Hamburg. Nachbarn skeptisch – weil Behörde neben Unterbringung von Crack-Süchtigen auch Trinkerraum prüft. Kritiker fürchten vor allem zwei Dinge.

  • Am Hamburger Hauptbahnhof soll ein weiteres Drogenzentrum entstehen
  • Es soll das Drob Inn in St. Georg entlasten, das bislang Suchtkranken als Hilfeeinrichtung diente
  • Wo das neue Zentrum entstehen soll – und was die Kritiker fürchten

Sie soll endlich mehr Hilfe für Drogenkranke und Obdachlose in die so stark belastete Gegend rund um den Hamburger Hauptbahnhof bringen. Das erhofft sich die Sozialbehörde von der zweiten Drogenhilfeeinrichtung, die jetzt in einem ehemaligen Bürohaus an der Repsoldstraße 27 entstehen soll, nur wenige Meter vom Drogenkonsumraum und Beratungszentrum Drob Inn entfernt.

Eine Übernachtungsmöglichkeit für obdachlose Abhängige soll es dort geben, eine ambulante Psychiatrie und weitere Angebote, welche genau, ist noch unklar. Bei einer Begehung haben Vertreter von Behörden, Bezirken, Polizei und unmittelbaren Nachbarn sich das sanierungsbedürftige Gebäude jetzt genauer angesehen. Dabei wurde nach Abendblatt-Informationen auch Kritik an den Plänen von Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) laut.

Hauptbahnhof Hamburg: Zweites Drogenzentrum neben Drob Inn – die Pläne

Die Skeptiker nämlich befürchten erstens, dass eine neue Einrichtung noch mehr Drogensüchtige anziehen könnte, obwohl sich im August-Bebel-Park vor dem Drob Inn schon jetzt täglich geschätzt 250 Crack-Süchtige und andere Schwerstabhängige aufhalten und die Stimmung dort von Elend und Aggression geprägt ist. Besonders kritisch sehen die unmittelbaren Nachbarn zweitens die Idee, in dem im April für geschätzt 19 Millionen Euro von der städtischen Gesellschaft Fördern & Wohnen gekauften Gebäude auch einen Trinkerraum für obdachlose Alkoholiker einzurichten.

Das fordert immer wieder der Vorsitzende des Bürgervereins zu St. Georg und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Markus Schreiber, der früher auch Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte gewesen ist. Ihm geht es vor allem darum, dass die Trinkerszene, die sich durch das Alkoholverbot am Hauptbahnhof zuletzt in St. Georg immer weiter in die Gegend um den Hansaplatz verlagert hat, dort einen Platz findet, wo sie das Leben der Anwohner und Passanten nicht durch Aggressivität, Vermüllung oder das Hinterlassen von Exkrementen belastet.

Hauptbahnhof Hamburg: Alkoholverbot verdrängt Trinker in Wohngebiete

„Eine Ausweitung des Alkoholkonsumverbots in Richtung Bremer Reihe, Ellmenreichstraße und Hansaplatz ist dringend notwendig. Sie sollte mit der Einrichtung eines Trinkraums kombiniert werden, in dem mitgebrachter billiger Alkohol konsumiert werden kann“, sagte Schreiber jetzt dem Abendblatt. „Dann hätten die Trinkergruppen die Möglichkeit, sich dort zu treffen. Das funktioniert in Kiel sehr gut. Bisher ist es immer an den fehlenden Räumlichkeiten gescheitert. Aber die stehen an der Repsoldstraße 27 jetzt zur Verfügung.“

Vor dem Drogenkonsumraum Drob Inn in St. Georg versammeln sich täglich bis zu geschätzt 250 Drogenabhängige. Hier ist die Stimmung von Elend und bisweilen auch von Aggression geprägt.
Vor dem Drogenkonsumraum Drob Inn in St. Georg versammeln sich täglich bis zu geschätzt 250 Drogenabhängige. Hier ist die Stimmung von Elend und bisweilen auch von Aggression geprägt. © picture alliance/dpa/Markus Scholz | Markus Scholz

Da das Gebäude verschiedene Eingänge habe, müsse es auch möglich sein, „die reine Alkohol- und die Drogenszene nicht zu stark zu mischen“, so Schreiber. „In Kiel funktioniert der Trinkerraum sogar in unmittelbarer Umgebung von Wohnhäusern. Er muss natürlich entsprechend betreut werden.“ Auch SPD-Innensenator Andy Grote hatte sich immer wieder für die Einrichtung eines Trinkerraums ausgesprochen, ohne sich dabei jedoch auf einen Ort festzulegen.

