Hamburg. Die Hansestadt ist in den vergangenen Jahren in vielen Rankings abgerutscht. Hamburger Unternehmer und Politiker wollen das ändern.
Es ist ein Weckruf, eine Warnung und Einladung zugleich. Die bürgerliche Initiative „Hamburg – Vor zur Welt“ will die Stadt mit neuen Ideen besser auf die Zukunft vorbereiten. Am Donnerstag haben sich die Initiatoren im Side Hotel mit einer Auftaktveranstaltung zu Wort gemeldet. Ihre Botschaft ist eindeutig: „Hamburg war einmal das Tor zur Welt. Inzwischen scheint die Stadt so zufrieden, dass sie den Strukturwandel verpasst. Unter den europäischen Metropolregionen fällt Hamburg immer weiter zurück“, beklagen die Unternehmer und Politiker.
Ihre Mahnung: „Hamburg ist so nicht zukunftsfähig.“ Die Metropolregion drohe ihre soziale und kulturelle Freiheit zu verlieren. Sie beklagen aber nicht nur den Status quo, sondern zeigen zugleich Lösungsansätze auf. Mehr Forschung, mehr Wissenschaft, mehr Wagnis sollen Hamburg zurück in die Spur bringen.
Acht bekannte Hamburger haben einen Verein gegründet
Hinter der überparteilichen Initiative stehen acht bekannte Hamburgerinnen und Hamburger. Mit dabei sind Götz Wiese, Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU, der frühere Hochschulsenator Jörg Dräger, die Unternehmerinnen Dalia Das und Johanna von Eben-Worlée, der frühere Staatsrat Nikolas Hill (CDU), Hariolf Wenzler, Gründungsgeschäftsführer der Hamburg Marketing, der frühere SPD-Wirtschaftspolitiker Joachim Seeler (heute FDP) und der Start-up-Experte Friedrich Klay. Sie haben inzwischen einen Verein gegründet, der von einigen Mäzenen finanziell unterstützt wird. Weiteren Interessierten steht der Verein offen.
Mit zwei Schritten wollen sie Hamburg entfesseln. Zunächst geht es um eine Bestandsaufnahme, wo die entscheidenden Probleme liegen. Darauf aufbauend werden konkrete Ideen formuliert, wie Hamburg wieder nach vorn kommen kann.
„Schockierende“ Bestandsaufnahme der Hamburger Schwächen
Wenig überraschend fällt die Bestandsanalyse negativ aus – und zwar noch kritischer, als viele der Initiatoren zuvor erwartet hatten. „Als wir mit der Recherche begannen, hätten wir nicht gedacht, wie schlecht Hamburg im weltweiten Vergleich oft abschneidet. Das hat mich wirklich geschockt“, sagt Das. So ist der Hafen beim Umschlagsvolumen von einem achten Platz 2005 binnen 20 Jahren auf Platz 23 abgerutscht, die Investitionen in Forschung und Entwicklung bezogen auf das Bruttoregionalprodukt liegen bei kümmerlichen 2,2 Prozent und damit nicht einmal halb so hoch wie in Kopenhagen oder München.
Der Anteil der Studienanfänger in den Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften sowie Technik (MINT) liegt an der Elbe bei 27 Prozent, an der Isar hingegen bei 42 Prozent. Geradezu bissig kommentiert der Verein: „Metropolen sind Knotenpunkte. Hamburg ist Endstation. Von Kopenhagen fliegt man in alle Welt, von Hamburg nach Mallorca.“ Ausdrücklich vergleicht sich „Hamburg – Vor zur Welt“ mit den Spitzenmetropolen. „Wir wollen uns nicht am Mittelmaß orientieren“, sagt Nikolas Hill.
Im Städteranking ist Hamburg von Platz 14 auf Platz 27 abgerutscht
Die Kritik ist kein Selbstzweck, betonen die acht Initiatoren, sondern Ausdruck der Sorge um die Zukunft. Die Bruttowertschöpfung pro Einwohner sei im Vergleich zu anderen Metropolen zu gering. „Wir haben zu wenig Wertschöpfung, um Gegenwart und Zukunft zu finanzieren“, sagt Hariolf Wenzler. Sie erst ermögliche, kostenfreie Kitas, Theater oder die Infrastruktur aufrechtzuerhalten.
Schon jetzt erodiere die Lebensqualität in der Stadt: Laut „Economist“-Ranking ist Hamburg von Rang 18 im Jahre 2018 auf Platz 27 abgerutscht. Noch vor einem Jahrzehnt lag die Hansestadt auf Platz 14. „Es ist falsch, so lange zu warten, bis es schlecht wird. Wir müssen rechtzeitig handeln – und es gehört zur DNA von Hamburg, sich immer wieder neu zu erfinden“, so der frühere Wissenschaftssenator Dräger.
