Hamburg. Ausstieg wegen „politischen Versagens“: Junge Politikerin rechnet mit den Grünen ab. Jetzt hat Die Linke sie offiziell aufgenommen.
Das Erdbeben, das der Rücktritt der beiden Grünen-Bundesvorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang ausgelöst hat, erreicht nun auch Hamburg. Die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Ivy May Müller erklärte am Freitag ihren Austritt aus der Partei und der Fraktion und ihren Wechsel in die Linksfraktion. Sie schließe sich damit dem Bundesvorstand der Grünen Jugend an, der geschlossen zurück- und aus der Partei ausgetreten ist, erklärt die 27-Jährige in einem Video, das sie auf Instagram gepostet hat.
Darin geht die bisherige schulpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion mit den Grünen hart ins Gericht. Vor vier Jahren sei sie mit viel Hoffnung als eine der jüngsten Abgeordneten in die Bürgerschaft eingezogen, heute aber habe ihre Generation die Hoffnung verloren. „Inflation, Rechtsruck und Klima, eine Krise jagt die andere“, so Müller. „Das ist kein Zufall, das ist politisches Versagen.“
Linke hat Aufnahme von Ivy Müller beschlossen und begrüßt ehemalige Grünen-Abgeordnete
Nun hat Die Linke Müller offiziell bei sich aufgenommen. In einer Pressemitteilung heißt es, Die Linke habe die Aufnahme am Montag einstimmig auf ihrer Fraktionssitzung beschlossen. Damit vergrößert sich die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft auf elf Mitglieder. Die Grünen verfügen ohne Müller dagegen über 32 Abgeordnete.
Cansu Özdemir, Co-Vorsitzende der Linksfraktion, begrüßt Müller und lobt ihren Schritt: „Wir freuen uns, mit Ivy May Müller eine ebenso kompetente wie motivierte Mitstreiterin gewonnen zu haben. Wir wissen, dass ihr dieser Schritt nicht leichtgefallen ist. Umso größer ist unser Respekt vor ihrer Entscheidung.“ Auch Müller äußerte sich positiv und betonte, sie freue sich darauf: „nun konsequent für eine Politik zu kämpfen, die an der Seite der arbeitenden Menschen steht“.
Grünen-Abgeordnete wechselt zur Linken und kritisiert: Hafen Hamburg „für Profit an Privatinvestoren verkauft“
Es brauche eine Politik, die „Abstiegsängste nimmt und Gerechtigkeit schafft“, eine Politik, die „nicht immer wieder Kompromisse mit den Reichen und Konzernen macht“, sondern die „bedingungslos an der Seite der arbeitenden Menschen steht“, so Müller. „Ich möchte nicht länger für eine Politik der Grünen geradestehen müssen, die diesem Anspruch nicht gerecht wird.“
Als drei Beispiele für die aus ihrer Sicht falsche Politik der Grünen nennt sie zunächst den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der es jungen Menschen unmöglich mache, zu Hause auszuziehen. Zweitens verweist sie indirekt auf die grüne Ablehnung eines Hamburger Untersuchungsausschusses zu den Verbrechen des rechtsterroristischen NSU. Diese führe dazu, dass die „rassistischen NSU-Verbrechen nicht ernsthaft aufgearbeitet werden“.
Falsch findet Müller drittens den Verkauf von 49,9 Prozent der HHLA an die Reederei MSC, dem die Grünen zugestimmt haben. Denn sie kritisiert, es werde „unser Hafen an Privatinvestoren verkauft, um noch mehr Profit zu machen“. Und das, „während es in dieser reichen Stadt viel zu viele Kinder gibt, die morgens mit leerem Magen in der Schule sitzen müssen“.
Grüne Hamburg: „Ich will nicht länger Teil einer Partei sein, die das mitträgt“
Sie wolle „nicht länger Teil einer Partei sein, die so etwas mitträgt“, sagt Müller in dem Instagram-Video. Deswegen trete sie bei den Grünen aus und der Linksfraktion bei, wo sie ihre politischen Vorstellungen eher verwirklicht sieht. „Ich schließe mich dem Bundesvorstand der Grünen Jugend an und möchte mit ihnen einen Jugendverband gründen, der daran arbeitet, dass es wieder eine starke linke Partei in Deutschland gibt“, und daran, „die Wirtschaft in den Dienst der Menschen“ zu stellen. Es sei „Zeit für etwas Neues“, so Müller, „Zeit, das zu tun, was nötig ist“.
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Bei der aktuell bundesweit ums Überleben kämpfenden Linken wurde Müller am Freitag freudig begrüßt. „Wir freuen uns, dass sich Ivy May Müller entschieden hat, Teil unserer Fraktion werden zu wollen. Die Linksfraktion ist offen für alle, die sich gegen die soziale Spaltung unserer Gesellschaft engagieren“, sagte Fraktionschefin Cansu Özdemir. „Mit ihrem Ansatz, den Menschen in der Stadt auf Augenhöhe zu begegnen und bei Alltagssorgen für sie da zu sein, ist sie bei uns genau richtig.“
Schule Hamburg: Sachverstand als Bildungspolitikerin bei Linken willkommen
Die Co-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus sagte, sie schätze Ivy May Müller „als profilierte und gut vernetzte Bildungspolitikerin“ und freue sich, „dass sie ihren Sachverstand künftig bei uns einbringen möchte“. Müllers Übertritt zur Linksfraktion werde „den Kampf für mehr Gerechtigkeit in unserer Stadt stärken – nicht nur in der Bildungspolitik“.
Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg bedauerte Müllers Entscheidung „außerordentlich“. Müller sei „eine engagierte und kluge Politikerin, die mit ihrem Einsatz gerade im Bereich der Schulpolitik unsere grüne Fraktionsarbeit bereichert hat“, so Jasberg. Ihr Austritt sei „auch menschlich ein Verlust“.
Instagram: Harte Kritik an Müllers Entscheidung, das Mandat mitzunehmen
Unter dem Instagram-Posting der Ex-Grünen gab es neben Zustimmung aber auch viel harte Kritik an Müllers Entscheidung und Widerspruch zu ihren Ausführungen in dem Video. Sie habe ihr Mandat über die Grünen-Landesliste erhalten und müsse dieses jetzt bei einem Austritt zurückgeben, forderten dort viele Kommentatoren. Einer schrieb von einem „Sahra-Wagenknecht-Move“.
Auch die Grünen-Landesvorsitzenden Maryam Blumenthal und Leon Alam bedauerten den Austritt Müllers, sie habe sich mir Kompetenz und Leidenschaft für die Grünen eingesetzt. Zugleich betonten sie aber: „Ivy May Müller hat ihr Mandat über die Landesliste der Grünen erlangt. Wir erwarten daher, dass sie dieses Mandat an die Partei zurückgibt, und stehen mit ihr dazu im Gespräch.“ Diese Debatte dürfte mit Müllers Aufnahme bei den Linken nun beendet sein.