Drogenszene Hamburg: Vermischung mit Trinkerszene ist für Kritiker ein „No-Go“

Schreiber erntet für seinen Vorschlag, diesen in der neuen Immobilie zu eröffnen, mittlerweile allerdings vehementen Widerspruch. „Ein Trinkerraum in der Repsoldstraße 27 ist für uns ein absolutes No-Go“, sagt etwa Christine Tügel, Vorständin des Vereins Jugendhilfe, der das Drob Inn betreibt. „Damit würde man zwei unterschiedliche Szenen vermischen. Dann würden sich neben den von illegalen Drogen Abhängigen auch viele alkoholabhängige Menschen hier im Umfeld aufhalten, und das würde zu deutlich mehr Konflikten und Auseinandersetzungen führen.“

Auch unter den anderen unmittelbaren Anliegern, dem DGB, dem Museum für Kunst und Gewerbe oder der B&L Gruppe, der das frühere Generali-Ensemble am Besenbinderhof gehört, ist man höchst skeptisch. „Würde nun auch noch die Trinkerszene an den Besenbinderhof verlagert werden, ist die Gefahr groß, dass das Quartier hinsichtlich seiner sozialen Vielfalt und deren Verträglichkeit überlastet wird“, sagte B&L-Geschäftsführer Bernhard Visker dem Abendblatt. „Schon jetzt herrschen im Umfeld des Drob Inn Zustände, die alle Anlieger vor große Herausforderungen stellen. Im Sinne eines funktionierenden Miteinanders müssen hier dringend soziale Stabilisierungsmaßnahmen umgesetzt werden.“

Neue Drogenhilfeeinrichtung könnte noch mehr Abhängige in das Viertel ziehen

Dabei macht Visker auch deutlich, dass das gesamte Projekt „Repsoldstraße 27“ nicht gerade ein Herzenswunsch von ihm war. „Auch die Schaffung weiterer Angebote für Drogenabhängige lässt Pull-Effekte befürchten, die dem Viertel nicht zuzumuten wären“, so der B&L-Chef. „Deshalb haben wir zum Konzept und insbesondere zu Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit den Dialog mit der Stadt gesucht und erwarten eine enge Beteiligung an der weiteren Planung.“ Unter „Pull-Effekten“ versteht man das Anziehen von Menschen durch bestimmte (neue) Angebote.

Auch Tanja Chawla, Chefin des Hamburger DGB, der ebenfalls in unmittelbarer Nähe am Besenbinderhof sitzt, betrachtet das Vorhaben, eine weitere Drogeneinrichtung ins Viertel zu bringen, mit Sorgenfalten. Und sie beklagt fehlende Transparenz seitens des Senats. „Wir sind in die Planungen der Sozialbehörde nicht eingebunden. Alle Informationen, die wir zu den Plänen in der Repsoldstraße haben, haben wir aus der Presse entnommen“, sagte Chawla dem Abendblatt. „Durch eine Zentralisierung können Kulminationspunkte entstehen. Darauf schauen wir skeptisch.“ Damit das Ganze gelinge, müsse die „finanzielle und damit auch personelle Ausstattung sichergestellt sein“.

Hauptbahnhof Hamburg: Was der Senat in dem neuen Gebäude plant

Die Sozialbehörde hält sich derweil auch bald fünf Monate nach dem Ankauf des siebenstöckigen Gebäudes noch immer eher bedeckt, was die detaillierten Pläne für die Nutzung angeht. „Das Konzept wird derzeit entwickelt. Dabei arbeitet die Sozialbehörde in enger Absprache mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, der Behörde für Inneres und Sport, dem Drob Inn und weiteren Trägern der Sucht- und Obdachlosenhilfe, um den unterschiedlichen Bedarfen vor Ort gerecht zu werden“, sagte Sozialbehördensprecher Wolfgang Arnhold dem Abendblatt. „In einem ersten Schritt sollen möglichst bis Ende des Jahres Tages- und Nachtschlafplätze für Drogen konsumierende Personen geschaffen werden. Zudem soll ein medizinisches und psychiatrisches Beratungsangebot entstehen.“

Auch zusätzliche Angebote in dem Gebäude, „die zum Ziel haben, Menschen zu beraten und zu befähigen, Schritte in Richtung einer Veränderung weg von der Sucht zu gehen“, würden zurzeit geprüft, so Arnhold. „Den Vorschlag für die Schaffung eines Trinkerraums lassen wir in unsere Überlegungen mit einfließen.“ Nach dem Kauf der Immobile Ende April hatte die Sozialbehörde auch „Sozialberatung, Beschäftigungs- und Arbeitsangebote und die Einrichtung von Werkstatträumen“ an der Repsoldstraße 27 angekündigt. Zudem solle es neben Angeboten für Obdachlose auch einen „separierten Bereich für schutzbedürftige Frauen in prekären Lebenslagen“ geben.

