Hamburg. Hamburger Paar soll Geld kassiert, aber Waren nicht geliefert haben. Angeblich kamen immer Missgeschicke dazwischen – auch bei Champagner.

Im Angebot waren Energydrinks, Nutella und Champagner, aber auch Toilettenpapier und Gabelstapler. Der Mann schien einen geradezu unerschöpflichen Vorrat an begehrten oder auch alltäglichen Gütern zu haben – und das zu erstaunlich günstigen Preisen. Doch wer bei Sören A. (alle Namen geändert) Ware orderte und bezahlte, wartete meist vergeblich auf die Lieferungen. Manche Posten sind bis heute, also Jahre, nach denen die Zahlungen bei dem Anbieter eingingen, offenbar immer noch nicht beim Kunden angekommen.

War das also Betrug im großen Stil? Das ist jedenfalls der Vorwurf, der dem Mann aus Hamburg im Prozess vor dem Landgericht gemacht wird. Laut Anklage summiert sich der durch die Machenschaften des 58-Jährigen entstandene Gesamtschaden auf rund zwei Millionen Euro. Dabei soll Sören B. in 44 der 55 angeklagten Fälle gemeinsame Sache mit seiner Lebensgefährtin Sonja L. (52) gemacht haben. Beide stehen wegen gewerbsmäßigen Betruges vor Gericht.

Prozess Hamburg: Opfer sollen um rund zwei Millionen Euro betrogen worden sei

„Ich habe mich nicht bereichert.“ Aus Sicht von Sören A. war er ein zuverlässiger Geschäftspartner, der stets die Waren, die bei ihm bezahlt wurden, auch geliefert habe. Manches habe allerdings länger gedauert, und das, was die Kunden noch nicht erhalten haben, werde noch bei ihnen ankommen. „Ich möchte mich bei Kunden in aller Form entschuldigen“, sagt der Mann. Dass es so einen langen Verzug gebe, habe teilweise damit zu tun, dass Polizei und Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen begonnen hätten und er selber seit mittlerweile rund sechs Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Vom Knast aus, so die Botschaft, könne er eben keine Warenlieferungen veranlassen – so gern er das auch täte. „Die Waren lagen bereit“, sagt der 58-Jährige.

Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf andere Erkenntnisse. Den Ermittlungen zufolge bot das Paar, das seit mehreren Jahren gemeinsam einen Betrieb zum Verkauf von Sonder- und Restposten in Hamburg-Hummelsbüttel führte, zwischen März 2020 und Mai 2024 teilweise unter falschem Namen große Mengen Energydrinks, Spirituosen, Nuss-Nougat-Creme und andere Waren verschiedenen Unternehmen an und verkaufte sie gegen Vorkasse. Die verhältnismäßig günstigen Preise, zu denen sie die Artikel anboten, sollen sie etwa damit begründet haben, dass die Ware aus Insolvenzen stammte oder von einem Großhändler.

Nutella, Energydrinks, Champagner und Ouzo sollen die Angeklagten angeboten haben

So ging es in einem Fall beispielsweise um eine große Menge an Nutella-Gläsern, für die ein Kunde 30.000 Euro bezahlt habe, ohne jemals die Nuss-Nougat-Creme geliefert zu bekommen. Weitere Posten waren der Anklage zufolge unter anderem Soft- und Energydrinks im Wert von 258.000 Euro, Champagner und Ouzo, für die 68.000 Euro gezahlt wurden, Oldesloer Korn für 2000 Euro oder auch größere Mengen an Toilettenpapier für 135.000 Euro. Weitere Kunden sollen viel Geld für Traktoren, Aufsitzmäher oder Desinfektionsmittel gezahlt haben. Auch sie erhielten laut Anklage: nichts.

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Beispielsweise mit dem Versprechen, größere Mengen an Nutella-Gläsern zu liefern, soll der Angeklagte Sören A. Geschäftspartner geködert haben. Geliefert habe er aber nicht, heißt es in der Anklage im Prozess vor dem Landgericht. © picture alliance | picture alliance

Statt das Geld zur Beschaffung der Waren zu nutzen, sollen Sören A. und Sonja L. die Einnahmen, wie von vornherein beabsichtigt, für eigene Zwecke verwendet haben. Unter anderem hätten sie damit ihren aufwendigen Lebensstil finanziert, heißt es. Sören A. soll darüber hinaus mit unterschiedlichen Geschäftspartnern Darlehensverträge abgeschlossen und dabei wahrheitswidrig angegeben haben, mit dem Geld, das sie ihm zur Verfügung stellen, werde er Waren ankaufen.

Angeklagter sagt: „Ich habe mich nicht bereichert“

Davon, dass er und Sonja L. sich ein Luxusleben geleistet hätten, könne keine Rede sein, beteuert der Angeklagte Sören A. Er selber habe in 30 Jahren lediglich fünfmal Urlaub gemacht, und das jeweils nur wenige Tage über Ostern. Einen teuren Fuhrpark habe er sich nie geleistet, das Haus sei nicht so wertvoll, wie man denken möge. Und hochpreisige Uhren habe er nie getragen. „Damit hätte ich auch gar nicht zu den Kunden fahren können“, nennt der Angeklagte als Begründung. Und seine Mitangeklagte sei ein „durchweg sparsamer Mensch“.

