Hamburg. Film gucken, Klasse aufräumen und Sportfest: In den letzten Wochen des Schuljahrs wird nur noch wenig gelernt. Warum das so ist.
Die Vorfreude auf die Sommerferien in Hamburg steigt, zum Teil spielte sogar das Wetter schon mit und Schüler, Lehrer und Eltern wähnten sich in Ferienstimmung. Ein genauer Blick in den Kalender aber zeigt: Es sind noch einige Wochen, bis am 17. Juli dann wirklich der letzte Schultag ist. Gefühlt ist in den Schulen aber eigentlich nichts mehr los, zumindest nicht in puncto Wissensvermittlung und Unterricht. Und das während der „Bildungskrise“?
Waren es zuvor noch manchmal mehrere Klausuren pro Woche plus Tests und Referate – also Stress für alle Beteiligten, viel Lernstoff und vor allem geballte Paukerei –, so gibt es derzeit an vielen Schulen eher Leerlauf. Ausflug knüpft an Sportfest, Theateraufführung folgt auf Klassenzimmer-Aufräumen. In einigen Hamburger Stadtteilschulen und Gymnasien wurden die Schulbücher bereits vor zwei Wochen abgegeben.
Schule Hamburg: Noch sind keine Sommerferien – oder doch?
Grund für den eher mauen Schulalltag in diesen Wochen sind die Zeugnisse: Um diese fristgerecht austeilen zu können, brauchen die Schulen und deren Leitungen einen gewissen Vorlauf. Einen von mehreren Wochen. Die Zeugniskonferenzen am Ende des Schuljahres liegen für die 6. und 10. Klassen etwa vier Wochen vor den Sommerferien, da die Ergebnisse – also Abschulung vom Gymnasium oder Verbleib auf der weiterführenden Schule – der Schulbehörde für die Planung des nächsten Schuljahres rechtzeitig vorgelegt werden müssen.
Denn: Das Direktorat muss bei allen Zeugniskonferenzen dabei sein, die „Schulleiterin oder der Schulleiter [gehören] als Vorsitzende oder Vorsitzender“ den Konferenzen an, so sieht es das Hamburgische Schulgesetz vor. Diese sind auch immer ein Pflichttermin für alle Lehrerinnen und Lehrer, die in der entsprechenden Klasse unterrichten.
Die Schulleitung setzt außerdem einige Tage vor den Zeugniskonferenzen den Notenschluss an. Bis dahin müssen alle die Zensuren in die Notenlisten eingetragen haben. Bedeutet: Alle Tests und Klausuren oder andere Prüfungsleistungen müssen bereits erbracht und korrigiert sowie benotet sein.
Elternkritik: Mehrere Klausuren plus Tests in wenigen Tagen, dann wochenlang Pause
Eltern fragen sich, ob es wirklich sinnvoll ist, die Kinder bis vor dem Notenschluss mit schulischen Aufgaben extrem zu belasten, um dann bis zu gut vier Wochen vor dem Ferienbeginn Leerlauf zu haben. Schon seit Jahren regt sich immer vor den Sommerferien sowie vor den Halbjahreszeugnissen Unmut.
„Nach den Notenkonferenzen wird die Zeit bis zu den Ferien an vielen Hamburger Schulen nicht mehr sinnvoll genutzt, da es ja um Nichts mehr geht“, sagt die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Birgit Stöver. Es sei daher ratsam, die Zeugniskonferenzen so spät wie möglich abzuhalten. „Die Elternkammer hatte schon 2018 auf diesen Missstand hingewiesen und damit erreicht, dass der damalige Schulsenator, Ties Rabe, beschloss, dass alle Zeugniskonferenzen frühestens zwei Wochen vor Schuljahresende stattfinden dürften. Ausnahmen sollten nur für die Klassen 6 und 10 gelten. Diese Regelung halte ich für sehr sinnvoll“, so Stöver. Ein späterer Zeitpunkt wäre schulorganisatorisch nur schwer umsetzbar.