Kritiker bemängeln: Therapie kann nicht genau neben der Crack-Szene funktionieren

Unter den Hilfseinrichtungen rund um den Hauptbahnhof gibt es derweil Befürchtungen, dass an diesem Ort künftig Menschen untergebracht sind, die gerade einen Gefängnisaufenthalt oder eine erfolgreiche Suchttherapie hinter sich haben. Das unmittelbare Umfeld des Drob Inn wäre für sie wenig hilfreich. Denn natürlich wird dort mit Drogen gedealt und konsumiert. Die Helfer fürchten Rückfälle ihrer Klientel und einen „Drehtür-Effekt“ bei der Suchtentwöhnung.

Gleich in der Nachbarschaft des neu erworbenen Gebäudes gibt es eine von den Betroffenen aus dem Hauptbahnhof-Umfeld gut genutzte Aufenthaltsstätte der Hoffnungsorte Hamburg. Aus dem Umfeld der Münzviertel-Bewohner und dort Arbeitenden heißt es jetzt: Das ganze Quartier drohe zu einem Dealer-, Konsum- und Elendsviertel zu werden. Beim Abendblatt hatten sich bereits Eltern beschwert, deren Kinder zur Brecht-Schule gehen und auf ihren Wegen dorthin unbeschreiblichen Szenen und erschreckenden Begegnungen ausgesetzt seien.

Betreiber des Drob Inn könnten auch die neue Einrichtung betreiben

Christine Tügel vom Drob-Inn-Betreiber Jugendhilfe hält die Pläne der Stadt trotzdem insgesamt für richtig. „Es ist gut, dass es in der Repsoldstraße 27 bald ein Angebot für Übernachtungen geben soll. Für die Menschen, die wir im Drob Inn betreuen, ist die Obdachlosigkeit körperlich und psychisch sehr zermürbend“, sagte sie dem Abendblatt. „Wir plädieren dafür, dass in dem Gebäude nicht nur Notübernachtungsplätze angeboten werden, sondern dass es dort ein qualifiziertes Suchthilfeangebot gibt, mit Übergangswohnplätzen für bis zu sechs Monaten.“

Die Menschen, um die es gehe, seien „verelendet und müssen erst einmal stabilisiert werden, das schafft man nicht über Nacht“, so Tügel. „Wir würden als Träger des Drob Inn gerne die Aufgabe übernehmen, ein solches Übergangsangebot zu organisieren, wir haben ja bereits ein ähnliches Angebot in unserem Projekt ,Nox‘ mit 35 Plätzen.“

Auch der Bezirksamtsleiter setzt große Hoffnung in die neue Einrichtung

Wichtig sei aus ihrer Sicht auch die Einrichtung eines psychiatrischen Angebots am neuen Standort. „Viele unserer Klienten leiden auch an psychischen Erkrankungen“, so Tügel. „Dieses Angebot sollte auch für Menschen offen sein, die nicht krankenversichert sind, denn das betrifft hier leider viele.“

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Auch der Leiter des Bezirksamts Mitte, Ralf Neubauer (SPD), blickt eher optimistisch auf die Pläne. „Als Bezirk haben wir die große Hoffnung, dass sich durch die geplanten Hilfsangebote in der Repsoldstraße die zuletzt in Teilen schwierige Lage in St. Georg und dem Münzviertel wieder deutlich entspannt“, sagte Neubauer dem Abendblatt. Die Sorge, dass durch „Pull-Effekte“ noch mehr Drogenkranke ins Viertel gezogen würden, nehme er deshalb auch ernst. „Wir wollen ausdrücklich keine Ballung weiterer Problemlagen, sondern eine Verbesserung der aktuellen Situation vor Ort für alle.“ 

Hauptbahnhof Hamburg: Umgestaltung der Fläche vor dem Drob startet jetzt

Angesichts des Sanierungsbedarfs bezweifeln aber mittlerweile auch Befürworter des Projekts, dass die Einrichtung mit ersten Angeboten noch in diesem Jahr an den Start gehen kann. Eines zeichnet sich aber wohl bereits ab, wie das Abendblatt am Wochenende erfuhr: Die Einrichtung eines Trinkerraums an der Repsoldstraße ist mittlerweile wohl eher unwahrscheinlich. Weder im Bezirk noch im Senat halte man die Idee von Markus Schreiber für sinnvoll und umsetzbar, hieß es.

Bevor es an der Repsoldstraße losgeht, nimmt die Stadt nun aber erst einmal die Umgestaltung des August-Bebel-Parks und der Fläche direkt vor dem Drob Inn in Angriff. Hier sollen neue Sitzelemente, Regenschutz und eine bessere Beleuchtung für eine bessere Aufenthaltsqualität und mehr Sicherheit sorgen. Der Umbau soll voraussichtlich in der kommenden Woche beginnen und vor dem Winter abgeschlossen sein.