Hamburg. Hamburg ganz unten: Süchtige liegen auf dem Vorplatz vom Drob Inn. Dealer machen dreist ihre Geschäfte. Touristen sind schockiert. Ein Ortstermin.
- Hamburg-Besucher bestürzt über Lage in St. Georg.
- Kaum sind die Polizisten vor dem Drob Inn verschwunden, kommen die Drogendealer zurück
- Wie sich die Situation am Hamburger Hauptbahnhof verändert hat
Es ist staubig hinter dem Sichtschutzzaun am Besenbinderhof. Wo früher Rasen war, ist jetzt weitgehend kahle Erde. Nur an ein paar Stellen wächst noch Gras. Dazwischen hocken und liegen Menschen. Sie gehören zum Umfeld des Drob Inn, einer Drogenkonsumeinrichtung, die es seit 1997 gibt. Hier wird die Szene im direkten Umfeld geduldet. Bis das Drob Inn gegründet wurde, war der August-Bebel-Park, wie die Sandfläche zwischen der Drogeneinrichtung und der Adenauerallee heißt, tatsächlich noch ein Park mit Hecken, Bänken und Büschen. Heute ist sie ein unwirtlicher Ort.
Viele Hamburger haben sich an den Anblick gewöhnt, auswärtige Besucher sind oft noch bestürzt. „Das ist wirklich schockierend“, entfährt es Christian Franke, der mit seiner Frau zu Besuch in Hamburg ist. An diesem sonnigen Spätsommertag ist er zu Fuß an dem Areal vorbeigekommen. „Ich habe dahinten einen Parkplatz gefunden“, sagt er und zeigt in Richtung Hammerbrook. Dass es in Hamburg so etwas gibt, habe er gelesen. „Das zu sehen, ist etwas ganz anders“, sagt der 52-Jährige aus Ludwigsburg in Baden-Württemberg. „Bei uns ist so etwas undenkbar.“
Am Hamburger Hauptbahnhof vor dem Drob Inn beginnt eine andere Welt
Viele der Süchtigen, die sich an diesem Tag vor dem Drob Inn aufhalten, kommen von noch weiter her. Die Szene hat sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal geändert. Waren es früher fast ausschließlich deutsche Heroinabhängige, die sich hier trafen, sind es jetzt in der Mehrzahl Afghanen, Syrer und Nordafrikaner. Einige sind in sehr schlechter Verfassung. Sie gehen nur noch in kleinen Trippelschritten, manchmal nach vorn gebeugt. Ein Rollstuhlfahrer ist auch auf dem Gelände. Seine Füße sind aufgedunsen zu Ballons; er lässt sich schieben.
Regelmäßig kommt an diesem Tag die Polizei vorbei. Es geht dabei unaufgeregt zu. Ein Beamter kontrolliert eine Gruppe, die direkt am Zugang am Zaun sitzt. Die nimmt es locker. Nach und nach stehen die Menschen auf, lassen sich abtasten und in die Taschen fassen. „Chef“, sagt einer der Männer zu dem Beamten. Dann gehen die Polizisten weiter zu einem der am Boden Liegenden. Sie rütteln ihn. Er räuspert sich. Er lebt – das reicht. Die Polizisten verlassen das Areal in der Mitte des Zauns, wo ein Durchgang und ein Weg ist.
Die Dealer warten einfach, bis die Polizei wieder weg ist
Kaum sind sie verschwunden, tauchen zwei andere Männer auf. Dealer. Die beiden Männer haben offenbar am Rand des Platzes gewartet, bis die Polizisten weg sind. Sofort kommen Süchtige auf sie zu. Der Deal geht klassisch über die Bühne. Einer nimmt das Geld und sichert dann die Umgebung, indem er sich umschaut. Sein Komplize gibt dem Käufer Drogen. Was es ist? Schwer zu sagen. In einem Fall lässt sich ein Süchtiger Flüssigkeit in einen kleinen Plastikbehälter gießen. In anderen Fällen sind es offenbar Cracksteine, die den Besitzer wechseln.
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Eine, die auch zu den Dealern kommt, ist Tina, wie sie sich nennt. Seit etwas mehr als einem halben Jahr sei sie jetzt hier in der Szene. Sie rauche Crack. Tina ist eine der wenigen Frauen vor dem Drob Inn. Sie sind augenscheinlich fast alle Deutsche. Tina trägt an diesem Tag Hotpants, eine Strumpfhose, Turnschuhe. „Ja“, sagt Tina, sie schaffe an. „Aber nur gelegentlich“, wie sie betont. Das geht auch nicht anders. St. Georg ist Sperrgebiet, schon für die Anbahnung von sexuellen Dienstleistungen kassiert man eine Strafe. Sie suche sich die Freier woanders. Auch sie zeigt mit einer Armbewegung in Richtung Hammerbrook.
