Hamburg. Mediziner befreite Patienten von Maskenpflicht, ohne sie untersucht zu haben. Schweigeminute der Fans, doch das Gericht findet deutliche Worte.
- Arzt stand vor Gericht, weil er in Zeiten von Corona falsche Atteste ausgestellt haben soll.
- Zu jedem Prozesstag in Hamburg begleitet ihn eine große Anzahl von Anhängern.
- Gericht verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe.
Bis zum Schluss sind seine Anhänger da. Eine eingeschworene Gemeinschaft offenbar, die Dr. Walter W. unbeirrt folgt. „Freiheit“ für den Angeklagten fordert jemand im Zuschauerbereich des Gerichtssaals, und die anderen applaudieren enthusiastisch. Es soll also Freiheit geben für einen Mediziner, der in den Hoch-Zeiten der Corona-Pandemie reihenweise Atteste ausstellte, die die Patienten von der Maskenpflicht befreiten. Doch etliche dieser Menschen, denen der 80-jährige Arzt unter anderem Kohlendioxid-Vergiftung, Panikattacken oder „Asthma bronchiale“ bescheinigte, hatte er nicht hinreichend untersucht – manche von ihnen überhaupt nicht gesehen.
Und damit scheiden sich an dem Mediziner die Geister. Etliche, die immer wieder als Zuschauer zum Prozess vor dem Landgericht gegen den Arzt gekommen sind, sehen in ihm so etwas wie einen Heilsbringer. Für viele andere ist er ein Corona-Leugner und Querdenker. Nach Überzeugung des Gerichts hat sich der 80-Jährige jedenfalls strafbar gemacht. Die Kammer verurteilt Dr. Walter W. wegen Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Zudem wird dem Arzt für die Dauer von drei Jahren untersagt, weitere Atteste auszustellen. Damit folgt das Gericht im Wesentlichen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung, die für ihren Mandanten Freispruch beantragt hatte, hat bereits gegen das Urteil Revision eingelegt.
Prozess Hamburg: Drei Jahre lang darf Dr. Walter W. laut Urteil keine Atteste ausstellen
Angeklagt war der 80-jährige Mediziner wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse in 57 Fällen. „Die Beweisaufnahme hat diese Vorwürfe vollumfänglich bestätigt“, erklärt die Vorsitzende Richterin. Dr. Walter W. sehe sich zwar selber als „Held“. Tatsächlich aber habe er gegen geltendes Recht verstoßen, als er in den Jahren 2020 und 2021 zahlreichen Patienten ohne Untersuchung und ohne Diagnose Atteste ausstellte.
Soweit der 80-Jährige angegeben hatte, der Meinung gewesen zu sein, eine Untersuchung sei im Einzelfall nicht notwendig gewesen, sei diese Einschätzung falsch, macht die Vorsitzende Richterin deutlich. „Das ist medizinisches Basiswissen.“ Doch auch am Ende des mehr als 47 Hauptverhandlungstage dauernden Prozesses, nach Anhören diverser Zeugen und von Sachverständigen, hatte der Angeklagte in seinem letzten Wort bekundet: Er würde wieder so handeln.
„Sie werden nicht verurteilt, weil Sie anderer Meinung waren oder weil Sie demonstrieren gegangen sind“, macht die Vorsitzende Richterin mit Blick auf den Angeklagten klar. „Unsere Demokratie kann das aushalten.“ Allerdings habe Dr. Walter W. seine eigene Überzeugung über das Gesetz gestellt und seine Stellung als Arzt ausgenutzt, um Gesetze zu umgehen. „Wer gegen geltendes Recht verstößt, der wird bestraft“, erläutert die Richterin.
Selbst Androhung von Zwangsgeld hielt Arzt nicht von falschen Attesten ab
Dass die Freiheitsstrafe von 22 Monaten, die das Gericht für angemessen hält, noch zur Bewährung ausgesetzt wird, sei „kein Selbstgänger“ gewesen, betont die Vorsitzende Richterin. Zu bedenken sei, dass es eine Vielzahl von Fällen gegeben habe und der Angeklagte „bis zum Schluss keine Einsicht und keine Reue“ gezeigt habe. Zugunsten des Angeklagten sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Corona-Pandemie seinerzeit auch für ihn eine neue Situation gewesen sei, und Dr. Walter W. meinte, zum Wohl seiner Patienten gehandelt zu haben.