Überhaupt nimmt Sören A. die 52-Jährige konsequent in Schutz. Seine Firma sei ein „Ein-Mann-Betrieb“ gewesen, und Sonja L. habe allenfalls gelegentlich das Telefon bedient. Allerdings scheint es mittlerweile persönlich nicht zum Besten zwischen Sören A. und der Mitangeklagten zu stehen. Sonja L habe ihn in den vergangenen sechs Wochen „nicht einmal kontaktiert, und das nach 22 Jahren Beziehung“, erzählt der Angeklagte. „Sie hat mich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.“

„Mir wurde der große Reibach prognostiziert“, erzählt ein Zeuge

Hört man die Aussage eines früheren Geschäftspartners von Sören A., scheint auch der Angeklagte alles andere als ein Vorbild gewesen zu sein, wenn es darum geht, Beziehungen zu pflegen. Viele Versprechungen, die aber alle von Sören A. nicht gehalten wurden: So hat ein 60-Jähriger seiner Darstellung zufolge den Angeklagten erlebt. Der 58-Jährige habe ihm beispielsweise in Bezug auf ein Geschäft mit einer größeren Charge Nutella-Gläsern „den großen Reibach prognostiziert. Ich zahlte das Geld, die Ware kam nicht“, sagt Kaufmann Markus L. als Zeuge.

Ähnlich sei es mit Energydrinks der Marke Red Bull gewesen. Immer wieder hätten sie Treffen vereinbart, die Sören A. dann „aus fadenscheinigen Gründen abgesagt hat. Das war seine Masche.“ Markus L. erzählt von weiteren Menschen, die seines Wissens von Sören A. betrogen worden seien. Es gebe mittlerweile eine WhatsApp-Gruppe, in der sich die mutmaßlichen Opfer austauschen.

Mutmaßliche Opfer tauschen sich in einer WhatsApp-Gruppe aus

Kennengelernt haben sich Angeklagte und der Zeuge laut dessen Schilderung bei einer privaten Einladung im Jahr 2013. Wenig später habe Sören A. ihm erzählt, er brauche dringend Geld, damit seine schwer erkrankte Mutter in der Schweiz operiert werden könne. „Es soll um Leben und Tod gegangen sein.“ Also habe er ihm 50.000 Euro geliehen. Auch danach habe er ihm mehrfach mit Geld ausgeholfen, jeweils leihweise. „Mit viel Bitte-Bitte hat er mich immer wieder dazu gekriegt, dass ich zahle.“

Ehrlichkeit, Fleiß und der Wille, anderen zu helfen: Das zeichnet nach Überzeugung von Markus L. einen Kaufmann aus. Vielleicht war es dieses honorige Verständnis des 60-Jährigen, das ihn dazu bewog, mit Sören A. nach und nach immer wieder Geschäfte zu tätigen und ein ums andere Mal den Versprechungen zu glauben. Später habe der Hamburger ihn immer wieder mit vermeintlich guten Geschäften gelockt, also beispielsweise einer „Nutella-Aktion“, an der er sich beteiligt habe. Die Tausende Gläser Nutella würden in den nächsten Tagen geliefert, hieß es offenbar. Später, bei einem anderen Geschäft, war angeblich große Anzahl an Dosen Red Bull unterwegs. Und der bestellte und bezahlte Champagner müsste morgen beim Kunden ankommen, hat Sören A. seinen Geschäftspartner laut dessen Aussage immer wieder vertröstet.

Prozess Hamburg: Der Angeklagte soll seine Geschäftspartner immer wieder vertröstet haben

Warum es dann angeblich schiefging: Der Lkw mit den Waren sei verunglückt, Treffen seien kurzfristig abgesagt worden. Der Angeklagte scheint kreativ gewesen zu sein bei den Entschuldigungen, die er seinem Geschäftspartner auftischte. Über die Jahre habe sich eine Summe von insgesamt rund 1,1 Millionen Euro angesammelt, die Sören A. ihm schulde, sagt der Zeuge. „Wo ist das Geld geblieben?“

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Was die ganze Sache mit ihm gemacht habe? Er empfinde Hilflosigkeit, bekennt Kaufmann Markus L. Er sei immer wieder nachts aufgewacht und habe sich mit „hässlichen Gedanken“ befasst. „Aber ich lebe noch und werde auch weiterleben.“ Die Lehren, die er aus seinen Erfahrungen gezogen hat: „Ich habe viel Geld verloren.“ Das hätte er auch sehr viel sinnvoller ausgeben können, bilanziert der 60-Jährige. Er hätte lieber einen großen Betrag für wohltätige Zwecke spenden sollen. „Zum Beispiel der Kinderkrebshilfe.“ Der Prozess wird fortgesetzt.