Hamburg. Kanzleramtsminister will von Eimsbüttel aus neu durchstarten. Sozialdemokrat hofft auf Direktmandat gegen Till Steffen. Sicher ist das nicht.
- Neue Karrierepläne: Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) möchte in den Bundestag – von Hamburg aus.
- Lange war es seine Aufgabe, Olaf Scholz gut aussehen zu lassen. Jetzt wirbt er in Hamburg-Eimsbüttel für sich selbst.
- Harte Konkurrenz - seine Wahl in den Bundestag ist keineswegs sicher.
- FC. St. Pauli, G-20-Gipfel: Was Wolfgang Schmidt mit Hamburg verbindet.
Es ist ein politisches Schwergewicht, das in Eimsbüttel für die Hamburger SPD zur Bundestagswahl antritt: Wolfgang Schmidt, derzeit Kanzleramtsminister und engster Vertrauter von Bundeskanzler Olaf Scholz, bewirbt sich zum ersten Mal um ein Amt – in Hamburg. Am Freitagabend wurde Schmidt zum Direktkandidaten gewählt. Er erhielt dabei 94,3 Prozent der Stimmen. Wenn es für ihn gut läuft, könnte er Hamburg nach den Neuwahlen im Bundestag vertreten. Sicher ist das allerdings ganz und gar nicht.
Der 54-Jährige gehört seit Langem zu Scholz’ innerstem Kreis; er ist Denker und Lenker, Berater und Kritiker zugleich. Mit Scholz stieg er auf, immer weiter, zuletzt bis ins Zentrum der Macht in Berlin, ins Kanzleramt. Jetzt könnte der Sozialdemokrat allerdings mit Scholz tief stürzen. Das Bemühen um ein Bundestagsmandat – auch ein Versuch, sich zu emanzipieren?
Schmidt sprach nach seiner Nominierung von einer großen Ehre. Er wolle seine Kraft und Erfahrung dafür einsetzen, dass Eimsbüttel eine einflussreiche Stimme in Berlin habe, in sehr bewegten Zeiten. „Viele Bürgerinnen und Bürger sind sich nicht sicher, ob es gut für sie ausgeht. Ich will mithelfen, dass es Sicherheit im aktuellen Wandel gibt“, sagte Schmidt. „Und Respekt für jede und jeden. Statt lauten Geschreis gegeneinander geht es mir um ein gutes Miteinander und um Zusammenhalt.“ Aus seiner täglichen Arbeit im Kanzleramt wisse er, wie viel noch zu tun bleibe.
Kandidiert in Hamburg: Wolfgang Schmidt ist Vertrauter und Gegenentwurf von Olaf Scholz
Lange Zeit hielt sich der umtriebige Schmidt eher im Hintergrund, war der Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Das änderte sich, als er 2021 Chef des Kanzleramts wurde, der Machtzentrale der Bundesregierung, und von hier aus die Politik von Olaf Scholz koordinierte. Was Letzterem an Talent für Kommunikation, Verbindlichkeit und Nahbarkeit abgeht, hat Wolfgang Schmidt im Übermaß. Der gebürtige Hamburger Schmidt ist ein Empathie- und Sympathieträger, der als Spindoktor die Wahrnehmung der Scholz’schen Politik zu beeinflussen sucht. Er spinnt Fäden und zieht Strippen.
Sein wichtigster Job war es denn auch lange, den zwölf Jahre älteren Freund und Chef Scholz in ein freundliches, ja glänzendes Licht zu rücken. Wenn das schon harte Arbeit ist, dann kam im Kanzleramt noch die Aufgabe hinzu, die seit Langem brüchige Ampel-Koalition zusammenzuhalten und die Politik der Bundesregierung zu koordinieren. Bei allen wichtigen Runden war Schmidt stets dabei. Mit seiner kommunikativen und freundlich-verbindlichen Art des Auftretens gilt der Kanzleramtschef vielen als Gegenentwurf zum bisweilen etwas spröde auftretenden Scholz. Eine Art Arbeitsteilung.
Bundestagswahl: Schmidt glaubte an Erfolg von Scholz – und behielt Recht
Er glaubte an den Erfolg von Scholz, als der schon fast abgeschrieben war. Selbst als die SPD vor der letzten Bundestagswahl bei 15 Prozent dümpelte, erzählte Schmidt Journalistinnen und Journalisten auch ungefragt, dass Olaf Scholz es ins Kanzleramt schaffen werde; nach dem Abschied von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würden die Karten neu gemischt. Schmidt behielt Recht. Auch jetzt glaubt er an einen Erfolg seines Chefs. Der vertraut ihm blind.
Dass der engste Vertraute nun selbst für den Bundestag antreten will, sehen manche als Zeichen dafür, dass auch der Berufsoptimist Schmidt nicht mehr daran glaubt, dass Scholz nach der Bundestagswahl 2025 Kanzler bleiben könnte. In Eimsbüttel möchte er den langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Niels Annen beerben, der seinen Abschied aus der Politik angekündigt hat, um Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN) zu werden. „Wolfgang Schmidt ist ein kluger, erfahrener und versierter Politiker und engagierter Sozialdemokrat“, sagte Eimsbüttels SPD-Kreisvorsitzender Milan Pein.
