Hamburg. Jedes Jahr müssen Hunderte Hamburger Schüler vom Gymnasium auf die Stadtteilschule wechseln. Welche Schulen besonders betroffen sind.

  • An den Schulen in Hamburg entscheidet sich in Klasse Sechs, ob die Jugendlichen am Gymnasium bleiben.
  • Linken-Anfrage zeigt: Ein Drittel aller Zwangswechsler hatte eine Gymnasialempfehlung, schaffte es aber nicht.
  • An diesen Gymnasien in Hamburg gibt es die meisten Zwangswechsler.

Für die Schülerinnen und Schüler ist es sehr belastend, für ihre Eltern zumeist auch: 799 Kinder mussten im Sommer das Gymnasium wegen schwacher Leistungen wieder verlassen, sie wurden auf eine Stadtteilschule abgeschult. Nun können sie auch an Stadtteilschulen später das Abitur machen. Aber der Wechsel aus der angestammten Schulgemeinschaft in eine neue Umgebung, weg von den Schulfreunden, ist für die zumeist zwölf Jahre alten Kinder schon eine ziemliche Herausforderung.

Wie die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage von Sabine Boeddinghaus, Bildungsexpertin der Linksfraktion, zeigt, hatte gut ein Drittel der Zwangswechsler am Ende der Grundschule eine Gymnasialempfehlung, schaffte es leistungsmäßig dort aber nicht. Das ist insbesondere ein Jungen-Problem: Insgesamt mussten 481 Jungen, aber nur 318 Mädchen das Gymnasium in Hamburg nach der sechsten Klasse verlassen.

Gymnasium Hamburg: An welcher Schule es die meisten Zwangswechsler gibt

„Abschulen ist das Instrument zur schulischen Segregation und zur Aufrechterhaltung der Bildungsungerechtigkeit – sowohl für die jungen Menschen als auch für die Einhaltung internationalen Rechts muss es aufhören“, fordert Sabine Boeddinghaus. Das Abschulen müsse beendet werden.

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Interessant ist, wie unterschiedlich die Zahl der Zwangswechsler an den einzelnen Hamburger Gymnasien ist. Die Spanne reicht von einem bis hin zu 37 Kindern, die im Sommer 2024 nach der sechsten Klasse abgeschult wurden.

Schule Hamburg: An welchen Gymnasien gibt‘s die meisten Zwangswechsler, an welchen die wenigsten?

An diesen Gymnasien in Hamburg gibt es die meisten Zwangswechsler:

  • Gymnasium Lohbrügge: 37 Abschulungen (von 159 Schülern)
  • Gymnasium Marienthal: 33 Abschulungen (von 137 Schülern)
  • Gymnasium Allermöhe: 30 Abschulungen (von 112 Schülern)
  • Gymnasium Rahlstedt 28 Abschulungen (von 166 Schülern)
  • Alexander-von-Humboldt-Gymnasium: 27 Abschulungen (von 110 Schülern)
  • Gymnasium Süderelbe: 27 Abschulungen (von 167 Schülern)
  • Charlotte-Paulsen-Gymnasium: 24 Abschulungen (von 133 Schülern)
  • Helmut-Schmidt-Gymnasium: 21 Abschulungen (von 166)
  • Immanuel-Kant-Gymnasium: 20 Abschulungen (von 105 Schülern)
  • Carl-von-Ossietzky-Gymnasium: 20Abschulungen (von 126 Schülern)

Zu den Schulen, an denen es die wenigsten Zwangswechsler gibt, zählen das

  • Gymnasium Eppendorf: 1 Abschulung (von 111 Schülern)
  • Hansa-Gymnasium Bergedorf: 1 Abschulung (von 101 Schülern)
  • Christianeum: 2 Abschulungen (von 122 Schülern)
  • Sophie-Barat-Schule: 2 Abschulungen (von 113)
  • Gymnasium Othmarschen: 2 Abschulungen (von 108 Schülern)
  • Sankt-Ansgar-Schule: 2 Abschulungen (von 102 Schülern)
  • Gymnasium Rissen: 2 Abschulungen (von 84 Schülern)
  • Privates Gymnasium Brecht: 2 Abschulungen (von 76 Schülern)
  • Deutsch-Französisches Gymnasium: 2 Abschulungen (von 60 Schülern)
  • Bilinguales Gymnasium Phorms: 2 Abschulungen (von 42 Schülern)
  • Gymnasium Blankenese: 3 Abschulungen (von 81 Schülern)
  • Gymnasium Hochrad: 4 Abschulungen (von 141 Schülern)

Auffällig ist, dass unter den Schulen, die wenige Kinder nach der sechsten Klasse abschulen, viele Privatschulen sowie staatliche Schulen mit hohem Sozialindex sind. Insgesamt ist die Zahl der Zwangswechsler mit 799 Kindern im zurückliegenden Sommer im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen. Mitte 2023 waren es 709 Jungen und Mädchen, die abgeschult wurden, 710 Kinder im Sommer 2022. Die Zahlen lagen allerdings vor Corona auch schon deutlich höher (2020: 827, 2019: 955, 2018: 933).