CDU: Stoff wiederholen und „lebenspraktische“ Themen behandeln
Die CDU-Bildungspolitikerin würde es aber für sehr sinnvoll halten, wenn es die Vorgabe gäbe, die Wochen nach den Zeugniskonferenzen gezielt zu nutzen. „Dafür sollten die Bücher nicht bereits vier Wochen vor Schuljahresende, sondern frühestens zwei Wochen vor Schuljahresende abgegeben werden. Die Zeit sollte zum Wiederholen und Festigen des Gelernten z.B. in Mathematik genutzt werden.“ Zudem würde Stöver es begrüßen, wenn im Rahmen einer Projektwoche „lebenspraktische“ Themen behandelt würden wie beispielsweise die Voraussetzungen, wie ein Konto eingerichtet wird, die Altersvorsorge oder welche Versicherungen notwendig welche optional sind. „Aber auch Erste-Hilfe-Kurse und der Umgang mit Defibrillatoren sind unbedingt lernenswert.“
In der Elternkammer sieht man das heute so: „Wenn der Notenschluss am 26. Juni war, dann finden wir das vertretbar, dass etwa drei Wochen lang weniger benotete Wissensvermittlung passiert“, sagt Nicole Zeidler, Vorstandsmitglied der Elternkammer Hamburg. „In den Schulen wird diese unterschiedlich lange Zeit unterschiedlich gefüllt. Da bietet sich jetzt ein Rahmen für manche Projekte, wie Gewaltprävention, Medienkompetenz, Theaterwochen.“
Elternkammer Hamburg: „Im aktuellen System geht es nicht anders“
Außerdem, so Zeidler, gäbe es nun die Möglichkeit, „dass offener kommuniziert wird, da kein Notendruck mehr besteht“. Bonding also zwischen Lehrern und Schülern und in der Klassengemeinschaft insgesamt. Doch kann sie den Unmut der Eltern nachvollziehen? „Sicher wäre es schön, wenn sich der Zeitraum verlängert, in dem Klausuren geschrieben werden“, sagt Zeidler. „Aber im aktuellen System geht es nicht anders.“
Dennoch, darauf weist sie vehement hin: „Eltern sollten darauf achten, dass die Regelungen der Bildungspläne klar eingehalten werden, die besagen, dass maximal zwei Klausuren pro Woche geschrieben werden dürfen, maximal sieben im Monat und im Dezember nur sechs.“ Jedoch: Tests sind da nicht inkludiert und können je nach Ermessen der Lehrkräfte hinzukommen.
Hamburger FDP-Politiker: „Lehrer sollten weiter Anspruch haben, dass Schüler etwas lernen“
Der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Sami Musa (FDP) moniert den gegenwärtigen Leerlauf an den Schulen vor Ferienbeginn: „Viele Eltern wundern sich zu Recht über den Unterrichtsausfall in der Zeit der Zeugniskonferenzen und den Leerlauf in den Wochen danach.“ Weiter sagt der Politiker, der im Hauptberuf Gastronom ist: „Auch wenn die Noten feststehen, sollten Lehrer weiter den Anspruch haben, dass Schülerinnen und Schüler etwas lernen.“
Nils Hansen, schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg und selbst Lehrer an einer Hamburger Stadtteilschule meint dazu: „Die Terminierung der Zeugniskonferenzen obliegt den Schulen. Sie sind in der Regel so gewählt, dass die Zeit zwischen Zeugniskonferenzen und Schuljahresende möglichst nicht zu lang ist, gleichzeitig aber lang genug, damit die Zeugnisse und Zeugniskommentare geschrieben und gedruckt werden können. Aus der Praxis kann ich sagen, dass dieser ‚Leerlauf‘ oft gar nicht so lang ist, wie angenommen.“
Und Hansen betont weiter: „Ich habe den Eindruck, dass viele Schulen die Zeit nach den Zeugniskonferenzen sehr bewusst nutzen zum Beispiel für Projektwochen, Sportfeste, Schulfeste, Umzug der Klassen in andere Räume oder Gebäude usw. Diese Aktivitäten mögen nicht dem Bild des klassischen Unterrichts entsprechen, ich halte sie dennoch für pädagogisch wertvoll und im Sinne der Förderung der Schulgemeinschaft. „Dass diese Aktivitäten nach einem langen Schuljahr ohne Benotung stattfinden, sehe ich ausdrücklich positiv.“
