Hamburg. Manche Deutsche leben nicht mehr in einem gemeinsamen Land, sondern in Paralleluniversen. Das macht das Regieren nicht einfacher.
Fragt man die einen, ist Deutschland nicht nur ein reiches Land, sondern eines, in dem offenbar Milch, Honig und Euro fließen. Für sie ist der Staat eine Art Geldautomat und der Bundeshaushalt eine kollektive Kreditkarte, mit der man jeden noch so absonderlichen Wunsch finanzieren kann.
Fragt man die anderen, ist Deutschland nicht nur ein armes Land, sondern eines, in dem Verfall, Dekadenz und Untergang um sich greifen. Und der Staat eigentlich nur noch ein alles verschlingendes und monetenmampfendes Monster, das Fluchtreflexe auslöst. Sie reden nur noch davon, wie man Deutschland schnellstmöglich verlassen kann.
Die Bundesregierung hat zu spät gespürt, wie der Wind sich dreht
Da fragt man sich schon, ob diese Menschen alle im selben Land wohnen und noch eine klare Sicht auf die Realität haben. Zweifel sind angebracht. Dabei wäre gerade das heute dringender denn je. Ein Gefühl für die Krise, die aber eben kein Weltuntergang ist. Der Ansporn, etwas zu ändern, weil es sich ändern lässt. Die Aufforderung, nicht immer nur an sich selbst, sondern zur Abwechslung mal an alle zu denken.
Hilfreich wäre, dass alle beginnen, den Ernst der Lage zu erkennen. Es ist das Drama dieser Bundesregierung, dass sie zu lange brauchte, um zu erkennen, dass sich der Wind dramatisch gedreht hat. Die Ampel machte Merkel-Politik für gute Zeiten, ohne zu begreifen, dass diese längst vorbei sind.
Vor zehn Jahren hätte man ein Bürgergeld als Nachfolge von Hartz IV einführen können, aber wie kann man auf die Idee kommen, ausgerechnet in Zeiten des Fachkräftemangels das Nichtstun attraktiver zu machen? Die Vereinfachungen bei der Einbürgerung sind vernünftig, wenn die Migration gesteuert ist – aber doch nicht in Zeiten, in denen es darum geht, Zuwanderung zu begrenzen. Zusätzliche Anreize sind da fehl am Platze. Der Ausstieg aus der Kernenergie mag 2002 und 2011 eine gute Idee gewesen sein. Aber hätte der nicht in Zeiten des Ukraine-Krieges zumindest verschoben werden müssen?
Der Abstieg des Wirtschaftsstandortes nimmt dramatische Züge an
Die „Zeitenwende“ galt in der Ampel stets nur für das Militär, sonst regierte das „Weiter so“.
Breite Teile der Öffentlichkeit, in Medien und der Gesellschaft, haben teilweise bis heute nicht erkannt, was sich da für ein Sturm zusammengebraut hat – gerade für die Wirtschaft. Noch vor zehn Jahren, so dokumentiert es das Institute for Management Development in Lausanne, lag Deutschland im renommierten Wettbewerbsranking auf dem sechsten Platz weltweit. Seitdem geht es bergab: In der aktuellen Ausgabe rutschte die Wettbewerbsfähigkeit der Republik auf Platz 24.
Die kommenden Jahre werden nicht leichter
Und machen wir uns nichts vor: Die kommenden Jahre werden nicht leichter: Das billige russische Gas ist ebenso Geschichte wie die glänzenden Geschäfte mit China. So wie Deutschland der Gewinner der Globalisierung war, wird die Bundesrepublik nun nach der Renationalisierung der große Verlierer. Leider wollte das in den vergangenen Jahren keiner hören und auch kaum jemand schreiben.
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Und jetzt, wo die Krise da ist, machen sich die vom Acker, die nicht nur Jahrzehnte gut vom Standort gelebt haben, sondern auch in den vergangenen Jahren eben nicht gewarnt haben, dass sich etwas ändern muss. Manche Unternehmenslenker sprechen heute fast mit Verachtung vom Standort und der Politik. Was haben sie dazu beigetragen, dass es besser wird?
Ob von ganz links oder ganz rechts – die Botschaft klingt sehr ähnlich
Die Infrastruktur ist nicht über Nacht zerbröselt, es hat nur keinen interessiert. Oder man hat den Mantel des Schweigens darübergehüllt, um nicht den „Falschen“ in die Hände zu spielen. Wir haben ein Jahrzehnt lang die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen, die Probleme schöngeredet. Und plötzlich, wo es nicht mehr geht, wird alles schwarzgemalt: Heute klingen manche Konservative in ihren Botschaften wie Linksautonome, ihr einig Lied ist „Halt’s Maul, Deutschland“, triefend von Abscheu: Überall ist es besser, und an der Malaise sind selbstverständlich die anderen schuld.
Dabei gilt auch für sie: Den Karren haben wir gemeinsam in den Dreck gefahren, jetzt sollten wir ihn auch gemeinsam wieder herausziehen. Anders als 2003 rettet die Republik leider kein mutiger Kanzler Gerhard Schröder oder eine verantwortungsvolle rot-grüne Koalition. Dem Mann mit dem Doppelwumms fehlt die Macht und offenbar der Mumm.
Wir müssen es also selbst besorgen. Aber warum sollten wir das nicht schaffen? Ein wohlhabendes, funktionierendes, sicheres, menschliches Deutschland liegt schließlich im Interesse aller.