Hamburg. 80-Jähriger wegen Ausfertigens unrichtiger Gesundheitszeugnisse vor Gericht. Anhänger feiern ihn. Er sagt: „Habe mir nichts vorzuwerfen“.
Es ist, als reise ein gefeierter Prominenter an. Ein Mann, der offenbar eine große Fangemeinde hat. Als der Arzt Dr. Walter W. den Verhandlungssaal im Prozess vor dem Landgericht Hamburg betritt, erschallt von den Zuschauer-Plätzen Applaus. Die Reihen, in denen die Leute Platz finden, sind dicht gefüllt. Der Eindruck ist: Hier feiern sie ihren Helden – einen Mann, der offenbar in Zeiten von Corona jenen Menschen einen Ausweg eröffnete, die das Tragen von Masken ablehnten.
Die Begeisterung einer Reihe von Menschen für den Mediziner steht in krassem Gegensatz zur Wahrnehmung, die breite Teile der Öffentlichkeit von dem 80-Jährigen haben. Für viele gilt der Hamburger vielmehr als Corona-Leugner und Querdenker, weil er Schutzmaßnahmen gegen das Virus für überflüssig halte. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat sich der Arzt sogar strafbar gemacht. Deshalb begann am Montag, gut ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Corona-Pandemie, ein Prozess gegen den Mediziner.
Prozess Hamburg: Stellte Arzt falsche Corona-Masken-Atteste aus?
Die Anklage wirft dem 80-Jährigen vor, zwischen April 2020 und September 2021 in 47 Fällen falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben. Die Atteste befreiten laut Anklage die Patienten von der Maskenpflicht. Dabei soll Dr. Walter W. in mehreren Fällen die für die Bescheinigungen erforderlichen Untersuchungen und Befundermittlungen bei den Patienten nicht vorgenommen haben. So habe er Diagnosen wie „Symptome einer CO2-Vergiftung“, „Panikattacken“, „Asthma bronchiale“ oder Kurzatmigkeit notiert, ohne dass es dafür eine Begründung gegeben habe. Zudem habe er es bei einigen Patienten unterlassen, eine Diagnose durch einen Facharzt für Psychiatrie einzuholen, bevor er ihnen „Panikattacken“ bescheinigte.
In einem der Fälle geht es um einen Vorfall, der sich am 15. Dezember 2020 abgespielt haben soll. Dr. W. habe einer Frau ein Attest mit der Begründung Panikattacken, Atembeschwerden, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und CO2-Vergiftung ausgestellt, ohne die hierfür erforderliche Diagnostik vornehmen zu lassen, heißt es in der Anklage. Gut einen Monat später soll der damals 77-Jährige einer weiteren Frau ein Attest mit der Begründung CO2-Vergiftung ausgestellt haben, ohne die diagnostische Abklärung einer derartigen Vergiftung vorgenommen zu haben.
Angeklagter Arzt sagt, er freue sich über den Zuspruch der Leute im Gericht
Obwohl der Angeklagte die Patienten nicht untersucht habe, habe er in zehn Fällen in Kauf genommen, dass seine Atteste bei Veranstaltungen offiziell vorgelegt wurden, wirft die Staatsanwaltschaft dem Mediziner weiter vor. So hätten Patienten die Bescheinigung beispielsweise bei einer Versammlung am Glockengießerwall, in einem ICE und am Hauptbahnhof in Hamburg gegenüber Polizisten präsentiert.
Der Angeklagte werde sich zu den Vorwürfen nicht äußern, sagt einer der beiden Verteidiger von Dr. Walter W. nach Verlesung der Anklage. Doch als der erste Verhandlungstag bereits nach etwa einer Stunde beendet ist, gibt es doch ein Statement des 80-Jährigen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagt er gegenüber Journalisten. Er habe sich „an die Gesetze gehalten“. Und auf die Frage, wie er es empfinde, dass so viele Menschen zum Prozess gekommen sind, antwortet er, über den Zuspruch „freue ich mich“.
Corona-Prozess Hamburg: Der Andrang ist so groß, dass nicht alle Platz finden
Es ist in der Tat eine erstaunliche Resonanz. In Massen sind die Menschen an diesem Morgen zum Strafjustizgebäude gekommen. Vor der Eingangstür und an der Personenkontrolle bilden sich lange Schlangen von Frauen und Männern, die dem Prozess als Zuschauer beiwohnen wollen. Und obwohl ein Verhandlungssaal zur Verfügung steht, der so viele Zuschauerplätze bietet wie wahrscheinlich kein anderer im Strafjustizgebäude, sind die Reihen, in denen die Leute sitzen können, dicht gefüllt. Etliche weitere haben keinen Platz mehr ergattert.
Doch hinterher, als der erste Verhandlungstag zu Ende ist, umringen sie den 80-Jährigen. Manche drücken Dr. Walter W. die Hände, einen glückseligen Ausdruck im Gesicht. Und der Mediziner scheint das Bad in der Menge zu genießen. Auch vor dem Strafjustizgebäude stehen die Menschen in dichten Trauben.
Arzt soll früher gesagt haben, Corona sei nicht gefährlicher als eine Erkältung
Bei früheren Gelegenheiten hat Dr. Walter W. ebenfalls bereits für großes öffentliches Interesse gesorgt. Es waren Veranstaltungen, beispielsweise wie jene im Hamburger Speckgürtel im Oktober 2020, als der Mediziner damals kundtat, Corona sei nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Erkältung. Zudem war von ihm mehrfach zu hören, er weigere sich, eine Maske zu tragen und stelle seinen Patienten Atteste aus, die sie von der Pflicht befreien, einen Mund-Nasen-Schutz zu nutzen.
Außerdem hatte der Mitbegründer der Initiative „Ärzte für Aufklärung“, die mit Stimmungsmache gegen die Corona-Impfung bekannt geworden war, für Schlagzeilen unabhängig von der Corona-Pandemie gesorgt. Im Jahr 2000 soll er einer Rentnerin eine „Angsterkrankung“ bescheinigt haben, weil sie Furcht vor Menschen mit schwarzer Hautfarbe habe.
Prozess Hamburg: Verteidiger erheben Besetzungsrüge, 19 Prozesstage terminiert
Bis es zum Prozessauftakt an diesem Montag zur Verlesung der Anklage kam, hatte es Versuche der Verteidigung gegeben, diese zu verhindern. Die beiden Anwälte von Dr. Walter W. sind der Auffassung, dass die Große Strafkammer, die den Fall verhandelt, nicht ordnungsgemäß besetzt sei. Über ihre Rüge soll in Kürze das Oberlandesgericht entscheiden. Fraglich erscheint darüber hinaus, ob alle in der Anklage aufgelisteten Zeugen tatsächlich im Prozess gehört werden können. Es sind teilweise jene Menschen, für die Dr. Walter W. unrichtige Atteste ausgestellt haben soll. Einige von ihnen standen bereits selber wegen Verwendens unrichtiger Atteste vor Gericht. Die Frage ist, ob für sie ein Auskunftsverweigerungsrecht gilt.
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Für den Prozess gegen Dr. Walter W. sind vorerst 19 Verhandlungstage terminiert. Das Gesetz sieht für den Straftatbestand der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Falle einer Verurteilung einen Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vor. Ein Urteil könnte Ende September verkündet werden.