Grüne Hamburg: Viel Leistungsdruck für Schüler in den Klausurphasen – Diskussion darüber erwünscht
Auch Ivy May Müller, schulpolitische Sprecherin der Grünen Fraktion Hamburg, plädiert für Schulfeste und Projektwochen am Schuljahresende. „Aus bildungspolitischer Perspektive muss es viel öfter um die Frage gehen, wie projektbezogenes Lernen ausgebaut und auch im Rest des Schuljahres gestärkt werden kann. Wir sehen, dass der Stress und Leistungsdruck für Schüler in der Schule sehr hoch ist – vor allem in Klausurphasen. Diskussionen über Veränderungen sollten daher eher hier ansetzen – und nicht bei den entspannten Wochen vor den Ferien. Denn es sind genau diese Formen ganzheitlichen und lebensweltbezogenen Lernens, die häufig in den ruhigen Phasen vor den Ferien stattfinden, die den Schülern Spaß und Kraft geben.“
Für mehr Gelassenheit in diesem Thema wirbt Imke Dohmen. Sie arbeitet in Eppendorf als Elterncoach mit eigener Praxis und hat mit ihrem Podcast „In 15 Minuten aus dem Mamsterrad“ viel Kontakt zu den Themen, die Mütter und Väter täglich beschäftigen. Dazu hat sie selbst zwei Schulkinder und weiß, was aktuell an Hamburgs Schulen los ist.
„Kinder sind kaputt“, sagt Hamburger Elterncoach und Podcasterin Imke Dohmen
„Ich habe meine Kinder einfach mal gefragt, wie sie das jetzt so finden“, sagt die Unternehmerin und lacht. „Sie sagen, es sei total gut so, wie es gerade ist.“ Und sie könne das nachvollziehen: Nach heftigen Lernphasen ist nun Zeit für den nachmitttäglichen Schwimmbadbesuch, Treffen mit den Freunden, die man dann vielleicht sechs Wochen lang nicht sehen kann. „Außerdem sind die Kinder kaputt vom Jahr, meine Sechstklässlerin stellt sich die siebte Klasse schon vor und der Gedanke daran reicht erst einmal aus.“
Dohmen plädiert dafür, einen Gang runterzuschalten in diesen Wochen: „Uns als Leistungsgesellschaft triggert das. Die Kinder leben uns vor, was wir gar nicht gut aushalten können: Nichtstun. Loslassen. Wir können mit diesem Loch nichts anfangen.“ Noch dazu seien in vielen alte Glaubenssätze verankert, die damit assoziiert sind, dass Entspannung mit Faulsein verknüpft sei.
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Ein Umdenken könne hilfreich sein, denn „diese Entzerrung tut uns allen gut. Das süße Nichtstun sollte jedem Schüler und auch den Eltern gegönnt sein. Es wäre doch schön, nachmittags gemeinsam nichts zu tun.“ Jedoch: Die beste Laune wird nicht automatisch mitgeliefert, weiß Dohmen. „Langeweile auszuhalten bedeutet auch, den Mut zu haben, ein gelangweiltes Kind auszuhalten.“
Schule Hamburg: Langeweile und süßes Nichtstun triggert Eltern stark
Doch diese Langeweile verbuchen viele Eltern unter „vertaner Zeit“, die effizienter genutzt werden könne, denn der Lernstoff müsse ja dennoch in die Köpfe der Kinder. „Uns berührt diese Lücke auf ganz vielen Ebenen, denn spätestens seit Corona wissen wir, dass wir Eltern keine guten Lehrer sind“, sagt Dohmen. Dennoch, der Leistungsdruck ist da und die Zeit im Schuljahr vermeintlich immer zu knapp.
Da Druck immer Gegendruck erzeuge und Familienfrieden übers Lernen gehe, handhabt Dohmen es mit ihren Kindern so: Von sechs Wochen Sommerferien wird der Kopf drei Wochen ausgeschaltet, die übrigen drei Wochen locker was gemacht. „Mit Leichtigkeit und ganz entspannt machen wir dann ein paar Ferienhefte oder lesen mit Antolin, sodass sich der Kopf ein bisschen anstrengt.“
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