Hamburg. Haben SPD und Grüne die 2020 im Koalitionsvertrag gesetzten Ziele im Verkehrsbereich erreicht? Das Abendblatt hat genau hingeschaut.

  • Die Bürgerschaftswahl in Hamburg steht an und für die Wählerinnen und Wähler ist das Thema Verkehr besonders wichtig.
  • Nun wollte die CDU wissen, welche Versprechen SPD und Grüne im Verkehrsbereich gehalten haben.
  • Das Abendblatt hat sich die Daten genau angeschaut: Das Ergebnis fällt gemischt bis ernüchternd aus.

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Kein Thema beschäftigt die Hamburgerinnen und Hamburger so sehr wie die Verkehrsprobleme in der Stadt. Das hat nicht nur gerade eine Abendblatt-Umfrage erneut gezeigt, das weiß auch die CDU – und kümmert sich daher mit großer Energie um das Thema.

Nun hat sie eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt, um einmal herauszuarbeiten, ob SPD und Grüne denn die 2020 im Koalitionsvertrag gesetzten Ziele im Verkehrsbereich auch erreicht haben. Das Abendblatt hat sich diese und andere Daten einmal angesehen. Das Ergebnis fällt gemischt bis ernüchternd aus.

Rot-Grün hat sich beim Radwegeausbau übernommen

Schon vor der CDU-Anfrage war bekannt: Beim Radwegeausbau hat Rot-Grün sich offenbar übernommen. Laut Koalitionsvertrag wollte der rot-grüne Senat „das Bau- und Sanierungsvolumen schrittweise mindestens auf 60 bis 80 Kilometer pro Jahr verdoppeln“. Und versprach: „Mittelfristig soll das Bauvolumen auf 100 Kilometer pro Jahr steigen.“

Das Ergebnis: Nur 2020 wurde mit 62 Kilometern das Minimalziel erreicht. 2021 waren es nur noch 56 Kilometer, 2022 dann 53 und 2023 schließlich 57 Kilometer. Im ersten Halbjahr 2024 kam man auf gerade einmal 14 Kilometer. Mithin: Ziel verfehlt.

Verkehr Hamburg: Viele neue Buslinien, aber E-Bus-Ziel verfehlt

Beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) haben SPD und Grüne im Koalitionsvertrag versprochen: „Der schienengebundene ÖPNV und die gesamte Busflotte sollen bis zum Jahr 2030 vollständig emissionsfrei betrieben werden.“ Eine Hälfte dieses Versprechens wird eingelöst, die S- und U-Bahnen und der Regionalverkehr fahren ausweislich der Senatsantwort auf die CDU-Anfrage bereits zu 99,4 Prozent emissionsfrei.

Bei den Bussen wird man das Ziel allerdings nicht erreichen. Die Verkehrsunternehmen Hochbahn und VHH rechnen nun damit, dass die Busflotte frühestens bis 2032 komplett elektrifiziert sein könnte. Derzeit fahren laut Senat 551 von 1862 in Hamburg verkehrenden Bussen emissionsfrei.

Auch bei Bushaltestellen hinkt Rot-Grün Ansprüchen hinterher

Noch einmal zum Thema Busse. Versprochen hat Rot-Grün 2020: „Bis 2030 sollen das MetroBus- ebenso wie das StadtBus-Netz ausgebaut sowie neue Quartiersbusse und Expressbusverbindungen zwischen bedeutenden Stadtteilzentren geschaffen werden. Auch alle anderen Buslinien sollen ausgebaut und verstärkt werden. Die Anzahl der Haltestellen soll um mehrere Hundert erhöht werden.“

Tatsächlich wurden zuletzt zahlreiche neue Buslinien eingeführt, und 2023 war das Jahr mit dem bisherigen Höchststand bei den Bus-Fahrgästen. Dass bis 2030 „mehrere Hundert“ neue Haltestellen entstehen, scheint dagegen eher unwahrscheinlich. Denn bisher wurden seit 2020 laut Senatsantwort erst 64 neue Bushaltestellen eingerichtet.

HVV Hamburg: Ziel verfehlt, aber wohl auch wegen Corona

Definitiv nicht erreicht wurde ein anderes Ziel. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Die Koalitionspartner streben eine Zunahme der Fahrgäste im HVV um rund 50 Prozent im Vergleich zu 2017 an.“ 2017 wurden im Gesamtjahr 1,075 Milliarden Fahrgäste gezählt. Für das Jahr 2024 rechnet der HVV nach eigener Auskunft mit 1,1 Milliarden. Allerdings hat die Corona-Pandemie zwischenzeitlich für einen deutlichen Knick bei den Passagierzahlen gesorgt. Im Pandemiejahr 2021 lag die Zahl der Fahrgäste bei gerade einmal 661 Millionen.

Ein weiteres rot-grünes Versprechen von 2020: „Um die wachsende Zahl an Fahrgästen aufzunehmen, sollen auf möglichst vielen Linien bis 2030 Langzüge zum Einsatz kommen. Die Koalitionspartner werden darauf hinwirken, dass die S-Bahn hierfür innerhalb der Legislaturperiode entsprechende Vorsorge trifft.“ Da hier keine konkreten Ziele genannt wurden, konnten auch keine verfehlt werden. Immerhin: Laut Senat werden im laufenden Jahr 14,7 Prozent der Verkehrsleistungen der S-Bahn durch Langzüge erbracht.