Erst eine „Schweigeminute“ für den Angeklagten, dann laute Zwischenrufe
Mit seiner Handlungsweise hat der Arzt offenbar bei zahlreichen Menschen einen Nerv getroffen. Bevor das Gericht an diesem letzten Prozesstag den Verhandlungssaal betrat, hat bereits jemand aus den Zuschauerreihen zu einer „Schweigeminute“ für Dr. Walter W. aufgerufen, der sich die rund 60 Zuschauer sofort angeschlossen haben. Doch so leise es vor der Urteilsverkündung im Saal ist, so unruhig agieren mehrere Menschen im hinteren Bereich des Saals, während die Richterin das Urteil begründet. Immer wieder ertönen störende Zwischenrufe aus dem Publikum.
An diese Menschen sowie einige weitere der rund 60 Zuschauer, die schon aus Protest gegen die Verurteilung von Dr. Walter W. den Saal bereits verlassen haben, richtet die Vorsitzende Richterin ausdrücklich einige mahnende Worte: „An Gesetze müssen wir uns halten, auch wenn wir anderer Meinung sind.“
Unterstützer des Angeklagten fordern „Freiheit für Mund & Nase“
Ob dieser Appell angekommen ist? Das darf bezweifelt werden. Nach Ende des Prozesses stehen die Unterstützer vor dem Gerichtsgebäude und halten Transparente hoch, auf denen es etwa heißt: „Maske tragen? Es reicht!!“ Auf einem anderen Spruchband wird dem Angeklagten ein „Danke“ vermittelt, verziert mit Herzchen und einem Luftballon in Herzform. Und schon am frühen Morgen hat vor dem Haupteingang des Strafjustizgebäudes ein Wagen geparkt, darauf montiert ein Totenkreuz, das offenbar mit Corona-Masken verkleidet wurde. Und auf der Motorhaube des Autos steht geschrieben: „Freiheit für Mund & Nase“.
Bei früheren Gelegenheiten hat Dr. Walter W. ebenfalls bereits für großes öffentliches Interesse gesorgt. Es waren Veranstaltungen, beispielsweise wie jene im Hamburger Speckgürtel im Oktober 2020, als der Mediziner damals kundtat, Corona sei nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Erkältung. Zudem war von ihm mehrfach zu hören, er weigere sich, eine Maske zu tragen und stelle seinen Patienten Atteste aus, die sie von der Pflicht befreien, einen Mund-Nasen-Schutz zu nutzen.
Corona sei nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Erkältung, hatte Dr. W. behauptet
Außerdem hatte der Mitbegründer der Initiative „Ärzte für Aufklärung“, die mit Stimmungsmache gegen die Corona-Impfung bekannt geworden war, für Schlagzeilen unabhängig von der Corona-Pandemie gesorgt. Im Jahr 2000 soll er einer Rentnerin eine „Angsterkrankung“ bescheinigt haben, weil sie Furcht vor Menschen mit schwarzer Hautfarbe habe. Bei früheren Gelegenheiten hat Dr. Walter W. ebenfalls bereits für großes öffentliches Interesse gesorgt.
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Und jetzt? Zumindest unmittelbar nach Ende der Urteilsverkündung ist der Angeklagte zurückhaltend. Er werde auf Anraten seiner Verteidiger nichts sagen, teilt der 80-Jährige mit, als er von Journalisten um eine Stellungnahme gebeten wird. Das hatte vor sechs Monaten, beim Auftakt des Prozesses, noch anders geklungen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, hatte er in Mikrofone und Kameras gesagt. Er habe sich „an die Gesetze gehalten“. Dass er sich mit dieser Einschätzung geirrt hat, hat er jetzt sehr deutlich gehört – und ganz offiziell.