Hamburg. In Schreiben an SPD-Führung machen sich Ditib und Schura für genehmen Politiker stark. Aber der kritischere Genosse setzt sich durch.
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, und bei manchem in der Hamburger SPD hat er für Irritationen gesorgt: In einem Schreiben an den Vorstand der Partei haben sich die Vorsitzenden des Rates der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura) und des Ditib für einen bestimmten SPD-Politiker starkgemacht. Ditib ist die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland und wird vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kontrolliert. Der betreffende SPD-Politiker solle doch auf einen guten Listenplatz für die Bürgerschaftswahl gesetzt werden, schrieben Schura und Ditib. Der Brief an die „sehr geehrten Mitglieder des SPD-Landesvorstands Hamburg“ liegt dem Abendblatt vor. Er ist undatiert, ging aber laut SPD am vergangenen Freitag vor dem Nominierungsparteitag bei der Partei ein.
In dem Schreiben machen sich der Schura-Vorsitzende Fatih Yildiz und Ditib-Nord-Chef Mehmet Gök für den SPD-Religionspolitiker Ekkehard Wysocki stark. „Im Namen des Ditib Landesverbandes Nord sowie der Schura Hamburg wenden wir uns heute mit einer dringenden Empfehlung an Sie“, heißt es dort. „Wir möchten anregen, dass Herr Ekkehard Wysocki im Rahmen der anstehenden Nominierungsentscheidung zur Bürgerschaftswahl eine Platzierung erhält, die seiner langjährigen und wertvollen Arbeit im Bereich des interreligiösen Dialogs und der Vertretung der Religionsgemeinschaften angemessen ist.“ Wysocki sitzt seit 2011 für die SPD in der Bürgerschaft. Schura und Ditib sind auch Partner der Stadt in den Islamverträgen.
Islamverbände empfehlen dem SPD-Vorstand Ekkehard Wysocki
In seiner Rolle als Vorsitzender des Innenausschusses sowie als Sprecher für Kirchen und Religionsgemeinschaften habe Wysocki „maßgeblich dazu beigetragen, dass wichtige Themen wie Religionsfreiheit, interreligiöser Dialog und Minderheitenrechte in der Hamburgischen Bürgerschaft eine starke Stimme hatten“, schreiben Gök und Yildiz. Er habe „in komplexen und sensiblen Fragen, wie dem Umgang mit dem IZH oder der Unterstützung der schiitischen Gemeinschaften, immer konstruktive Lösungen gefördert“, so die Mail an den SPD-Vorstand.
Daher empfehle man „eindringlich“, den 62-Jährigen „auf einem Platz zu berücksichtigen, der ihm eine realistische Chance auf eine Wiederwahl bietet“. Eine „angemessene Platzierung, idealerweise in den oberen Rängen der Landesliste, wäre entscheidend, damit Herr Wysocki seine bedeutende Arbeit auch in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen kann“, so Gök und Yildiz. „Für die religiösen Gemeinschaften Hamburgs, insbesondere für uns als Ditib und Schura, wäre dies von unschätzbarem Wert.“
SPD Hamburg: Showdown um den aussichtsreichen Platz 19
Beim SPD-Parteitag am Sonnabend kam es, möglicherweise auch vor dem Hintergrund dieses Schreibens, dann zu einer überraschenden Kampfkandidatur. Bei der Nominierung für den relativ aussichtsreichen Platz 19 der Landesliste trat Wysocki gegen den für diesen Platz vom Landesvorstand vorgeschlagenen Kazim Abaci an. Der 59-jährige Abaci ist Sprecher der SPD-Fraktion für Migration, Integration und Flüchtlinge.
Zuletzt hatte der türkeistämmige Abaci, der im Januar eine Großdemonstration gegen Rechtsextremismus organisierte, sich kritisch zu fundamentalistischen Strömungen des Islam geäußert. Anders als etwa von muslimischen Verbänden nach Anschlägen immer wieder beteuert, habe der Terror sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun, hatte Abaci im September dem Abendblatt gesagt.
Kazim Abaci hatte sich kritisch zu islamischem Fundamentalismus geäußert
Die Behauptung, der Islam sei durchweg immer friedfertig, sei also falsch. Denn die fundamentalistischen und autoritären Strömungen etwa des Wahhabismus, des Mullah-Regimes im Iran, von IS, al-Qaida oder Boko Haram beriefen sich ja auch alle auf den Islam. „All das hat also sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun“, sagte Abaci damals. „Es ist eine fundamentalistische und radikale Auslegung, aber es gehört dazu.“ Bei Islamverbänden dürfte sich Abaci mit diesen Aussagen keine Freunde gemacht haben. Zudem hatte Abaci eine Arbeitspflicht für Geflüchtete angeregt, da durch Arbeit Integration gelinge und diese auch vor Radikalisierung schütze.
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Beim Nominierungsparteitag am Sonnabend setzten sich einige Redner kritisch mit diesen Aussagen Abacis auseinander, andere aber lobten sein Engagement für Integration und gegen Rechtsextremismus. Laut Parteiführung machte sich auch SPD-Landeschefin Melanie Leonhard in einem Redebeitrag für Abaci stark. Schließlich setzt sich dieser klar mit 67,5 Prozent der Delegiertenstimmen gegen Wysocki durch, der lediglich 14,4 Prozent bekam. Am Ende wurde Wysocki von den Delegierten auch noch abgestraft, als er später für Platz 33 der Landesliste antrat. Dort wurde er erst im dritten Wahlgang mit nur 47,9 Prozent nominiert.
SPD Hamburg: Für Wysocki ist das Schreiben der Verbände unproblematisch
Wysocki wertet das Schreiben von Ditib und Schura als unproblematisch. „Ich sehe da keinen Versuch einer Beeinflussung, ich sehe darin lediglich eine Unterstützung“, sagte er dem Abendblatt am Dienstag. „Es ist legitim, dass sich Religionsverbände in so einem Kontext äußern. Die Unterstützung war auch im Verlauf des Aufstellungsverfahrens gar nicht relevant.“
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Der Schura-Vorsitzende Fatih Yildiz sagte dem Abendblatt auf Nachfrage, die Schura halte es als Interessengruppe „für legitim, im Rahmen demokratischer Prozesse derartige Empfehlungen auszusprechen“. Dies sei kein Versuch gewesen, „den innerparteilichen Wettbewerb zu beeinflussen oder einen anderen Kandidaten zu benachteiligen, da die Nominierungsentscheidung selbstverständlich allein in den Händen der SPD lag – und liegt“.
SPD Hamburg: „Wir lassen uns nicht von außen beeinflussen“
Während der eine oder die andere in der Partei den Brief als „skandalös“ empfand, wollte man das Thema im SPD-Vorstand nicht zu hoch hängen. „Der enge Austausch mit den verschiedenen Organisationen und Interessengruppen unserer Stadt ist wichtig für eine Politik, die Alltagsfragen der Menschen beantwortet“, teilten die Parteivorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland dem Abendblatt auf Anfrage mit. „Von außen beeinflussen lässt sich die SPD bei ihrer Listenaufstellung aber nicht.“