Hamburg. Beim Friseurbetrieb „Mitschnitt“ fand Arta Djelili „eine zweite Familie“. Warum ihr zuvor andere Ausbildungsstätten eine Absage erteilten.

  • Vor rund vier Jahren flüchtete Arta Djelili mit ihrer Familie von Nordmazedonien nach Hamburg.
  • Bei den meisten Friseurbetrieben, bei denen sie sich bewarb, wurde sie abgelehnt. Der Grund: Ihr Kopftuch.
  • Warum die Inhaberin von „Mitschnitt“ in der Schanze ihr dennoch eine Chance gab.

Das Telefon klingelt ununterbrochen, Föhngeräusche mischen sich unter Gespräche, Haare werden mit Scheren und Rasierern in die richtige Form gebracht: Bei Mitschnitt auf dem Schulterblatt herrscht am Dienstagmorgen geschäftiges Treiben. Friseur-Inhaberin Ayse Erduran spürt in ihrem Betrieb zwar auch den Mangel an Fachkräften, nicht aber den Mangel an Nachwuchskräften.

Das Vorurteil, dass junge Menschen sich nicht mehr für eine Ausbildung, erst recht nicht im Handwerk, entscheiden würden, trifft zumindest nicht auf Arta Djelili zu. Die 20-Jährige flüchtete vor rund vier Jahren mit ihrer Familie von Nordmazedonien nach Hamburg, absolvierte einen Schulabschluss und die Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten (AvM-dual), ein dualisiertes Bildungsangebot für neu zugewanderte Jugendliche in Hamburg. Djelili hat sich daraufhin initiativ beim Friseursalon im Schanzenviertel beworben, ein Ausbildungsplatz war nicht ausgeschrieben. Daneben gab es noch eine weitere Hürde: Beim ersten Kontakt erkundigte sie sich, ob ihr Kopftuch ein Problem sei.

Ausbildung in Hamburg mit Kopftuch: „Sie haben mir alle abgesagt“

„Wenn ich am Telefon gewesen wäre, hätte ich gesagt, dass das leider nicht geht“, sagt ihre heutige Ausbilderin Erduran rückblickend. Diese anfängliche Einstellung erlebte Djelili auch bei anderen Friseurbetrieben, bei denen sie sich beworben hatte. „Sie haben mir alle abgesagt.“

Die Mitschnitt-Chefin habe bislang immer daran festgehalten, dass das Tragen eines Kopftuchs und die Arbeit in einem Friseursalon nicht zusammenpassen. „Es geht um Haare, die Kundinnen und Kunden wollen auch sehen, wie wir aussehen.“ Als Djelili dann rund eine Woche nach ihrem Anruf im Friseursalon mit ihren Bewerbungsunterlagen erschien, wurde Erduran eines Besseren belehrt: „Sie hatte einfach eine Mega-Ausstrahlung.“

Die Hamburgerin bot ihr daraufhin ein zweiwöchiges Praktikum an. „Ich wollte auch sehen, wie das bei den Kundinnen und Kunden ankommt, vielleicht gibt es ja auch doofes Feedback und Kommentare, darauf wollte ich sie vorbereiten.“ Nach rund zwei Monaten habe sich Djelili selbst dazu entschieden, ihr Kopftuch abzulegen. „Das war einfach ein Gefühl“, berichtet die Auszubildende.

20-Jährige aus Nordmazedonien bessert durch Ausbildung ihre Deutschkenntnisse auf

Vor wenigen Monaten kam die 20-Jährige ihrem Traumberuf dann auch ein ganzes Stück näher, im September startete ihre Ausbildung bei Mitschnitt. Zunächst ist die Nordmazedonierin drei Monate im Betrieb, hat anschließend sechs Wochen Blockschule in der Friseurschule. Zusätzlich gibt es eine überbetriebliche Ausbildung für eine Woche pro Jahr: „Dort werden sie auf die Zwischenprüfung und Prüfung vorbereitet“, sagt Erduran. Nach eineinhalb Jahren werden verschiedene Fertigkeiten geprüft: Dauerwelle, Haareschneiden, Beratungsgespräche, Herrenhaarschnitte.

Arta Djelili macht eine Ausbildung zur Friseurin im Salon Mitschnitt auf dem Schulterblatt
Arta Djelili (r., 20) lebt seit vier Jahren in Hamburg. Seit September macht sie eine Ausbildung zur Friseurin im Salon Mitschnitt auf dem Schulterblatt. Ihre Chefin Ayse Erduran setzt sich unter anderem für junge Geflüchtete ein.  © privat | Marlen Schubert

Doch bis es so weit ist, lernen die Lehrlinge zunächst den Betrieb und die Abläufe kennen, übernehmen Aufräumarbeiten, waschen und föhnen die Haare von Kundinnen und Kunden. Jeder Tag ist für die Auszubildende unterschiedlich: „Ich wasche Haare, schaue bei anderen zu und versuche zu lernen, übe an Puppenköpfen, wie man Haare schneidet“, so Djelili. Und auch die Kundenansprache muss gelernt sein: „Wir duzen uns hier alle. Und auch trotz Sprachbarriere gelingt das Kundengespräch mit der Zeit immer besser“, berichtet Erduran.

