Hamburg. Jedes Jahr packen in Hamburg Kita-Kinder und Pädagogen die Koffer und gehen auf Reise – sogar die ganz Kleinen. Was das bringt.

Es ist ein Thema, das in Hamburg viele Mütter und Väter beschäftigt und welches nahezu jedem Elternteil im Laufe der Kita- und Grundschullaufbahn einmal begegnet: Kinder verreisen ohne die Eltern. Während manche dabei die Eigenständigkeit feiern, stehen andere der Trennung über mehrere Nächte eher kritisch gegenüber. Ab welchem Alter ist das Kind so weit, gerade nachts ohne die engsten Bezugspersonen zu sein? Ist es zu trösten, wenn es sich verletzt oder Streit entsteht?

Wenn Mutter und Vater in der Grundschule entspannt auf die Nachricht reagieren, dass die erste Klassenreise bereits in Klasse eins oder zwei ansteht, dann haben sie meist schon eine Kita-Reise ihres Zöglings miterlebt. Und diese Erfahrung haben in Hamburg tatsächlich einige Kinder gemacht. Denn das Reisen gehörte – vor der Corona-Pandemie noch viel selbstverständlicher als aktuell – schon immer zum Curriculum vieler Kitas.

Elbkinder-Kitas in Hamburg: Viele Kitas ermöglichen Urlaub, der so nicht möglich gewesen wäre

Katrin Geyer, die für die Pressearbeit der Hamburger Elbkinder-Kitas verantwortlich ist, spricht für rund 180 Einrichtungen in der Stadt, wovon einige auch für die Jüngsten Kita-Reisen anbieten. „Die Kitas versuchen, dieses Angebot aufrechtzuerhalten, da es für die Kinder nicht nur ein Abenteuer ist, sondern sie auch in ihrer Entwicklung voranbringt: Sie entwickeln Selbstbewusstsein, fühlen sich als die ‚Großen‘, lernen eine andere Umgebung als die Großstadt kennen“, sagt Geyer. „Hinzu kommt, dass Kitas in sozial schwächeren Stadtteilen ihren Kindern mit den kleinen Reisen etwas ermöglichen, was die Familien selber manchmal nicht leisten können, da die finanziellen Mittel fehlen.“

Komplett in der Jahresplanung und aus der DNA nicht mehr wegzudenken sind die Reisen der Kita Alsterkinder e.V., ein eingetragener Verein, der aus einer Elterninitiative entstanden ist. Aktuell kümmert sich ein Team rund um die Leitung Jule Schwetasch, bestehend aus vier Erziehern, zwei Sozialpädagogischen Assistenten, einer Springerin, einer Küchenperle, zwei Bundesfreiwilligen und zwei Praktikanten in Voll- und Teilzeit um etwa 23 Kindergarten- und zwölf Krippenkinder.

Kita Hamburg: Bei den Alsterkindern geht es eine Woche weg von zu Hause – schon für die Jüngsten

Die Kita, die im Borsteler Bogen in Hamburg-Groß Borstel beheimatet ist, ist für ihre Ausflüge bei jedem Wetter bekannt: Ein nahe gelegener, eigener Schrebergarten wird oft angesteuert und auch Reisen, einmal im Jahr von Montag bis Freitag, gehören fest zum Programm. Fünf Tage sind die Alsterkinder dann alle zusammen unterwegs, entweder auf dem Ponyhof oder auf einem Ferienhof an der Ostsee. Doch kommen dann wirklich auch die Kleinsten schon mit?

Jule Schwetasch, Leitung Kita Alsterkinder e.V.
Seit 17 Jahren in ihrer Kita in Hamburg und immer auf Reisen: Jule Schwetasch (50), Leitung Kita Alsterkinder e.V., aus Groß Borstel. © privat | Privat

„Ja“, sagt Schwetasch und lacht unbefangen. „Ich muss allerdings dazu sagen, dass die Kleinen dann schon gut eingewöhnt sein müssen, aber in der Regel funktioniert das problemlos.“ Die Gemeinschaft sei sowieso außergewöhnlich eng, Kinder und Betreuer seien sich „sehr, sehr nah“.

