Hamburg. Wirtschaftspolitisch fährt das Land weiter in die Krise: Die Industrien von gestern werden demontiert, die Ideen für morgen sind rar.

Die Frage „Was wäre gewesen, wenn“ gehört zu den faszinierendsten der Weltgeschichte. Was wäre gewesen, wenn der deutsch-dänische Krieg 1864 anders ausgegangen wäre? Lebten wir dann heute glücklicher in Dänemark?

Was wäre aus Deutschland und der Welt geworden, wenn Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geklappt hätte? Oder die Kugel am 4. November 1995 bei der großen Friedenskundgebung in Tel Aviv Jitzchak Rabin verschont hätte? Man kann es nicht sagen, nur spekulieren – und oftmals neigt man dazu, einen besseren Ausgang herbeizuphilosophieren.

Hamburg hatte einmal das Ziel, Logistikhauptstadt zu werden

An die Frage „Was wäre gewesen, wenn“ musste ich dieser Tage denken, als die Nachricht vom Verkauf der Bahn-Tochter Schenker an den dänischen Logistiker DSV verkündet wurde. Ein weiteres wichtiges Unternehmen verlässt die Repu­blik, die Entscheidungen fallen in Zukunft nicht mehr in Essen, sondern in Hedehusene. Deutschland, das Logistikland, blutet weiter aus.

Schenker? Da war doch was. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Unternehmen säße heute in Hamburg – als Teil einer großen Logistikstrategie, die Bürgermeister Ole von Beust und sein Finanzsenator Wolfgang Peiner (beide CDU) 2005 erdacht hatten. Ihre Idee: Die Bahn sollte sich schrittweise an HHLA und der Hochbahn beteiligen und Vorstand, Konzernleitung und Konzernfunktionen an die Elbe verlegen. Die Stadt wäre Sitz des größten europäischen Logistikkonzerns geworden und damit Zentrum für alle Entscheidungen der Branche, ein Cluster für Transport. Die Große Koalition verhinderte es.

In 20 Jahren ist viel Kompetenz aus Hamburg gen Norden abgeflossen

Stattdessen ist Dänemark Logistikmacht geworden, nachdem Maersk schon Hamburg Süd geschluckt hatte. Und die HHLA, einst die Perle der hiesigen Wirtschaft, wurde mit der Schweizer Reederei MSC verheiratet. Ob es für Stadt und Unternehmen eine glückliche Ehe wird, steht noch dahin.

Statt Metropole der Logistik ist Hamburg auf dem Weg zum Regionalhafen. Die wichtigen Entscheidungen fallen anderswo. Nun weiß niemand, was aus dem Bahn-Deal geworden wäre. Aber der Weg zu einem maroden Unternehmen war in einer dysfunktionalen Stadt wahrscheinlicher als in einer funktionierenden Metropole. Hamburg hätte der Bahn gutgetan.

Nun erwischt es Deutschlands Rückgrat – die Autoindustrie

Wie heißt es so schön? Über vergossene Milch soll man nicht jammern. Und in die Flasche bekommt man sie ohnehin nicht mehr. Aber das Land sollte aufpassen, nicht noch mehr Milch zu verschütten. Denn nach dem Logistik-Desaster droht weiteres Ungemach: der Abschied vom Autoland. Bei Volkswagen, so schreibt das „Manager-Magazin“, könnten hierzulande mittelfristig bis zu 30.000 Stellen wegfallen. Und Mercedes schockte am Donnerstagabend nach VW und BMW mit einer Gewinnwarnung.

Nun haben sich die Autokonzerne die Krise zum Teil selbst eingebrockt, angefangen beim Dieselskandal über die verschlafene Elektromobilität bis hin zur Fixierung auf China. Die Politik – gerade auf Europaebene – indes hat die Probleme der Autoindustrie noch einmal vergrößert: Die bevorstehende Verschärfung von EU-Klimavorgaben über die Flottengrenzwerte könnte, so unkt die Auto-Lobby, die Branche bis zu 13 Milliarden Euro kosten – Geld, das dann für Innovationen fehlt. Die Konkurrenz aus China, die auf Elektroautos setzt, findet wahrscheinlich vor Lachen nicht in den Schlaf.

Wo ist die große Strategie, wovon Stadt und Land in Zukunft leben wollen?

Gerade der Flottengrenzwert zeigt, wie Politik gemacht wird: Die Politik setzt ein richtiges Ziel (weniger CO2), legt dann aber den Weg (Elektromobilität) dorthin genau fest, organisiert und bürokratisiert – und verliert die Folgen aus dem Blick. Die drohende Deindustrialisierung in Europa nützt weder dem Klima noch den Menschen.

Zugleich mangelt es an Strategien für morgen: Wo ist der europäische KI-Airbus, die Digitalisierungsoffensive, wo überhaupt die Bereitschaft, sich dem weltweiten Wettbewerb zu stellen? Will Europa Regulierungs- oder Innovationsweltmeister werden? Wollen wir führend nur beim Datenschutz sein oder auch bei der Datenanalyse? Wo bitte ist denn Europas Strategie? Deutschlands Strategie? Hamburgs Strategie? Oder haben alle keine?

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Der Reichskanzler Otto von Bismarck spottete einst: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.“ Vielleicht sollten wir langsam von der Kunstgeschichte auf Wirtschaftspolitik und Informatik wechseln.