Hauptbahnhof Hamburg: Auf der anderen Straßenseite liegt eine ganz andere Welt
Ein Stück weiter, gleich auf der anderen Straßenseite, liegt eine andere Welt. Vor dem Museum für Kunst und Gewerbe stehen junge Leute. Sie sind aus der Kulturszene und tauschen sich an diesem Tag auf einer Art Tagung aus. Touristen steigen die Stufen zum Museum hinauf, in dem unter anderem eine Ausstellung von Ann Hanisch mit dem bezeichnenden Titel „Bis hier lief´s noch gut“ zu sehen ist.
Das Elend vom Besenbinderhof ist auf dieser Seite außerhalb des Museums nicht so sichtbar. Nur am Zaun gegenüber, der die parkähnliche Anlage mit einigen Bäumen zum ZOB abgrenzt, lümmeln sich einige Männer auf dem Rasen. Dort kreisen Wodka-Flaschen. Ein Mann schläft ein paar Meter entfernt. „Heute ist es richtig ruhig“, sagt Cemal Sahin. Er arbeitet in der Nähe. „Das sind fast alles Bulgaren, Rumänen oder Polen“, berichtet der Türke.
Es ist eine im Bahnhofsumfeld gestrandete Obdachlosenszene. Manchmal machen sie auch rüber Richtung Steindamm. Dann hängen sie ab auf dem Steintorplatz, der zwischen Steindamm und Hauptbahnhof liegt. Immer wieder versuchen einige der Obdachlosen sich dort als „Einparkhelfer“. Mit rudernden Armbewegungen lotsen sie ungefragt Autofahrer in die dortigen Parkplätze, immer in der Hoffnung, dafür einen Euro zugesteckt zu bekommen.
Rund um den Hansaplatz sind die Probleme nicht kleiner geworden
Was die Szene von der früher unterscheidet: Der Steindamm selbst ist nicht mehr so sehr von Drogenprostituierten belagert wie vor einigen Jahrzehnten. Auch hängen hier nicht wie früher sichtbar Abhängige in den Hauseingängen herum. Dazu muss man mehr in Richtung Hansaplatz gehen, auf dem der prächtige, 17 Meter hohen Hansabrunnen steht. Auf dessen Spitze schweift die Hansa mit erhobenem Arm und goldenem Krönchen in die Ferne. Sie tut gut daran, nicht nach unten zu schauen.
Auch hier wird herumgelungert. Auf den Stufen sitzen vor allem Männer. Es gibt Alkohol. An der Straße, etwas abseits, schleichen Gestalten herum. „Drogenhändler“, sagt ein Anlieger, der nicht genannt werden möchte, weil er Angst hat, dass man die Scheibe an seinem Laden demoliert. Auch hier ist alles zu finden: Prostitution, Süchtige, die eine Straße weiter in Büschen hocken. Trinker, die ihren Rausch ausschlafen. Ob es hier noch schlimmer wäre, wenn es keine Kameraüberwachung, kein Waffenverbot und keine regelmäßige Polizeipräsenz gäbe?
„Wir haben es mit Leuten zu tun, denen wirklich alles egal ist“, beschreibt ein Beamter das Problem der Szene. Drogensucht werde mit Diebstahl, Autoaufbruch und Raub finanziert. „Raub findet aber eigentlich nur untereinander statt“, weiß der Polizist. Jeder Euro gehe für Drogen oder Alkohol drauf. Die Kleinigkeiten zum Leben wie Seife, ein paar Schuhe, eine neue Jacke oder sonst was besorgen sich die Drogenabhängigen oder Trinker in den Hilfseinrichtungen, die in dieser Gegend geballt zu finden sind.
St. Georg: Szene hat sich gewandelt, Probleme sind ähnlich geblieben
„Wie Drogenmarkt, Beschaffungsprostitution, Ladendiebstahl und Hehlerei gehört heute auch die Drogenhilfe zur Szene und macht das Überleben auf dieser Szene überhaupt erst möglich“, haben Wissenschaftler schon vor 20 Jahren bei einer Untersuchung der Crackszene, in dem Fall in Frankfurt, festgestellt.
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„Bei allen Problemen, die wir haben. Die Polizei leistet seit Jahren die erforderliche Arbeit, um die Verfestigung der offenen Drogenszene zu verhindern. Aktion ist angesagt. Hamburg kapituliert nicht vor dem Drogenproblem.“ Gesagt hat das der Innensenator. Nicht der aktuelle. Es war Hartmut Wrocklage vor fast genau 24 Jahren. Die Szene hat sich gewandelt, die Probleme sind ähnlich geblieben.