Hamburg. Acht Hamburgerinnen und Hamburger wollen die Stadt voranbringen. Sie fürchten, dass sie den Strukturwandel verpasst und weiter zurückfällt.
Der frühere Wissenschaftssenator Jörg Dräger, der Rechtsanwalt und Bürgerschaftsabgeordnete Götz Wiese (CDU) und die Unternehmerin Dalia Das gehören zu den Initiatoren der Bewegung „Hamburg – Vor zur Welt.“ Sie warnen: Die Metropolregion droht ihre soziale und kulturelle Freiheit zu verlieren. Über ihre Beweggründe, ihre Sorgen und Hoffnungen sprachen sie mit Matthias Iken.
Hamburger Abendblatt: Es wurden in Hamburg schon häufiger Zukunftspapiere verfasst. Was ist dieses Mal anders?
Jörg Dräger: Wir konnten in unserem Kreis etwas weniger konsensorientiert, dafür pointierter denken. Wir wollen nichts werden. Wir wollen etwas tun. Gerade längerfristige Strategien gehen im Wahlkampf oft unter. Deshalb benötigt die Stadt Input von außen. Wenn unsere strategischen Gedanken – und sei es nur in Teilen – Programm der Stadt werden, ist es ein Erfolg.
Reden Sie damit nicht die Stadt schlecht? Viele Hamburger sind ganz zufrieden.
Götz Wiese: Man kann vor lauter Zufriedenheit den Strukturwandel auch verschlafen. Wir haben eine Bestandsanalyse gemacht und zunächst ganz nüchtern auf Kennziffern geschaut. Das Schöne an unserer Gruppe ist, dass sie aus sehr unterschiedlichen Bereichen kommt, aber gemeinsam über die Stadt nachdenkt und Ideen sammelt. Gemeinsam machen wir Verbesserungsvorschläge. Das ist nicht negativ, sondern konstruktiv. Wir wollen die Stadt nach vorne bringen.
Wo ist die Stadt Ihrer Ansicht nach besonders träge?
Dalia Das: Technologie ist in Hamburg deutlich untergewichtet – ob an den Universitäten oder in der Unternehmenslandschaft. Wir halten Hamburg für international, aber an den Hochschulen gibt es kaum englischsprachige Studiengänge. Das passt doch nicht zusammen. Wir müssen auf technik- und forschungsorientierte Studienfächer setzen und diese internationaler ausrichten – das lockt auch forschungsintensivere Unternehmen an und führt nach einigen Jahren fast von selbst zu einer nachhaltigen Tech- und Start-up-Szene.
Wo hatten Sie bei der Analyse einen Aha-Effekt?
Dräger: Mich hat die Dimension überrascht, um die Hamburg im Vergleich mit anderen Metropolen hinterherhinkt. Ich hätte gedacht, wir liegen vielleicht 20, 30 Prozent zurück. In Wahrheit ist es aber ein Vielfaches. Uns fehlen die innovationsstarken Unternehmen.
Das: Wir müssen heute die Fachkräfte für morgen ausbilden. Jedes Unternehmen und Start-up sucht heute fähige Mitarbeiter, wird in Hamburg aber kaum fündig. Hamburg fehlt der eigene Nachwuchs, Hamburg hat aber auch nicht die internationale Zuwanderung, um das auszugleichen. Da sind München oder Berlin attraktiver.
Ihre Initiative wirkt wie eine verkappte Wahlkampfhilfe für die Opposition. Rot-grüne Vertreter sind nicht Teil der Initiative, und in vier Monaten wird gewählt.
Dräger: Wenn wir Wahlkampf machen wollten, würden wir uns mit populäreren Themen beschäftigen. Standort- und Strukturfragen bewegen nur wenige, sie sind aber von entscheidender Bedeutung für die Zukunft.
Wiese: Die zentralen Weichenstellungen müssen jetzt getroffen werden, damit die Stadt eine bessere Zukunft hat. Da geht es um mehr Studiengänge in der Wissenschaft und Technologie, mehr Forschung. Dabei können wir viel von anderen Metropolen lernen, die sich dynamischer entwickeln. Das Thema stellt sich unabhängig von Wahlen. Deshalb setzen wir jetzt einen starken Impuls.
Helmut Schmidt hat vor über 60 Jahren die Stadt als schlafende Schöne bezeichnet. Was ist, wenn Hamburg gar nicht geweckt werden will?
Wiese: Hamburg ist eine attraktive Second City, also die Nummer zwei im Land. Hamburg hat eine starke Wirtschaft und das nötige Kapital. Wir können uns erneuern – aber wir müssen es auch tun.
Dräger: Es geht dabei nicht um Erneuerung als Selbstzweck. Es geht darum, eine lebenswerte Stadt zu bleiben. Das wird nur gelingen, wenn wir eine ausreichend große Wertschöpfung haben, also leistungsfähige Unternehmen und qualifizierte Arbeitnehmer. Die Welt verändert sich rasend, auch Regionen, mit denen wir in Konkurrenz stehen. Die Welt wartet nicht auf Hamburg.
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Geht es Hamburg vielleicht zu gut?
Dräger: Wenn wir uns die Lebensqualität anschauen, sehen wir, dass Hamburg in den Rankings deutlich abgerutscht ist. 2018 lagen wir laut Economist noch auf Platz 18, jetzt nur noch auf Rang 27.
Wiese: Ich fürchte, die Stimmung ist besser als die Lage.
Das: Man kann nicht früh genug damit anfangen, den Strukturwandel zu gestalten. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen. Ich habe gesehen, wohin es führt, wenn man den Strukturwandel verschläft. Das wünsche ich mir für Hamburg nicht. Was wir heute bewegen, führt vielleicht erst in zehn Jahren zu einer sichtbaren Veränderung. Was wir heute aber nicht beginnen, werden wir in zehn Jahren schmerzlich vermissen.