Kita-Leitung aus Hamburg: „Auf dem Ponyhof und am Meer ist das für uns wie Bullerbü“

Schwetasch und ihr Team, das sie als „eingeschworene Gemeinschaft“ beschreibt, pflegen auch zu den Eltern und Familien der Kita-Kinder einen engen Kontakt. Alle duzen sich und wüssten viel um die privaten Belange. „In der Zeit der Reisen wachsen wir als Team mit den Kindern noch enger zusammen“, sagt die Mutter eines jugendlichen Sohnes und dreier Bonustöchter. „Wir haben dann endlich Zeit für all die Dinge, die im Alltag manchmal zu kurz kommen.“ Bedeutet: Immer draußen sein, Lagerfeuer machen, mit Gokarts rumdüsen, Katzenbabys streicheln, Treckerfahren, im Matsch spielen und Schatzsuchen unternehmen. Klingt nach Ferien in Bullerbü.

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„Auf dem Ponyhof und am Meer ist das für uns tatsächlich wie Bullerbü“, bestätigt die 50-Jährige, die voller Inbrunst immer weiter für die Reisen der Kinder ohne Eltern plädiert. Denn: „Unsere Welt ist überbehütet und wir nehmen unseren Kindern viel, wenn wir sie nicht ausprobieren lassen“, meint die Pädagogin, die seit 17 Jahren mit den Alsterkinder-Kindern auf Gruppenreise fährt. „Vor allem Erstgebärende haben Schwierigkeiten, ihre kleinen Kinder verreisen zu lassen.“

Jule Schwetasch, Leitung Kita Alsterkinder
Verfechterin von Kita-Reisen in Hamburg: Jule Schwetasch, Leitung der Kita Alsterkinder e.V. © Kita Alsterkinder e.V. | Kita Alsterkinder e.V.

Wenn sich – was in Ausnahmefällen vorgekommen sei – Eltern sehr junger Kinder gegen die Fahrt entschieden hätten, sei der Verdruss anschließend dann groß gewesen, wenn sie auf dem Elternabend die Bilder und Videos der mitgereisten Kinder gesehen hätten.

Kita Hamburg: So viel müssen Eltern für die Reise pro Kind bezahlen

„Wir glauben an die Kinder, sind der absoluten Überzeugung, dass es der Gruppe guttut und machen den Eltern Mut, denn es stärkt die Kinder ungemein“, sagt die Alsterkinder-Leitung. Als Vorbereitung gebe es auch zwei Kita-Übernachtungen. Wenn die Fahrten losgehen, dann sind rund 33 Kinder und etwa 15 Erwachsene an Bord des Busses. Der Betreuungsschlüssel sei ein „Privileg, das wir mit unserer kleinen und kuscheligen Kita haben“. Man müsse zudem in guter Beziehung zueinander sein und dafür brennen, sonst gehe es nicht, meint Schwetasch.

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Denn was sie nicht verschweigen will: „Die Erzieher sind hinterher ziemlich kaputt, denn sie sind eigentlich vier Nächte wach und brauchen hinterher drei Tage um zu regenerieren.“ Deshalb findet die Fahrt auch kurz vor den Feiertagen zu Pfingsten statt. Die Überstunden der Reise würden sofort ausbezahlt, Nachtbereitschaft werde dokumentiert. Die Kosten für die Eltern, darunter Anreise, Verpflegung, Unterkunft und Ausflüge, betragen pro Kind 220 Euro.

Alsterkinder-Kita: Kinder erlangen nach Reise neue Stärke und Selbstbewusstsein

Abgeholt werden musste noch kein Kind wegen irgendetwas anderem außer akuter Krankheit. Heimweh, Sorgen und der natürlich stattfindende Streit zwischen den Kindern könne immer besprochen und dann beigelegt werden. „Und wenn die Kinder zurückkommen, dann sind sie dreckig, haben unwahrscheinlich viel zu erzählen und sind zehn Zentimeter größer“, sagt Schwetasch. Damit meint sie nicht etwa die Körpergröße, sondern vielmehr die mental neu gewonnene Stärke und Größe.

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Und auch das Schlafen – bei vielen Eltern zu Hause ein bestimmendes Thema – finde auf den Reisen ohne Probleme statt. Der Mittagsschlaf der Kleinsten wird so schon mal zwischen allen anderen Kindern abgehalten: direkt am Meer, behütet in einer Strandmuschel.