Hamburg. Noch vor wenigen Jahren verstand sich die Bundesrepublik als Vermittler in zahlreichen Konflikten. Davon ist wenig geblieben.

Vielleicht ist die Frage von Krieg und Frieden eine Generationsfrage. Je stärker die Erinnerungen an Gräuel, Tod und Verderben verblassen, desto argloser blicken die Menschen in die Welt. Je länger der letzte Waffengang zurückliegt, umso unbedarfter wird die Diplomatie. Alte Generäle sprechen über Frieden, junge Politiker gerne über Waffen. Unsere Imprägnierung gegen Krieg und Gewalt verblasst jeden Tag mehr. Und unsere Lernerfolge aus den dunklen Tagen des Kalten Krieges schwinden dahin.

Die Diplomatie versteht sich nicht mehr als Brückenbauer oder Brandmelder, sondern vor allem als Oberlehrer oder Anheizer. Der Krieg in der Ukraine wäre vielleicht vermeidbar gewesen, hätte man die roten Linien der Russen früher verstanden, sie diskutiert und respektiert. Stattdessen sind wir in eine mögliche Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts geschlafwandelt.

Noch vor einem Jahrzehnt waren wir Vermittler, nicht Waffenlieferant

Vielleicht steuern wir in einen größeren Krieg, von dem wir noch nicht einmal ahnen, dass er längst begonnen hat. Die jüngste Eskalation im Nahen Osten beispielsweise wäre in der alten Welt leichter einzuhegen gewesen: Vor dem Überfall auf die Ukraine und dem neuen Kalten Krieg hätte Russlands Präsident Wladimir Putin niemals offen mit dem Iran gegen israelische Interessen gehandelt – bis dahin galten die Russen in Jerusalem als Vermittler. Vermittler waren wir übrigens auch einmal: Deutsche und Franzosen handelten 2014 das freilich unzureichende Minsker Abkommen zwischen der Ukraine und Russland aus.

Heute sind wir als Vermittler ein Totalausfall. Es geht primär um Bekenntnisse, um Haltung. Man kümmert sich nicht um die Welt, sondern die Wähler, man reduziert Weltpolitik auf einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Lichtgestalten und Schattenmännern, Helden und Schurken. Natürlich ist der Überfall der Russen auf die Ukraine Barbarei. Das steht fest. Doch was bedeutet das für uns und unsere eigenen Interessen?

Seltsam, was Baerbock und von der Leyen so sagen

Außenministerin Annalena Baerbock überraschte im Herbst 2022 mit ihrem Versprechen an die Ukraine: „Wenn ich dieses Versprechen … gebe: ‘Wir stehen so lange an eurer Seite, wie Ihr uns braucht’, dann möchte ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Ihr Amtseid, zur Erinnerung, lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde.“

Oder Ursula von der Leyen, als Bundesverteidigungsministerin von 2013 bis 2019 eher irrlichternd, empörte sich als Präsidentin der EU-Kommission über Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident hatte sich im Juli erdreistet, nach Kiew, Moskau und Peking zu reisen und mögliche Friedenslinien auszuloten.

Längst dröhnt die Debatte im Sound der Panzerketten

Wenn „falsche“ Politiker das Richtige tun, muss es damit nicht falsch sein, sollte man denken. Aber weit gefehlt. Von der Leyen spottete: „Vor zwei Wochen reiste ein EU-Ministerpräsident nach Moskau. Diese sogenannte Friedensmission war nichts anderes als eine Beschwichtigungsmission.“

Längst dröhnt die Debatte im Sound der Panzerketten. Ob man den Baerbocks, Leyens, Strack-Zimmermanns, Hofreiters oder Kiesewetters lauscht. Früher wollte man Taube sein, heute nur noch Falke. Selbst ein Henry Kissinger, früher der Mann fürs Grobe, wäre heute ein Putin-Versteher. Immerhin sagte er: „Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass alle Schuld bei Putin liegt.“ Was würde wohl Hans-Dietrich Genscher sagen?

Hamburger Kritiken: Wie würde die Welt heute auf den Irak-Krieg reagieren?

Angesichts der aktuellen politischen Dynamik wüsste man gerne, wie die Weltkrisen von gestern mit dem Personal von heute ausgegangen wären: Moralisch betrachtet hätten wir am 17. Juni 1953 beim Volksaufstand in der DDR Waffen liefern müssen, 1956 beim Aufstand in Ungarn Panzer und 1968 beim Prager Frühling Truppen schicken. Stattdessen setzten unsere Politiker zähneknirschend auf Entspannungspolitik und Wandel durch Handel. Das alles gilt heute als Teufelszeug.

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Es wäre auch spannend zu sehen, wie die Politik heute auf den Irak-Krieg von 2003 reagieren würde: Damals behaupteten Briten und Amerikaner, Saddam Hussein sei im Besitz von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen und unterstütze den internationalen Terrorismus. Alles gelogen, aber egal. Nassforsch marschierten die Osteuropäer – in vorderster Front übrigens Polen und die Ukraine – mit in den Irak ein, als Teil der Koalition der Willigen. Deutschland und Frankreich waren als Kriegsgegner das „Alte Europa“.

Wer aber hatte recht?