Fähren Hamburg: Versprechen aus Koalitionsvertrag nicht umgesetzt

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Die Takte der Fährlinien 62, 72 und 64 sollen verdichtet werden.“ Passiert ist das nicht. In der aktuellen Senatsantwort heißt es nüchtern: „Der Takt der HADAG-Linien ist seit 2020 gleichgeblieben.“

„Park and Ride“-Parkplätze sollten laut Koalitionsvertrag mit E-Ladestationen ausgestattet werden. Geschafft hat Rot-Grün das allerdings in den viereinhalb Jahren Regierungszeit laut Senatsantwort aber nur auf sieben von 34 P+R-Anlagen. Nicht gerade ein rekordverdächtiges Ergebnis.

Radwege und Gehwege: Versprochene Qualitätskontrolle nicht eingeführt

Nicht erreicht wurden zudem die Ziele bei der Einrichtung von Fahrradstellplätzen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Bis 2025 sollen an den U- und S-Bahn-Haltestellen insgesamt 40.000 Fahrradstellplätze entstehen. An Nahverkehrsknoten und Fernverkehrsbahnhöfen sollen verstärkt Fahrradparkhäuser zum Einsatz kommen.“ 

Bis Ende des Jahres 2024 aber rechnet der Senat laut einer älteren Antwort auf eine CDU-Anfrage mit lediglich 28.200 Fahrradstellplätzen. Allerdings scheint die Nachfrage auch nicht überall extrem hoch zu sein, wie das immer noch teils leer stehende Fahrradparkhaus an der Kellinghusenstraße zeigt.

Erhebung von Rad- und Fußwegen „unwirtschaftlich“

Versprochen hatten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag 2020, sich intensiver um die Qualität der Rad- und Fußwege zu kümmern. Dafür sollten, wie bei Straßen oder Brücken, „auch für die Geh- und Radwege Zustandsklassen“ entwickelt werden, um „diese dauerhaft in einen guten Zustand zu bringen“.

Passiert ist das nicht. Denn mittlerweile haben SPD und Grüne laut aktueller Senatsantwort festgestellt: „Die Einführung von Zustandsklassen setzte eine detaillierte Erhebung des Geh- und Radwegenetzes voraus. Dadurch würde mit erheblichem Aufwand eine sehr große Datenmenge produziert, die relativ schnell veraltet und regelmäßig aktualisiert bzw. wiederholt werden müsste. Dies ist angesichts der großen Netzlänge von Geh- und Radwegen unwirtschaftlich.“

Klimaschutz Hamburg: Ordentliche Bilanz, aber nicht beim Straßenverkehr

Nicht optimal sieht es auch bei der Einsparung des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) im Straßenverkehr aus. Die CO2-Gesamtemissionen hat Hamburg zwar laut der aktuellen Verursacherbilanz deutlich von 18,753 Millionen Tonnen im Jahr 2010 auf 12,965 Millionen Tonnen im (letzten ausgewerteten) Jahr 2022 gesenkt. Das entspricht einem Rückgang von mehr als 30 Prozent.

Der Hamburger Straßenverkehr aber pustete zuletzt kaum weniger CO2 in die Luft als vor mehr als einem Jahrzehnt. 2010 waren es 3,065 Millionen Tonnen CO2, im Jahr 2022 noch immer 3,031 Millionen Tonnen. Das entspricht einem Rückgang von gerade einmal 1,1 Prozent.

Hinzu kommt: Bis 2017 ist der Ausstoß sogar zunächst weiter gestiegen, auf 3,333 Millionen Tonnen. Und: Der Rückgang von 2020 bis 2022 dürfte auch von der Corona-Pandemie geprägt sein. Mithin: Beim Straßenverkehr geht es mit dem Klimaschutz nicht so voran, wie es Rot-Grün im Koalitionsvertrag als Ziel ausgegeben hatte.

Verkehr Hamburg: Eine Bilanz ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Bei all dem muss man sagen: Eine solche Übersicht wie diese kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn natürlich pickt sich die Opposition (und manchmal auch die Medien) auch das heraus, was schlecht läuft, das ist ja auch ihr Job. Andererseits muss sich Politik, die sich hohe Ziele setzt, am Ende auch daran messen lassen.

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„Der rot-grüne Senat hat für Hamburg die Mobilitätswende ausgerufen. Unsere Anfrage zeigt jedoch klar, dass SPD und Grüne den überwiegenden Teil ihrer eigenen Koalitionsziele bisher nicht erreicht haben“, resümiert denn auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering mit Blick auf die genannten Daten. „Dass sich dies noch bis zur Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 ändern wird, ist völlig unrealistisch. Vom Radwegeausbau über die Taktung der HADAG-Fähren bis zur Erweiterung des Bushaltestellennetzes – an jeder Ecke hat der Senat seine Ziele bisher verfehlt.“