den Wahlkreis direkt gewonnen.

Der frühere Mitte-Bezirksamtsleiter hatte allerdings im Vorfeld gegenüber dem Abendblatt angekündigt, diesmal auf der Liste kandidieren zu wollen. Metin Hakverdi, Direktkandidat im Wahlkreis Harburg/Bergedorf und nach Özoguz der „amtsälteste“ Hamburger Bundestagsabgeordnete, wird wie vom SPD-Landesvorstand vorgeschlagen auf Platz drei gewählt. Er erhält 94,3 Prozent der Stimmen – das beste Ergebnis der vorderen Plätze.

Auf Platz fünf soll laut SPD-Landesvorstand Falko Droßmann aus Hamburg-Mitte antreten.

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Das neue Bundestagswahlrecht hat den Druck auf die Hamburger SPD erhöht. Während bis 2021 jeder gewonnene Wahlkreis automatisch zu einem Bundestagsmandat führte, entscheidet nun das Zweitstimmenergebnis über die Zahl der Abgeordneten. Die Mandate werden lediglich zunächst auf die Wahlkreissieger der Partei verteilt, ehe die Liste zum Zug kommt.

Und: Wenn der SPD nach Zweitstimmen drei Mandate zustehen, sie aber vier Wahlkreise direkt gewonnen hat, ziehen nur die drei Wahlkreisbewerber mit den höchsten Prozentanteilen in den Bundestag ein. Der oder die Vierte ginge leer aus. In dem sozialdemokratisch geprägten Stadtstaat war es der SPD immer wieder gelungen, mehr Direktmandate zu gewinnen, als ihr nach Zweitstimmen zustanden.

Vor knapp vier Jahren hatte die SPD vier der sechs Direktmandate in Hamburg gewonnen: außer Özoguz waren Droßmann in Mitte, Hakverdi in Harburg/Bergedorf sowie Dorothee Martin in Nord/Alstertal erfolgreich. In Altona und Eimsbüttel setzten sich die Grünen mit Linda Heitmann und Till Steffen durch. Das Portal „wahlkreisprognose.de“ sieht Droßmann und Hakverdi auch derzeit in ihren Wahlkreisen wieder leicht vorn.