Welche Leistungen Sechstklässler an Gymnasien in Hamburg erbringen müssen

Fast zwei Drittel der Zwangswechsler hatten am Ende der Grundschulzeit keine Gymnasialempfehlung. Da in Hamburg aber das Eltern-Wahlrecht gilt, können sich diese dennoch dafür entscheiden, ihr Kind aufs Gymnasium zu schicken, um auszuprobieren, ob es das dort nicht dennoch schafft.

Nach Abschluss der sechsten Klasse dürfen Eltern und Schüler allerdings nicht mehr frei wählen. Für den Verbleib auf dem Gymnasium ab Klasse 7 müssen bestimmte Leistungen nachgewiesen werden. In den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch benötigt es ein „ausreichend“, und auch der Durchschnitt in allen übrigen Fächern muss mindestens mit „ausreichend“ und in nicht mehr als zwei Fächern mit einer schlechteren Note bewertet sein.

Trotzdem schafften am Ende laut Senatsantwort auf die Anfrage der Linken-Politikerin insgesamt 3108 Schülerinnen und Schüler an Stadtteilschulen auch ohne Gymnasialempfehlung am Ende der zehnten Klasse den Sprung in die gymnasiale Oberstufe, um dort dann später das Abitur machen zu können. An Gymnasien gelang dies nur insgesamt 1484 Zehntklässlern ohne Gymnasialempfehlung.


Kinder an Hamburgs Gymnasien müssen am Ende der sechsten Klasse ausreichende Leistungen erbringen. Welche das sind.
Kinder an Hamburgs Gymnasien müssen am Ende der sechsten Klasse ausreichende Leistungen erbringen. Welche das sind. © Drazen - stock.adobe.com | stock adobe com

Schule in Hamburg: Fast jeder zweite Oberstufenschüler hatte keine Gymnasialempfehlung

Die Zahlen zeigten, dass von insgesamt 10.306 Schülern und Schülerinnen, die die Schule nach der zehnten Klasse weiter besuchen, 55,44 Prozent eine Gymnasialempfehlung hatten (5714), fast genauso viele, nämlich 44,55 Prozent, aber nicht (4592), so Boeddinghaus. „Wir sehen zwei Dinge ganz deutlich: Die sogenannte Gymnasialempfehlung in Klasse 4 besitzt keinerlei Aussagekraft über die spätere Schullaufbahn. Und: An den Stadtteilschulen findet eindeutig die bessere qualitative und pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler statt“, sagt die Linken-Politikerin und fordert: „Diese Schulform muss zur Regelschulform aller neuen Schulen werden.“

„An den Stadtteilschulen findet eindeutig die bessere qualitative und pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler statt. Diese Schulform muss zur Regelschulform aller neuen Schulen werden.“

Sabine Boeddinghaus
Bildungsexpertin der Hamburger Linksfraktion

Auch müsse das Abschulen aufhören. Denn an den Stadtteilschulen müssten die Zwangswechsler mühsam wieder aufgebaut werden – „eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Stadtteilschulen. Unnötig, weil die Noten in Klasse 6 nichts über die Leistungsfähigkeit beim Abitur – sechs Jahre später – aussagen“, so Boeddinghaus.

Schule Hamburg: Linken-Politikerin fordert Abschaffung der Grundschulempfehlungen

Sie geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert die Abschaffung der Grundschulempfehlungen. „Zum Zwecke der Minderung der schulischen Belastungen sollten Schulempfehlungen sofort und ersatzlos gestrichen werden.“ Die Schulbehörde hatte betont, es gelinge einem großen Teil der Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialempfehlung, zwischen Klasse 5 und 10 ihre Leistungen so zu steigern, dass sie den Übergang in die Oberstufe schafften.

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Die Schulbehörde hatte in einer Mitteilung Anfang der Woche auch bei den Zahlen einen anderen Aspekt hervorgehoben: Ganze 90,6 Prozent der Kinder (in absoluten Zahlen 7701) konnten nach dem Schuljahr 2023/24 ihre Schullaufbahn am Gymnasium fortsetzen, hieß es. Die Schulbehörde verbucht die sinkende Zahl der „Abschüler“ im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren als Erfolg – gerade angesichts der sehr ausgelasteten Kapazitäten der Hamburger Schulen. Die Stadt habe zuletzt das größte Schülerzahlwachstum aller Bundesländer verzeichnet.