Schanze Hamburg: Mitschnitt-Chefin bietet jungen Geflüchteten Chancen im Berufseinstieg

Djelili ist Erdurans 16. Auszubildende, die sechste, die geflüchtet ist. Auch Samir Khalaf, hat seine Ausbildung bei Mitschnitt absolviert, er musste zuvor aus dem Irak fliehen. Seit Sommer 2023 arbeitet er dort als fest Angestellter. „Eine Hürde ist oft die Sprache, aber sonst habe ich noch gar keine Nachteile erlebt“, sagt die Inhaberin. Die Vorteile, jungen Geflüchteten eine Chance im Hamburger Berufsleben zu ermöglichen, überwiegen.

„Wir sind sehr familiär hier“, so Erduran. „Außer der Ausbildung fangen wir die Menschen auch auf menschlicher Ebene auf.“ Alle seien sehr dankbar über die Chance, viele wollen sich beweisen und geben 100 Prozent. „Die meisten lieben den Beruf: In Deutschland wird dieser oft unterwertet, geflüchtete Menschen schätzen diesen Beruf sehr.“

Für die gesamte Branche sei es wichtig, dass neue Friseure ausgebildet werden. „Und warum sollen Menschen, die eine Leidenschaft für diesen Beruf haben, benachteiligt werden, nur weil sie die Sprache noch nicht so gut können? Wenn sie Spaß daran haben, ist es egal, ob sie geflüchtet sind oder nicht“, findet die gelernte Friseurin.

Djelili sagt: „Wenn ich etwas will, dann schaffe ich das“

Djelili erhält in ihrem ersten Ausbildungsjahr rund 600 Euro im Monat, plus Trinkgeld. Das ist wohl weit aus mehr als in Nordmazedonien. „Mein Papa hat in Hamburg gearbeitet und entschieden, dass wir alle nachkommen sollen – für ein gutes Leben“, erzählt die 20-Jährige. Mit zwei jüngeren Geschwistern lebt sie heute in Neugraben.

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Manchmal vermisst sie ihre Heimat, ging dort neun Jahre zur Schule. In Deutschland besuchte sie drei Jahre lang eine AvM-Klasse. Diese besondere Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten absolvierten in diesem Jahr 976 Schülerinnen und Schüler, 2023 war es noch rund die Hälfte. 513 von ihnen gelang der direkte Übergang in Ausbildung, Beschäftigung oder weiterführende schulische Bildung. Zu den beliebtesten Berufsfeldern zählt das Handwerk (32,4 Prozent), Gesundheit und Pflege (29,6 Prozent) sowie der Handel (22,4 Prozent). Derzeit nehmen etwa 2300 neu zugewanderte Jugendliche an den 29 Standorten der berufsbildenden Schulen in Hamburg teil.

Ausbildung in Hamburg: „Wir sind wie eine Familie“

„Ich habe dort Deutsch gelernt und viele Praktika gemacht“, erzählt sie. Djelili absolvierte den ersten Allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) in Hamburg. Danach wollte sie zunächst nicht Friseurin werden, strebte eine Ausbildung in einer Kita an. Doch ihr Plan habe sich spontan geändert. „Ich bin einfach so eine Person“, erzählt sie lachend. Der Kontakt zu Kundinnen und Kunden liege ihr dabei besonders am Herzen. Während AvM-Dual absolvierte die Hamburgerin verschiedene Praktika – im Restaurant, in einer Kita, in mehreren Friseursalons. Doch an keinem anderen Arbeitsort habe es ihr so gut gefallen wie auf dem Schulterblatt: „Wir sind nicht nur Kollegen, wir sind wie eine Familie. So was habe ich in einem Betrieb noch nie erlebt.“

Auch, wenn die Ausbildung gerade erst begonnen hat und noch drei Jahre dauert, kann sich Djelili jetzt schon vorstellen, danach einen Meister zu machen. Zudem würde sie gerne im Friseursalon Mitschnitt bleiben. Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg, die 20-Jährige hat Zwischen- und Gesellenprüfung erst noch vor sich, muss Schnitttechniken und andere Dinge lernen. Aber sie ist sich sicher: „Wenn ich etwas will, dann schaffe ich das.“