Hamburg. Neue Initiative will Hamburg aus dem Schlummermodus reißen. Einfach wird das nicht: Die Selbstzufriedenheit ist weit verbreitet.

Sogenannte Triggerwarnungen gehören inzwischen zum guten Ton, um niemanden zu verstören. Selbst vor der Kindersendung Pumuckl blendet Amazon den Hinweis ein, es gebe gleich Drogenmissbrauch (Stammtisch) und Gewalt (!?) zu sehen. Deshalb hier an alle zartbesaiteten Hamburg-Liebhaber. Obacht! Jetzt wird’s ungemütlich.

Wer die Hansestadt in ihrer ganzen Provinzialität begreifen will, sollte am Flughafen landen. Es ist der älteste Airport der Republik – aber nur noch der fünftgrößte hinter Frankfurt, München, Berlin und Düsseldorf. Düsseldorf! Die großen Drehkreuze des Flugverkehrs liegen längst anderswo, in Frankfurt, Amsterdam, München, Kopenhagen. Oder gleich in der Wüste von Dubai.

Hamburg hat sich selbst abgehängt

Es ist das Musterbeispiel für die falsche Weichenstellung in der Vergangenheit. Das Ziel, selbst Drehkreuz in Nordeuropa zu werden, blieb im Schlamm von Kaltenkirchen stecken. Wie sagte der Städteforscher Thomas Sevcik: „Andere Städte wie München, die keine Rohstoffe haben und schlechter gelegen sind, bauten einen Flughafen. Aus Flugzeugen steigen Menschen, aus Containern kommen Waren.“

Bei aller berechtigten Kritik am Luftverkehr – vom Fluglärm bis zum Klimaeffekt – wirkt diese Selbstbeschränkung bis heute beschränkt. Wenn Hamburg sich klein macht, wachsen nur die anderen. Denn die Menschen wollen und werden fliegen. Gerade für eine Stadt, die wie keine andere am Flugzeugbau hängt, muss es darum gehen, umweltfreundlichere Flieger zu bauen und zum Weltstandard zu machen.

Wer von der schönsten Stadt der Welt spricht, kennt die Welt nicht

Noch aus einem anderen Grund ist Fuhlsbüttel für mich eine Landung in der Provinzialität. Man kommt aus pulsierenden Metropolen im schönen Hamburg an. Auf dem Weg zum Gepäckband liest man die Hymnen an die Stadt, die homöopathisch dosiert Spaß machen, in ihrer Fülle aber peinlich sind. Manches wirkt wie eine bräsige Selbstbeweihräucherung, wie müffelndes Selbstlob, nichts klingt nach hanseatischem Understatement.

Darin liegt ohnehin nicht die Stärke der Hamburger. Allüberall heißt es, wir lebten in der schönsten Stadt der Welt, man hört die Botschaft im Dudelfunk, liest ihn an Hauswänden oder in der Zeitung. Möglicherweise sagt dieser Satz weniger über Hamburg als vielmehr über die Welt(ab)gewandtheit der Absender aus. Selbstzufriedenheit ist gefährlich: Was wunderbar ist, kann nicht mehr besser werden, was vollkommen ist, erscheint fertig. Satt und träge schlummern wir selig weiter, selbstzufrieden, selbstbesessen, weltvergessen.

Helmut Schmidts „schlafende Schöne“ ist auch nach 62 Jahren noch aktuell

Im Juli 1962 formulierte ein Hamburg-Kritiker folgende Zeilen in der „Welt“: „Aber ich liebe sie mit Wehmut, denn sie schläft, meine Schöne, sie träumt; sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten – sie sonnt sich ein wenig zu selbstgefällig und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein.“ Der Mann, der das damals verfasste, hieß Helmut Schmidt. 62  Jahre später hat sich daran wenig geändert, noch immer halten zu viele Pöseldorf oder Blankenese für den Nabel der Welt. Während sich die Welt immer schneller dreht, dreht sich Hamburg noch mal um.

Eine neue Initiative will die Stadt nun wachrütteln - andere haben es vor ihr versucht. Die aktuelle Bestandsaufnahme des Vereins „Hamburg - Vor zur Welt“ fällt bitter aus, die Ableitungen daraus aber lohnen, diskutiert zu werden: Die Vordenker fordern massive Investitionen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, sie plädieren für einen Hafen, der Flächen für Innovationen freiräumt, sie wollen die Metropolregion viel intensiver vernetzen, die Wirtschaftsförderung neu aufstellen.

Es geht voran - aber nicht schnell genug

Das alles mag nicht neu sein, nötig bleibt es trotzdem. Manches hat der Senat umzusetzen begonnen. Die Science City in Bahrenfeld ist ein Schritt in die richtige Richtung, erst in dieser Woche wurde der Grundstein gelegt für die Erweiterung der Fraunhofer-Einrichtung zum 3-D-Druck. Aber die Schritte sind noch langsam, tastend, während andere Metropolen voraneilen. Wer bummelt, fällt zurück. Genau das ist das Ergebnis vieler Rankings: Hamburg ist nicht schlecht, aber andere werden besser.

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Es ist zu erwarten, dass diese Themen den Wahlkampf aufmischen. Schade wäre, wenn daraus nur ein rechthaberischer Streit erwüchse. Besser wäre, es wäre das Signal für einen gemeinsamen Aufruf. Ein Weckruf für die schlafende Schöne.