„Unser Ziel ist ein Comeback für Hamburg, ehe sich der Abwärtstrend weiter verschärft“, betont Wenzler. Um dieses zu erreichen, fordert der Initiative mehr Ehrgeiz. Der Anspruch müsse sein, bei Innovationen, Qualifikationen und Wertschöpfung von der Öresundregion, München oder Zürich zu lernen. Die Stadt solle sich auf Schwerpunkte wie die Luftfahrt, Logistik und Gesundheit konzentrieren und Wirtschaftsfreundlichkeit und Lebensqualität verbinden.
20.000 neue Studenten sollen die Wissenschaftsstadt beflügeln
Vier zentrale Handlungsfelder machen die Experten aus: Als Wissensmetropole soll die Stadt massiv in den Ausbau der MINT-Fächer investieren und sich 20.000 Studenten in diesen Fächern zum Ziel setzen. „Sie bilden die Basis für wissensbasierte Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien“, sagt Dräger. Die Universitäten müssen internationaler werden, zugleich bedarf es massiver Investitionen in Hochschulen und den Bau von Wohnheimen.
Um Forschung und Entwicklung zu beflügeln, setzen die acht auf Wirtschaftsförderung vor allem für innovative Betriebe, auf Deregulierung und neue Flächen etwa im Hafen. So soll eine Milliarde Euro pro Jahr an zusätzlichen Forschungsinvestitionen mobilisiert werden. Konkret schlägt der Verein einen „Freihafen 2.0 als Reallabor für innovative Unternehmen” vor. Hier sollen die Regeln heruntergefahren werden, gelten soll jeweils die Regelung eines EU-Landes, die am besten geeignet erscheint.
Der Hafen soll zu einem Zentrum der Innovation werden
Auch den Hafen denkt die Initiative neu: In Zukunft sollen fünf Prozent der Flächen für Innovation und Wissenschaft bereitgestellt werden. Besonders viel versprechen sich die Vordenker von einer intensiveren Zusammenarbeit in der Metropolregion. Mit einer vernetzter Infrastruktur soll der Großraum Hamburg zur 30-Minuten-Metropole werden und nach dem Vorbild der Öresundregion über die Verwaltungsgrenzen zusammenarbeiten.
Trotz der Verortung im bürgerlichen Lager versteht sich die Initiative ausdrücklich als überparteilich. „Wir wollen an einer nachhaltigen Zukunft Hamburgs arbeiten – gemeinsam mit anderen Gestaltern“, sagt Wiese. Zugleich macht der CDU-Politiker klar: „Wir wollen uns nicht in die Tagespolitik einmischen, sondern in die Diskussion über den Strukturwandel.“ Hill ergänzt: „Wir freuen uns, wenn die Parteien uns einladen.“
Initiative plant nun mehrere öffentliche Veranstaltungen
Um mit der Stadt und den Bürgern ins Gespräch zu kommen, plant die Initiative mehrere Veranstaltungen. Den Auftakt macht eine Ideenpräsentation und Diskussion zum Hafen: Am 25. November geht es um das Thema „Innovationshafen – Zukunftsinvestitionen in das Herz unserer Stadt“. Danach soll es weitere Studien und Workshops geben, bei denen die Initiative mit ihren Inputs in die Diskussion mit der Stadtgesellschaft geht. „Wir wollen mit allen, die es interessiert, ins Gespräch kommen. Wir sind uns für nichts zu schade“, sagt Wiese.
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Es ist indes nicht die erste Initiative dieser Art. 2014 hatten drei ehemalige Spitzenpolitiker – Klaus von Dohnanyi (SPD): Wolfgang Peiner (CDU) und Willfried Maier (Grüne) – aus „Sorge um Hamburg“ einen Aufbruch der Wissenschaft gefordert. 2020 initiierten Nikolas Hill und der Ökonom Henning Vöpel mit der „Zeit“-Stiftung den Hamburg Konvent.
Und die Handelskammer stellt schon seit 2020 unter dem Motto „Hamburg 2040“ die Frage: „Wie wollen wir in Hamburg künftig leben – und wovon?“ Die neue Initiative will dazu keine Konkurrenz, sondern Ergänzung sein. „Wir gehen noch einen Schritt weiter und wollen in die Umsetzung kommen“, sagt Dräger. „Demokratie funktioniert am besten, wenn sich alle einbringen.“