Bundestagswahl in Hamburg: In Eimsbüttel tritt Wolfgang Schmidt gegen Till Steffen an
Schmidts Hauptgegner im engen Wettbewerb um das Eimsbütteler Direktmandat wird der relativ bekannte Grünen-Bundestagsabgeordnete und Ex-Justizsenator Till Steffen, der den Wahlkreis 2021 gewann. Doch auch ein Erfolg im Wahlkreis allein ist keine Garantie für ein Mandat mehr. Nach dem neuen, von der Ampel-Koalition durchgesetzten Bundestagswahlrecht ist nicht mehr automatisch gewährleistet, dass der Wahlkreissieger tatsächlich in das Berliner Parlament einzieht. Entscheidend ist ausschließlich das Zweitstimmenergebnis. Erreicht eine Partei mehr Direktmandate als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen – was bei der Hamburger SPD häufig der Fall war –, gehen die Wahlkreissieger mit den schwächsten Ergebnissen leer aus.
Ohne einen Anruf von Olaf Scholz wäre der Jurist Schmidt heute wohl vermutlich Richter in seiner Heimatstadt. Doch Scholz, 2002 zum Generalsekretär der Bundes-SPD gewählt, holte ihn nach Berlin und machte ihn zu seinem persönlichen Referenten. Als Scholz nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 seine Karriere als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion neu aufbaute, übernahm Schmidt sein Büro. Als Bundesarbeitsminister übertrug Scholz Schmidt 2007 das Ministerbüro und den Leitungs- und Planungsstab.
Hamburg: Als „Außenminister“ holte Schmidt hochkarätige Gäste zum Matthiae-Mahl
Fast folgerichtig war sein Wechsel 2011 in den Hamburger Senat, als Olaf Scholz bei der Bürgerschaftswahl triumphierte und die absolute Mehrheit der Mandate holte. Schmidt, der sich längst in Berlin heimisch fühlte, durfte in der Hauptstadt bleiben: Er wurde Bevollmächtigter der Stadt Hamburg beim Bund, bei der EU und für Auswärtige Angelegenheiten, wie der Titel etwas sperrig heißt – kurz: „Außenminister“ Hamburgs.
Er holte in dieser Funktion internationale Hochkaräter zum Matthiae-Mahl, einem der ältesten Festmahle der Welt, ins Hamburger Rathaus und bastelte eine Gästeliste für die Eröffnung der Elbphilharmonie, die niemand enttäuscht zurückließ. Dieser Außenministerjob war der Traumjob für den eloquenten wie kontaktfreudigen Schmidt. Er verwandelte die Landesvertretung in eine schlagkräftige Einheit, verfolgte die Interessen der Stadt auf nationaler und internationaler Bühne, förderte die Karriere seines Bürgermeisters und machte das alljährliche Landesfest zu einem Event im umfangreichen Partykalender der Hauptstadt. Der Hanseat wollte seine Heimatstadt mit Berlin versöhnen.
Glühender Fan des FC St. Pauli: Seit 30 Jahren eine Dauerkarte
Als Scholz dann in der letzten Großen Koalition Merkels Finanzminister wurde, begleitete Schmidt ihn wie selbstverständlich, wurde beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Wichtiger noch: Unter Vizekanzler Scholz koordinierte er die sozialdemokratischen Ministerien in der Bundesregierung – eine gute Übung für die noch größere Aufgabe im Kanzleramt.
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Scholz ist rational, Schmidt reagiert oft emotional. Aber der glühende St.-Pauli-Fan, der seit 30 Jahren eine Dauerkarte hat und trotz seiner Arbeitsfülle recht regelmäßig im Stadion ist, ist durch die harte Schule der Gegengerade im Millerntor-Stadion gegangen: Er ist keiner, der sich zu lange mit Niederlagen und Enttäuschungen aufhält. Auch hier verbinden gemeinsame Erlebnisse Scholz und Schmidt. Den G20-Gipfel in Hamburg 2017, der für den Bürgermeister fast in einem Fiasko endete, hatte Schmidt federführend vorbereitet. Engagiert hatte er im Vorfeld mit den Gegnern diskutiert, die Kritik aufgegriffen und um Verständnis geworben für den Gipfel.
G20 in Hamburg: Als auch Schmidt Olaf Scholz nicht mehr erreichte
Schmidt selbst ist ein Kind der sozialen Bewegung der 1980er-Jahre. Frühzeitig engagierte er sich für die Interessen der damals sogenannten Dritten Welt, für Nicaragua; mit 19 Jahren trat er den Jusos bei. Die Welt will er bis heute verändern – nur nicht mehr auf der Straße, sondern auf der Bühne der großen Politik. Als Gewalttäter beim G20-Gipfel wüteten, zündelten und zerstörten, wuchs die Kritik an Scholz, der im Vorfeld alle Sorgen demonstrativ weggewischt hatte – es dauerte etwas, bis der Bürgermeister sich entschuldigte. In diesen Tagen schien selbst Schmidt seinen Chef nicht mehr zu erreichen. Es war einer der wenigen Momente, in denen auch der passionierte Olaf-Erklärer an seine Grenzen stieß.
Schmidt hat seinen Lebensmittelpunkt seit Langem in Berlin, hier lebt der Vater zweier Kinder mit seiner Freundin. Seine Wurzeln liegen aber in Hamburg, wo er 1970 geboren wurde, in Oldenfelde und Rahlstedt aufwuchs und 1990 Abitur machte. In der Hansestadt studierte er Jura, absolvierte sein Referendariat. Schmidt sagt: „Meine Heimat ist Hamburg.“
Damit hat die SPD Hamburg alle Wahlkreiskandidaten nominiert. Neben Schmidt kandidieren die vier amtierenden Bundestagsabgeordneten Falko Droßmann (Mitte), Dorothee Martin (Hamburg-Nord), Aydan Özoğuz (Wandsbek), Metin Hakverdi (Harburg-Bergedorf-Wilhelmsburg), sowie Sören Platten (Altona). Die SPD-Landesliste zur Bundestagswahl wird am 10. Dezember aufgestellt.